Sputnik am Mont Blanc

Futuristisches Schutzhaus in den französischen Alpen
Das "Refuge du Goûter" am Mont Blanc, höchste Baustelle Europas in 3.855 Metern Höhe, ist fertig gestellt. Ein Lokalaugenschein.

Von Benoît Robert

"Refuge" bedeutet Unterschlupf, Zuflucht, Berghütte oder Refugium, "le goûter" hingegen ist im Französischen jene süße Verheißung, die Kinderaugen zum Glänzen bringt: le chocolat, Schokolade zur nachmittäglichen Stunde, wenn die Kinder aus der Schule kommen.

Das "Refuge du Goûter" ist ein futuristisch anmutendes Schutzhaus für Kletterer am Weg zur Spitze des Mont Blanc. Rund ein Viertel der 30.000 Alpinisten, die sich jährlich an der Besteigung des Mont Blanc versuchen, kehren in diesem Refuge an der "Aiguille du Goûter" ein. Die ursprüngliche Berghütte des Französischen Alpenvereins wurde 1962 errichtet. Im Laufe der Jahre war sie zu klein geworden für die stetig wachsende Zahl der Alpinisten. Also musste eine neue her. Das Genfer Büro Groupe H Architectes Hervé Dessimoz und der Holzbauingenieur Thomas Büchi wurden mit dem Bau des neuen Schutzhauses beauftragt. Eine besondere Aufgabe an die Ingenieurskunst und Holzbautechnologie, die für die höchste Baustelle Europas in den französischen Alpen ein ausgeklügeltes Energiemanagement erforderte. Das ovale, vierstöckige Bauwerk wurde in Holz-Leichtbauweise konstruiert und steht nur zur Hälfte auf festem Grund, vielmehr auf kantigem Fels; die andere Hälfte ist auf Stahlpfeiler gestützt und verleiht dem Refuge du Goûter eine große Leichtigkeit.

Die extreme Höhenlage und die tiefen Temperaturen stellten Dessimoz und Büchi für die Selektion der Werkstoffe am "Dach Europas" vor eine enorme Herausforderung. Die Planungsphase dauerte fünf Jahre, nach dreijähriger Bauzeit wurde die neue Berghütte den ersten Bergsteigern im August 2012 geöffnet.

Dacharbeiten am Rande der Bergkante

Beinharte Knochenarbeit verlangte die Errichtung des höchstgelegenen französischen Schutzhauses den Arbeitern am Bau ab. Dessimoz plante gleich 55 Dachflächenfenster für maximales Tageslicht und natürliche Belüftung im Refuge du Goûter ein, - sie müssen allen Klima- und Wetterbedingungen in 3.855 Metern Höhe standhalten. Ein internationales Spezial-Team von Velux, dänischer Fenster-Hersteller und internationaler Experte für Dachfenster, erhielt den Auftrag für das Schutzhaus am Mont Blanc. Die Höhenlage und dünne Luft forderten bei der Montage ihren Tribut: Velux fertigte eine speziell für dieses Projekt entwickelte Dreifach-Verglasung mit einer zusätzlichen 8 Millimeter starken Glasschicht für Klimaschutz. Die 55 Glasscheiben wurden sodann per Helikopter zur Baustelle geflogen und dort eine Woche gelagert, um sich dem atmosphärischen Druck in extremer Höhe anzupassen. Erst nach Fertigstellung der Holzkonstruktion wurden sie dann in die Fenster eingepasst.

Die erschwerten Bedingungen erforderten eine spezielle Vorbereitung des Velux-Teams. "Vor der Montage mussten wir uns einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, ob wir fit genug sind, in dieser Höhe, in der Kälte und in der dünnen Luft überhaupt arbeiten zu können", schildert Teamleiter Jakob Swane Lund. "Alleine die paar hundert Meter zwischen dem alten Haus, in dem wir wohnten, und der Baustelle waren eine Herausforderung. Wir hatten Spikes an den Schuhen und brauchten manchmal sogar Eispickel, um dorthin zu gelangen."

Credits: oben, unten: A la Verticale
Querschnitt Groupe H Hervé Dessimoz