Das Winzerkuckucksnest
Weingut Schmidt im deutschen Wasserburg am Bodensee. Die Vorarlberger Architekten Ludescher + Lutz haben auf einer -Hügelkuppe über dem Bodensee ein höchst elegantes Winzerhaus mit einem massiven Hangsockel für die Weinkeller und einem Holzbau für die darüber liegenden Geschoße realisiert. Das mächtige Satteldach wurde mit grau engobierten Wiener Taschen von Tondach eingedeckt. Zeit und Raum der Winzerfamilie werden für die kommenden Generationen neu organisiert, das Weingut wurde letztes Jahr in Betrieb genommen.
Von Doris Lippitsch
Schon seit Generationen sind die Obst- und Weinhänge des Weingutes Schmidt in Familienbesitz, das für seine qualitätsvolle Produktion und technische Perfektion bekannt ist. Die Weinhänge gipfeln auf einer Hügelkuppe, die den Blick auf den Bodensee und die Schweizer Berge im Süden freigibt. Diese außergewöhnliche Lage sollte den künftigen Standort des Weingutes festlegen, und zeitlos, elegant auch für die kommenden Winzergenerationen sein. Schon jahrelang war Bauherr Eugen Schmidt auf der Suche nach geeigneten Architekten für sein Vorhaben, an diesem besonderen Ort einen neuen Familiensitz zu errichten, der Obsternte, Weinproduktion und Verköstigung zusammenfassen und neue Weinliebhaber anziehen sollte.
Zeitloses, elegantes Erscheinungsbild
Voraussetzung für die Planung eines neuen Weingutes war ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Standort, der Natur sowie mit naturbelassenen Materialien. Folglich sollte das Raumkonzept ausgewogen alle Geschäftsbereiche eines modernen Landwirtschaftsbetriebes umfassen, in diesem Sinne nachhaltig sein und – nicht unwesentlich – der Kostenrahmen für eine Bauernfamilie in einem vertretbaren Rahmen bleiben. Die Vorarlberger Architekten Elmar Ludescher und Philip Lutz präsentierten ein in ein Landschaftsrelief eingebettetes Modell. „Damit war das Weingut schon mit dem ersten Vorschlag besser vorstellbar“, erinnert sich Weinbauer und Bauherr Eugen Schmidt. Für das Architektenduo sind ausdrucksstarke, architektonische Gebäude untrennbar mit der Umgebung verbunden, in ständiger Kommunikation mit einer Landschaft. „Gute Gebäude verstärken die Kraft eines Ortes“, davon ist Architekt Ludescher überzeugt. Das Raumprogramm wurde sodann gemeinsam mit dem Bauherrn entwickelt, um die verschiedenen Nutzungen – Weinproduktion, Obsthalle, Erntehelfer, Vermarktung – unter ein Dach zu bringen und Raum und Zeit für die Weinproduktion und -verköstigung neu zu organisieren. Entscheidend waren hierfür entsprechende Raumgrößen, um die Arbeitsabläufe des Winzerbetriebs bestmöglich definieren zu können. Für die beiden Planer, bis zu dem Zeitpunkt nicht damit vertraut, bedeutete dies: reden, sich austauschen, diskutieren und wieder reden.
Tradition regionaler Baukultur
„Der Planungsprozess war spannend“, so Architekt Elmar Ludescher über die ursprüngliche Ausgangssituation. Jene Sorgfalt, die sich seit Generationen im Weinbau bewährt, sollte sich in der handwerklichen Ausführung des Gebäudes wiederfinden. Schnell wurde nach Baubeginn ein wöchentlicher Jour fixe eingerichtet. „Der Weg vom ersten Plan bis zum fertigen Gebäude war eine höchst konstruktive und auf gegenseitige Achtung und Motivation bedachte Aufgabe“, schildert Ludescher mit seiner ruhigen, besonnenen Art, „Verbesserungen wurden bis zur letzten Minute auch ohne Rücksicht auf vorhandene Planunterlagen durchgeführt.“ Der Tradition der ruralen regionalen Baukultur folgend, ist das Gebäude in den Innenräumen ganz aus Holz gebaut und mit einer Holzfassade versehen. Besonders wichtig war es, mit dem Weingut zu verdeutlichen, dass dort Produkte des Ortes geschaffen werden. Authentisches Arbeiten und Schaffen, vergegenwärtigt über bewährte Elemente und naturbelassene Materialien aus der heimischen Baukultur, die neu interpretiert werden. „Wir wollen Menschen mit unserer Architektur berühren und über naturbelassene Materialien, die in Würde altern, Vertrauen herstellen“, so Ludescher. Das Haus ist mit einem mächtigen Satteldach mit grau engobierten „Tondach Wiener Taschen“ eingedeckt, die den langgestreckten Baukörper betonen und spannende lineare Schattenwürfe erzeugen.
Eine angemessene Architektur trifft den richtigen Ton in der Geste.
Elmar Ludescher
„Wir lernen aus den Gegebenheiten eines Ortes, intensivieren dessen Qualitäten und tragen diese weiter. Auch ein Neubau ist der Umbau eines bestehenden Ortes. Er wandelt den Ort, deutet ihn um, schreibt die Geschichte eines Ortes fort. Andererseits ist er an einem Ort verwurzelt und wird von ihm geprägt. Sonst kann es nicht verständlich sein. Es schafft Identität und prägt die Menschen, die dort leben“, führt Ludescher aus. Die Architekten nutzten den Höhenunterschied des Gipfels, um so den Weinkeller ebenerdig erschließen zu können. Das darüber liegende Geschoß orientiert das Gebäude zum hauseigenen Gastgarten hin, dort führt ein Wanderweg vorbei. An der Stirnseite zum Gastgarten öffnet sich schließlich die Vinothek mit freiem Blick zum Bodensee.
Akzeptanz durch Selbstverständlichkeit
Über zwei Freitreppen gelangt man von dort zur Weinverköstigung im Dachraum. Seine raumhohe Glasfassade wird durch einen Filter aus Holzlamellen vor der Sonne geschützt. Um dennoch den fantastischen Blick auf die Weinhänge, den Bodensee und die Berge genießen zu können, wurde ein sechs Meter breites, zweiteiliges Tor in die Fassade integriert, das für diese prächtige Kulisse einfach, aber dennoch mit einer „gewissen theatralischen Geste“ zu öffnen sein sollte. Diese technische Herausforderung löste ein pensionierter Maschinenbauer, der eine Mechanik mithilfe einer Kurbel entwickelte, mit der die Kräfte von einer Motorradkette auf eine horizontal angebrachte Welle übertragen werden.
Für besondere Anlässe und abendliche Gesellschaften bietet dieser Raum ein mondänes Ambiente mit offenem Feuer und einem maßgeschneiderten Kronleuchter. „Solange man ein Gebäude schätzt, wird man es auch pflegen und instand halten“, davon ist Ludescher überzeugt. „Hoch stehende handwerkliche Ausführung wird als solche geschätzt. Wir kommen aus Vorarlberg, einer Region, die über kleinteilige Strukturen und vitales Handwerk verfügt. Diese Wertschätzung ist ein starkes Bindeglied zwischen Architektur und dem Ort. Konstruktionen sollten immer auch die Ressourcen eines Ortes abbilden, sie herausfordern, aber nicht überfordern. Wir sind stolz darauf, wenn gutes Handwerk unsere Gebäude schmückt. Das verleiht ihnen eine selbstverständliche Präsenz“, ergänzt Ludescher. So werden Gebäude auch über Dauer gewartet, daher die enorme Bedeutung von Akzeptanz durch Selbstverständlichkeit. „Auch kann so die Nutzung unserer Gebäude für die Zukunft offen gehalten werden.“
Eines Tages werden die Holzfassaden vergrauen und mit dem Graubraun der Tondach Wiener Taschen verschmelzen: „Uns interessiert die Spannung zwischen dem Innen und Außen, die Atmosphäre und Lichtführung in den Innenräumen, die Übergänge, Schwellen – Überraschungen! Kurzum, wir entwickeln Bilder!“ Das Weingut schreibt seine Geschichte nun neu mit den Erinnerungen, die die Winzerfamilie und Besucher mit diesem außergewöhnlichen Ort verbinden werden.
In Zusammenarbeit mit TONDACH.