Frei Otto, Meister der Leichtbauweise

Architekt Frei Otto hat dem Bauen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele bedeutende Impulse gegeben. Mit dem Münchner Olympiastadion wurde der Meister der Leichtbauweise berühmt. Frei Otto verstarb Anfang März 2015, der Pritzker-Preis wird ihm nun posthum verliehen. 

Frei Otto Olympiapark ©Cornelia Hellstern, München

Leichtbau ist unwiderruflich mit Frei Otto verbunden. Seine Bedeutung liegt darin, den Ingenieurbau aufgenommen und weiterentwickelt zu haben. Das Experiment, gebaute Denkmodelle, strukturbildende Momente von technischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Zusammenhängen standen im Fokus seines Schaffens. Im Brennpunkt seiner Suche und Forschung stand die konstruktive Vollkommenheit im Minimalen, mit wandelbaren, temporären Strukturen in der Architektur – künstlerisch, technisch und sozial. Formfindungsprozesse werden von den Gesetzmäßigkeiten der Leichtbauweise geleitet, die eine Brücke zur Ästhetik ermöglicht. 

„Man muss mehr denken, mehr forschen, entwickeln und wagen ...“ 
Georg Vrachliotis

Seine ersten geplanten Schirme für die Bundesgartenschau 1955 in Kassel und die Gartenschau 1958 in Saarbrücken waren noch unbeweglich. Den ersten wandelbaren Großschirm entwickelte Frei Otto mit einem Durchmesser von 19 Metern für die Bundesgartenschau in Köln 1971, der noch heute zur Anwendung kommt. Sechs Schirme überdeckten eine Fläche von 220 qm. Deren Stütztragwerk liegt oberhalb der Schirmhaut und bildet eine Trichterform, wodurch Regenwasser im Mastrohr abfließen kann. Gelenke an Armen und Streben bewirken, dass sich die Kragarmspitzen anheben und sich die Haut aus dünnem Gewebe unter den Armen spannt. Auf Basis des Kölner Typs entwickelte er 1977 für die US-Tournee von Pink Floyd zehn wandelbare Schirme, die im Bühnenboden versenkbar waren. 

Frei Otto Pink Floyd Schirme ©Jonathan Park, London

Großschirmkonstruktionen und Membrandächer

Das Team um Otto Frei entwickelte die Schirmbautechnik beständig weiter. Eine Gruppe aus sieben Schirmen wurde 1996 auf der Architekturbiennale in Venedig gezeigt. Bald lieferten montierte Solarzellen die nötige Energie für das Öffnen der Schirme. Membrandächer kommen heute vor allem im Stadionbau oder zur Überdachung von Freilichtbühnen zur Anwendung. Ausgereifte faltbare Großschirmkonstruktionen kommen heute auch mehr und mehr in der islamischen Baukultur zur Etablierung. Die Formfindungsprozesse für Membrane finden heute vor dem Rechner statt und die Fahrvorgänge werden von Sensoren gesteuert.

Um Qualitäten in der Architektur weiterzuentwickeln, braucht es Mut, Neugierde und auch Radikalität. Frei Otto verfügte zweifelsohne über diese Eigenschaften. Seine Modelle erzählen von der Präzision wissenschaftlicher Instrumente und der Imagination künstlerischer Artefakte, von den ersten Schirmkonstruktionen bis hin zur Konstruktionsweise der Gitterschalen. 

Frei Otto  ©Quer

Lange vor der ökologischen Bewegung hat sich Frei Otto mit Fragen der Umwelt und den menschlichen Eingriffen in bestehende Ökosysteme beschäftigt. Sein Bemühen um passive Solararchitektur setzte schon in den 1950er Jahren ein, lange bevor Nachhaltigkeit in aller Munde war. Unter ökologischem Bauen verstand Frei Otto die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse, Energieeinsparung in allen Bereichen, Wohnqualität in und mit Gärten sowie verbesserte Umweltbedingungen. 

Dieser Tage ist eine zweisprachige Publikation mit seinen wichtigsten Arbeiten im Münchner Detail-Verlag erschienen.

Frei Otto, der diesjährige Pritzker-Preisträger, wurde 89 Jahre alt.

Frei Otto Multihalle Mannheim ©Quer