Der diskrete Charme der Bourgeoisie und Charles Moore im Playboy

Die Geschichte der modernen Architektur wird gern als eine Abfolge genialischer Architekten und Ingenieure beschrieben, die in den letzten 100 Jahren allein durch die Kraft ihrer visionären Ideen und den Mut, Neues zu wagen, das Antlitz unserer Welt und damit die Art unseres In-der-Welt-Seins verändert haben. Wir lieben diese Art der Geschichtserzählung mit all ihren gottgleichen Heroengestalten und ihren vielen Heldenbiografien. 

Von Uwe Bresan

Tritt man jedoch einen Schritt zurück und schaut sich das Bild genauer an, so taucht hinter der Gestalt des visionären Entwerfers noch eine andere Figur auf, deren Einfluss auf die Architekturgeschichte nur allzu gern vergessen wird. Es ist die Figur des Bauherrn und Auftraggebers, ohne den kein Architekt seine Einfälle und Vorstellungen jemals realisieren könnte. So steht hinter jedem visionären Architekten mindestens ein Bauherr mit Visionen und hinter jedem wagemutigen Entwurf ein Auftraggeber, der auch den Mut hat, es zu wagen. Früher waren es Kaiser und Könige, Päpste und Patriarchen, die ihre Architekten und Ingenieure zu immer neuen Höchstleistungen antrieben. Aber welche Art von Bauherren kennt eigentlich das 20. Jahrhundert? Wer waren die Auftraggeber unserer Moderne? Wer also prägte unsere Vorstellung vom modernen Wohnen? Um es kurz zu machen: Es waren allesamt gesellschaftliche Außenseiter und Randfiguren, die sich mit ihren Lebensumständen und vor allem ihren Lebensvorstellungen an den normativen Grenzen ihrer jeweiligen Zeit bewegten.

DIE BAUHERREN DES 20. JAHRHUNDERTS

Es waren Frauen wie Truus Schröder, Witwe und Mutter von drei kleinen Kindern, die 1924 in der niederländischen Kleinstadt Utrecht den Architekten Gerrit Rietveld mit dem Bau eines neuen Hauses in der Prins Hendriklaan Nr. 50 beauftragte. Ihr Mann war da gerade seit einem Jahr tot. Was der größere Skandal war, entweder ein Haus am Ende der pittoresken Siedlungszeile mit ihren traditionellen Backsteinbauten, das scheinbar nur aus einer Ansammlung frei schwebender Kuben und losgelöster Betonscheiben bestand, oder aber die Tatsache, dass der Architekt nach der Fertigstellung gemeinsam mit seiner Bauherrin einzog, können wir heute nur noch erahnen.

Blick aus dem Garten ©Courtesy Charles Moore Foundation

Das Haus jedenfalls hat die Zeit überdauert und gehört heute zum Weltkulturerbe. Le Corbusiers berühmte Villa in Garches bei Paris, entstanden zwischen 1926 und 1928, die zweifellos zu den am häufigsten publizierten Bauten der Klassischen Moderne gehört, verdankt sich wiederum einer dreiköpfigen Bauherrenschaft, deren unkonventionelles Miteinander damals für ein aufgeregtes Tuscheln in der Pariser Gesellschaft sorgte. In die fertige Villa, in deren strenges, weißes Volumen der Architekt sich partiell überlagernde Loggien, Terrassen und Balkone einschnitt und damit ein hoch komplexes Zusammenspiel von Räumen realisierte, zogen ein: die vermögende amerikanische Kunstsammlerin Sarah Stein, ihr Mann Michael sowie die gemeinsame Freundin Gabrielle de Monzie, die nicht weniger wohlhabende Ex-Frau des bekannten französischen Politikers Anatole de Monzie. Auch die Chicagoer Ärztin Edith Farnsworth, die 1945 den aus Deutschland emigrierten Architekten Mies van der Rohe mit der Planung eines Wochenendhauses in der knapp eine Autostunde von Chicago entfernten Stadt Plano beauftragte, musste immer wieder um ihre gesellschaftliche Anerkennung kämpfen. Als alleinstehende Frau galt sie in der prüden amerikanischen Nachkriegsgesellschaft als Außenseiterin und Sonderling. Ihr von dünnen Stahlstützen getragenes und nach allen Seiten hin verglastes Weekend Retreat am Ufer des Fox Rivers hingegen gilt heute als eines der berühmtesten Wohnhäuser des 20. Jahrhunderts. Schaut man sich nun die wenig konventionellen Lebensstile ihrer vornehmlich weiblichen Bauherrenschaft an [vgl. Alice T. Friedman: Women and the Making of the Modern House, 2006], so scheint es fast absurd, dass die Häuser Schröder, Stein-de-Monzie und Farnsworth zu Lifestyle-Ikonen werden konnten, deren Namen und Architekten heutzutage jeder Leser der einschlägigen Wohnzeitschriften von Architectural Digest bis Schöner Wohnen im Schlaf aufsagen kann. Was einst als Experiment gesellschaftlicher Außenseiter begann, taugt also längst auch noch der spießigsten Kleinfamilie, die am Stadtrand ihre so genannte Bauhausvilla bezieht, als vermeintliches Distinktionsmerkmal.

DIE FEINE IRONIE DER ARCHITEKTURGESCHICHTE

Ist diese Entwicklung nun absurd? Vielleicht ja! Aber ich nenne es doch lieber die feine Ironie der Architekturgeschichte. Und die ist zweifellos auch am Werk, als 1969 in der Oktoberausgabe des Playboys ausgerechnet das private Wohnhaus des amerikanischen Architekten Charles Moore auftaucht. In Europa kennt man Moore hauptsächlich als Architekten der Piazza d'Italia in New Orleans. Die farben- und formenprächtige Piazza inmitten des Geschäftsviertels der Stadt gilt als Ikone der Postmoderne und spaltet noch heute – fast 40 Jahre nach Ihrer Entstehung – die Gemüter. In Amerika galt Moore hingegen schon seit Mitte der 1960er als gefeierter Erneuerer der amerikanischen Architektur, durch die von ihm konzipierten kleinen, kostengünstigen Wohnhäuser, vor allem an der Ostküste der USA. Er setzte damit dem seit den 1940er-Jahren vorherrschenden International Style, dessen immer strenger gehandhabter Formen- und Materialkanon zunehmend in gesichtsloser Monotonie verkam [vgl. Jane Jacobs: The Death and Life of Great American Cities, 1961], ein neues, lebendiges Bild der Architektur entgegen. Anders als die Bauten des International Style, die in ihrem engen Schematismus kaum auf vorhandene Kontexte reagieren konnten, waren seine Wohnhäuser auf die jeweilige Landschaft abgestimmt, nahmen regional typische Materialien auf und spielten mit verschiedenen Traditionalismen und Symboliken der älteren amerikanischen Wohnhausarchitektur, ohne dabei starre Muster und Konventionen zu wiederholen. Damit traf Moore den Zeitgeist der 1960er. Die gesamte amerikanische Gesellschaft befand sich damals in einem gewaltigen Transformationsprozess, in dem das vorherrschende System samt seiner strengen Repräsentationsformen in Frage gestellt wurde. In diesem Kontext gewannen Moores zum Teil äußerst subversive Architekturen als Modelle einer alternativen Lebenswirklichkeit vor allem bei Studenten und jungen Architekten viel Aufmerksamkeit, was 1965 letztlich zu Moores Berufung als Dekan der Yale School of Architecture führte, damals wie heute eine der führenden Architekturschulen des Landes. In New Haven, der knapp eineinhalb Autostunden nördlich von New York gelegenen Universitätsstadt, bezog Moore kurz nach seiner Ankunft aus Kalifornien ein kleines Haus im Kolonialstil in der Nähe der Schule und begann neben dem Unterricht augenblicklich mit umfangreichen Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen. Es war bereits das vierte Haus, das Moore als Bauherr und Architekt für sich selbst realisierte. Drei weitere sollten in Zukunft noch folgen. Und es war, wie alle früheren und alle späteren Häuser des Architekten auf seine ganz spezielle Bauherren-Persönlichkeit hin zugeschnitten.

CHARLES MOORE UND SEIN NEW HAVEN HAVEN

Von außen sah man dem zweigeschossigen Haus, das mit seinem flachen Satteldach, den weiß gestrichenen Holzfassaden und dem kleinen Säulenportikus über der Eingangstür einen moderaten klassizistischen Charme versprühte, die Umbauten im Inneren kaum an. Dabei ließ Moore keinen Teil der bestehenden Innenarchitektur unberührt. Er riss alle Wände des Hauses nieder, entfernte die Vertäfelungen der Außenwände und öffnete schließlich Decken und Böden, um insgesamt drei Türme im Haus zu installieren, die teilweise vom Keller bis unter das Dach reichten. Moore nannte sie Howard, Berengaria und Ethel. Sie schufen Leerräume und verbanden so optisch die einzelnen Ebenen des Hauses, was ein amüsantes Spiel von Blickbeziehungen in Gang setzte. Verstärkt wurde dieser Effekt noch durch Moores spezielle Behandlung der Turmwände. Sie bestanden aus dünnen, mit geometrischen Ausschnitten versehenen Wandschirmen, die in mehreren Schichten hintereinander angeordnet vielfältige Überschneidungen und Durchblicke bildeten. Muster, Formen und Farben entlieh der Architekt dabei aus der aufkommenden Pop Art, aus der Moore auch die Vorliebe für Neonschriftzüge und andere, ironisch verfremdete Zitate aus der amerikanischen Alltagskultur übernahm. So entstand ein vom wilden Zeitgeist der 1960er-Jahre geprägtes Interieur, das schnell für Furore sorgte und sogar zur ersten Veröffentlichung über Moore in einer deutschsprachigen Architekturzeitschrift führte [vgl. db Deutsche Bauzeitung, Ausgabe 7/1968]. Die bemerkenswerteste Publizität hatte das Haus jedoch, wie schon gesagt, in der Oktoberausgabe des Playboy 1969. Unter dem Titel A Playboy Pad: New Haven Haven widmete das für seine freizügigen Centerfolds bekannte Männermagazin dem Haus ganze sechs, durchgehend mit Farbaufnahmen bebilderte Seiten. Inszeniert wurde die Fotostrecke des Magazins dabei als nächtliche Party. So zeigen die Aufnahmen größere und kleinere Gruppen von Gästen, die sich in den unterschiedlichen Ecken und Winkeln des Hauses amüsieren und man meint fast, das Stimmengewirr, das Klirren der Cocktail-Gläser und die schummrige Paartanzmusik der späten Swinging Sixties zu hören. Der begleitende Text spricht von ein paar Freunden, die der das Haus bewohnende Junggeselle eingeladen habe.

Charles Moore ©Playboy

DIE WOHNUNG DES JUNGGESELLEN

Die Betonung liegt dabei natürlich auf Junggeselle. Der ist, weil er von den Zwängen eines durchschnittlichen Familienlebens befreit ist und sich deshalb ständig auf die Jagd nach neuen weiblichen Bekanntschaften machen kann, nicht nur das Idealbild des Playboys, sondern im Amerika der 1960er-Jahre das Idealbild des Mannes schlechthin. Man denke etwa nur an den durchschlagenden Erfolg, den Ian Flemings Figur des James Bond damals hatte. Die Wohnung des Playboy-Junggesellen, so die Idee der Playboy-Autoren, spielt wiederum als Ort der Eroberung eine besondere Rolle. Die Frau, die hier eintritt, soll sich wohl fühlen und vor allem nie das Gefühl haben, allein zu sein. Denn sobald der Playboy die Frau allein lässt, etwa um im Nachbarzimmer einen Cocktail zuzubereiten, könnte sie es sich anders überlegen und das Haus hastig verlassen [vgl. Beatriz Preciado: Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia in `Playboy´, 2012]. Moores offenes Interieur mit seinen vielfältigen Ein- und Durchblicken ist deshalb für die Macher des Playboys ideal und so fokussieren die vermeintlichen Partyfotos immer wieder auf räumliche Situationen, in denen sich – wie etwa in den drei offenen Türmen – die verschiedenen Ebenen des Hauses optisch miteinander verbinden. Die schlagende Ironie hinter der Geschichte ist nun, dass der Architekt, Bauherr und Bewohner der abgebildeten Playboy-Bude zwar Junggeselle war, aber keineswegs ein Playboy im Sinne des gleichnamigen Magazins. Moore war schlicht und einfach schwul. Bei der Gestaltung seines Hauses konnte er deshalb auf abgeschlossene Räume – etwa für Kinderzimmer und dergleichen – verzichten und ein räumliches Zusammenspiel generieren, das alle Bereiche des Hauses spielerisch miteinander verbindet. Ob die Macher des Playboys von Moores Homosexualität wussten, als sie das Haus als prototypisches Playboy Pad porträtierten, wissen wir nicht. Moore selbst jedenfalls behandelte das Thema in Yale diskret – wohl vor allem deshalb, weil ihn zu Beginn der 1960er-Jahre Gerüchte über seine sexuelle Orientierung schon einmal eine sicher geglaubte Professorenstelle in Berkley gekostet hatten [vgl. David Littlejohn: The Life & Work of Charles W. Moore, 1984]. Für uns jedenfalls offenbart sich Moore damit als ein weiterer Bauherr des 20. Jahrhunderts, dessen Lebensumstände und Lebensvorstellungen mit den normativen Grenzen seiner Zeit in Konflikt gerieten. Und wie Truus Schröder, Edith Farnsworth, die Steins und Gabrielle de Monzie, prägte auch Moore mit seinem vermeintlichen Playboy Pad unsere Idee vom modernen Wohnen entscheidend mit.

EPILOG

Anders als die Häuser Schröder, Stein-de-Monzie und Farnsworth hat Moores Haus in New Haven die Zeit nicht überdauert. Schon in den frühen 1970er-Jahren verkaufte der Architekt die Immobilie. Die neuen Eigentümer ließen Moores Einbauten entfernen und versetzten das Haus in seinen ursprünglichen Zustand zurück – ob trotz oder gerade wegen der Veröffentlichung im Playboy, wissen wir nicht – Geblieben ist allerdings der Name: Im Internet wird es noch immer als Charles Moore House beworben. Aktuell steht das Haus wieder zum Verkauf.