Bücherspiegel

Häuser für Menschen - Humaner Wohnbau in Österreich

Häuser für Menschen
Humaner Wohnbau in Österreich

Regie: Reinhard Seiß
DVD, 125 min
Müry Salzmann Verlag, Wien 2013
ISBN 978-3-99014-088-8

Das Einfamilienhaus als vielzitierter Traum der Österreicher und die Folgen der Stadtflucht für Volkswirtschaft wie Ökologie füllen zahllose Abhandlungen. Attraktive Alternativen zu "Legebatterien" und Zersiedelung versammelt Reinhard Seiß in seinem neuesten Dokumentarfilm.

Vier Ikonen des österreichischen Wohnbaus hat er hergenommen und zeigt dabei nicht Hochglanzarchitektur, sondern "Häuser für Menschen". Der Raumplaner, der sich mit "Wer baut Wien" nicht scheute, Bausünden und politische Verquickungen aufzuzeigen, verfilmt hier ein Plädoyer für den humanen Wohnbau. Abschreckend gibt er sich dabei er nur im Prolog. Da illustrieren verkümmerte Grashalme in Häuserschluchten und von Bungalows zerfressene Landschaften die alltägliche Baupraxis. Ansonst setzt er auf positive Vorbilder.

Rainers Gartenstadt Puchenau und Harry Glücks Wohnpark Alt Erlaa, das nachbarschaftliche Wohnen Guglmugl von Fritz Matzinger sowie die Sargfabrik von BKK2/BKK3 sind die vier Protagonisten für ganzheitliche Wohnqualität. Kommunikation, Naturnähe und individuelle Gestaltungsräume spielen hier die Hauptrolle. Jedes Porträt ist in sich geschlossen - somit auch bestens einzeln zu genießen - und leistet in Sachen Baukultur gekonnt Vermittlungsarbeit. Die Baugeschichte punktet mit historischem Filmmaterial in charmanten Retrofarben. Einblick in die Planungsphilosophie geben die Architekten selbst und dabei auch einiges von ihren Erfahrungen preis, wenn es um Vorgeschichten, Widerstände, gruppendynamische Prozesse oder kreative Interpretation der Bauordnung geht. Einblick gibt es auch in die Wohnungen selber, wenn die – zufriedenen - Bewohner berichten.

Viel Grün kommt hier vor: Wird doch der Umgang mit der Natur als menschliches Grundbedürfnis nachdrücklich postuliert, wie auch die Kommunikationsräume, die das generationenübergreifende Leben vereinfachen, eingefordert werden. - Ein Dorf in der Stadt könnte man meinen, eins allerdings, das auch für alternative Lebensformen offen ist. Mit dem "größtmöglichen Glück für die größtmögliche Zahl" gibt ein Architekt das Schlusswort und damit eine Richtung für den humanen Wohnbau vor.
Helga Kusolitsch

Zwischen Politik und Kunst
Die Staatlichen Museen zu Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus

Jörn Grabowski / Petra Winter (Hg.)
Böhlau Verlag Köln Weimar Wien, 2013
494 Seiten, Hardcover, ca. 90 Abbildungen in S/W. 49,90 EUR
ISBN 978-3-412-21047-2

Angesichts des spektakulären Kunstfundes Gurlitt in München ist eines klar: Vergangenes ist häufig so vergangen nicht. Vielmehr verdrängt. Von den rund 1.400 Bildern, darunter große Werke von Matisse, Beckmann und Chagall, dürften gut zwei Drittel Beutekunst sein. Die Vermutung, dass es sich dabei um enteignete Kunst oder um Werke handelt, die in der NS-Zeit ihren Besitzern zu einem Spottpreis abgenommen worden sein dürften, liegt nahe.

Mögen sich auch die Staatlichen Museen zu Berlin lange nicht mit ihrer Vergangenheit unter dem Naziregime beschäftigt haben, tun sie dies nun in dem vorliegenden Sammelband, derEinblick in die Aktivitäten der Sammlungen zwischen 1933 und 1945 gewährt.Die unterschiedlichen Museen, Mitarbeiter und Schicksale werden beleuchtet, und die weitreichenden Auswirkungen der antijüdischen Verdrängungspolitik auf die Museen und deren Reaktionen auf den Abbau der Demokratie profund thematisiert. Auch die Museumsinsel war keineswegs eine Insel der Seligen. Ab 1933 begann die Ausgrenzung jüdischer Mitarbeiter, sie wurden gekündigt oder in den Ruhestand geschickt. Jüdischen Besuchern wurde der Zugang zu den Museen verwehrt.

Dem Generalsekretär und überzeugten Nazi Otto Kümmel gelang es ab 1934 immerhin, den Museen eine weitestgehend ungestörte Existenz zu ermöglichen, womit er sie über weite Strecken politischen Begehrlichkeiten zu entziehen vermochte. Diese Museen wurden dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unterstellt und folglich als wissenschaftliche Einrichtung und nicht bildungspolitische Institution begriffen. Dennoch machten sich die Museumsleute die NS-Politik zunutze und gaben ihrerseits Empfehlungen zum Raub jüdischen Kunstbesitzes ab. Dies hätte durchaus in einem eigenen Beitrag hinterfragt werden können.

Dennoch wird deutlich, wie gespalten damals Museumspolitik betrieben wurde: zwischen Traditionsbewusstsein und ambitionierter Anpassung an die politische Situation.
Jennifer Lynn Karsten

Erfindet euch neu! Eine Liebesklärung an die vernetzte Generation

Michel Serres
aus dem Französischen von Stefan Lorenzer
Broschur, 69 Seiten, Suhrkamp Berlin 2013
ISBN 978-3-518-07117-5

Michel Serres, 83, der große Dichter-Philosoph und Mitglied der Académie française, verheißt der jungen Netzgeneration eine rosige Zukunft. Die kleinen "Däumlinge" – wie Serres sie großväterlich nennt – seien heute durch einen schnellen Klick über eine Sache besser informiert als jeder Gelehrte: Ein Blick in ihre tragbare "Kognitionsbüchse", das Smartphone, reiche aus. Erziehung obliege heute ganz und gar den Medien. Tatsächlich aber ist das Netz – Serres kennt es anscheinend schlecht – keine Enzyklopädie. Bestenfalls (bleibt es auch) ein Open Space für teils sehr umfassende Projekte, Meinungen und verkürzte Angebote, wie Google-Books oder Online-Zeitungen. Noch stellt der virtuelle Raum selbst ein Teilgebiet unserer Wissensgesellschaft dar – mit all seinen offenen Fragen zu Übersetzung, Zugang und Kontrolle. Serres aber kippt von der Beobachtung flinker Finger und schnellen Seitenwechsels – in durchaus zweideutiger Hinsicht – in abenteuerliche Zukunftsutopien: Er prophezeit "das Ende des Zeitalters des Wissens", des Expertentums und der großen "Entscheider". Von politischen und sozialen Zugehörigkeiten wie Parteien und Gemeinden emanzipiert, bevorzugten die "Däumlinge" den friedlichen Raum des Virtuellen. Dort organisierten sie sich in einer Gruppe – den sozialen Medien – und könnten bald das hierarchische Prinzip abschaffen. Der virtuelle Raum verhelfe der neuen, zunehmend individualisierten Gesellschaft zu einer neuen Demokratie des Wissens. Doch weder gibt es die eine Internet-Gesellschaft – im Sinne einer einzigen sozialen Gruppe, noch ist die Kommunikation hier so frei, wie Serres es vermeint. Die vielen einzelnen Plattformen, wie Facebook, GooglePlus, Twitter, VK, StudiVZ, etc. sind Unternehmen, die virtuellen Raum im Austausch gegen Daten anbieten. Nun sieht Serres ausgerechnet in diesen Daten das größte Befreiungsinstrument der Geschichte.Er schließt von den theoretischen Möglichkeiten des Internets auf deren ideale, soll heißen demokratische Anwendung. Tatsächlich lösen Medien aber nie Macht oder Machthaber ab, vielmehr werden sie von diesen entwickelt und eingesetzt. Durch jüngste Ereignisse sollte uns das so bewusst sein wie nie zuvor.
Luise Wolf