Wettlauf im All, Teil III

Im Herbst wurde das Cultural Centre of European Space Technologies, kurz KSEVT, im slowenischen Vitanje südwestlich von Maribor eröffnet. Das Kulturzentrum ist ein Raum für den Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft in einer Phase der „Postschwerkraft“ (postgravityart.at). Die Initiatoren und Leiter, Mihaturšic und Dragan Živadinow, versprechen eine Interaktion zwischen dem lokalen und den entfernten Planeten. Die Basis bildet die Reflektion und die Erforschung eines epochalen Werks, das 1929 unter dem Pseudonym Noordung erschienen ist.

hermannnoordung ©hermannnoordung

piONiERE DER RAUMFAhRt

Herman Potočnik (1892–1929) erblickt kurz vor Weihnachten 1892 in Pula das Licht der Welt – seine Eltern sterben früh, sein Onkel übernimmt die Fürsorge für das Kind. Eine rege Reisetätigkeit setzt in den Ländern der Österreich-Ungarischen Monarchie ein: Nach der Grundschule in Marburg besucht Potočnik die Militärschule in Mähren, um später in Mödling an der Technischen Militärakademie zu studieren. Er spezialisiert sich auf Brücken- und Eisenbahnbau. Seine militärische Karriere endet nach einem Einsatz im Ersten Weltkrieg in Galizien, Serbien und Bosnien, als er an Tuberkulose erkrankt. Er wird frühzeitig pensioniert und studiert an der Technischen Hochschule in Wien Elektrotechnik und Maschinenbau. Ab diesem Zeitpunkt beschäftigt er sich mit der Raumfahrt, die dabei ist, sich von fiktionalen Romaninhalten hin zu einer Reihe von technischen Problemen zu wandeln – ähnlich wie die Luftfahrt wenige Jahre zuvor. Dass diese Hindernisse nicht ohne Fehlschläge, Opfer und viel Geld überwunden werden können, ist ihm klar.

hERMAN pOtOčNik AliAS hERMANN NOORDUNG

1929 legt er sich ein Pseudonym zu und veröffentlicht als Hermann Noordung. Das Problem der Befahrung des Weltraums – der Raketen-Motor im Berliner Verlag Richard Schmidt & Co. Darin handelt er die Raumfahrt umfassend ab und führt den Leser in die physikalischen Grundlagen ein, die nötig sind, um die Erdanziehung zu überwinden – er nennt das Kapitel Die Macht der Schwere. Seinen Text reichert er um viele Skizzen an, die in einer bestechend reduzierten Form die Theorien untermauern. Erkenntnisse der Vordenker fasst er zusammen und würdigt diese auch namentlich. Dabei ist seine Liste erstaunlich komplett und liest sich wie ein Who-is-Who der Weltraumpioniere: Ziolkowski, Oberth, Goddard u.a. Er behandelt grundsätzliche Fragen, vor allem das Prinzip des Raketenmotors in der ein- und mehrstufigen Variante sowie die Frage nach dem Treibstoff und seiner benötigten Menge. Er kommt nicht um das Prinzip herum, die Erde mit einer Kanone zu verlassen – so wie von Jules Verne in seinem Roman von der Erde zum Mond beschrieben. Dieser dürfte sich den Zeitgenossen scheinbar tief ins Bewusstsein eingeschrieben haben. Noordung schließt daraus, dass in der Kapsel „alles zu Brei wird“.
     Nachdem es möglich ist, eine Kapsel in den Orbit zu bringen, stellt sich die Frage nach der Rückkehr. Die Theorien muten recht abenteuerlich an, wobei es in seiner Zeit schon als gesichert gilt, dass der Wiedereintritt in die Atmosphäre zu einer schwer kontrollierbaren Hitzeentwicklung führt. Der Raketenmotor ist Noordung nicht genug und so überlegt er sich, was man mit den Raketen so alles machen könnte. Eine militärische Nutzung für die Technik hält er für furchtbar. Bei seinen Kostenschätzungen für die Entwicklung der Weltraumfahrzeuge liegt er, wie viele Weltraumpioniere, völlig daneben.

hermannnoordung ©hermannnoordung

vAtER DER WEltRAUMARchitEktUR

Noordung erfindet die Raumstation, eine Weltraumwarte in fast 36 Kilometern Höhe über beispielsweise Berlin. Diese stellt er sich ringförmig und rotierend vor, um durch die Fliehkraft die Erdanziehung zu simulieren – bei einem Durchmesser von 30 Metern sollte alle acht Sekunden eine vollständige Drehung erfolgen.
     In diesem Zusammenhang macht er sich auch über die möglichen Seelenzustände der Reisenden Gedanken. Sein Ausgangspunkt sind Skispringer. Er analysiert deren Verfassung nach dem Sprung der Sportler, die in seinen Augen – zumindest kurzzeitig – den Zustand der Schwerelosigkeit erlangen. Immer wieder erstaunen seine Detailbeobachtungen, wie etwa zur Frage, was wohl mit Staub, kleineren Partikeln oder Flüssigkeiten in der Raumkapsel passiert. Ausführlich denkt er auch über die Bedeutung von Luft und Wärme außerhalb der Atmosphäre nach und konzipiert Beleuchtungs- und Heizsysteme, um auch Schleusen und Raumspaziergänge zu ermöglichen. Die russische Historikerin Tanja Zhelina bezeichnet Noordung als „Vater der Weltraumarchitektur“.
     Völlig verarmt stirbt Herman Potočnik 1929 in Wien infolge einer Lungenentzündung. Noordungs Nachlass gilt als verschollen. Seine Ideen aber hallen bis heute nach: Die Form der Raumstation taucht beispielsweise in Kubriks Film 2001 – A Space Odyssee auf, und der Asteroid 19612 Noordung durchkreuzt die unendlichen Weiten des Weltraums. In Graz und Maribor ist jeweils eine Straße nach ihm benannt. Wernher von Braun betonte Noordungs Bedeutung für seine Arbeit, und der erste amerikanische Kommunikationssatellit auf einer geostationären Umlaufbahn – Syncom 3 – wurde 1964 exakt auf jene Position gebracht, die Ziolkowski und Noordung errechnet hatten.
     Heute ist der Weltraum längst industrialisiert. Immer mehr Satelliten werden in die Erdumlaufbahn gebracht. Sie liefern u.a. meteorologische Daten, sichern unsere Telekommunikation und versorgen jeden Erdwinkel mit GPS. Hunderttausende Menschen arbeiten in Industrieunternehmen, die für die Raumfahrt tätig sind. Ganze Städte könnten folgen, wenn die Transportwege einmal leistbar sind. Denn: Rohstoffe von Himmelskörpern sind begehrte Ware. Die Unternehmungen sind derzeit sehr teuer: Ein Kilogramm in den bzw. aus dem Weltraum zu transportieren geht in den fünfstelligen Bereich.

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ROhStOFFE iM All

Es sind die privaten Unternehmer, welche die Forschung dahingehend vorantreiben werden, Rohstoffe aus dem All abzubauen. Industrie und Forschung arbeiten Hand in Hand, kommerzielle Nutzung verspricht das große Geld. Weltraumorganisationen sind in ihren Zielen der Wissenschaft verschrieben und Wegbereiter für neue Technologien. So etwa bei der In-Situ Resource Utilization (ISRU). Dabei werden Rohstoffe, die auf astronomischen Objekten zu finden sind, genutzt, um Teile der Mission zu erfüllen. Zur Zeit testet eine Projektgruppe der NASA einen Rover, der Ressourcen auf Mars, Mond oder Asteroiden aufspüren, analysieren und abbauen soll. Dadurch können etwa lebenserhaltende Systeme unterstützt, Materialien zum Bau von Habitaten verwendet und Raketentreibstoff hergestellt werden.

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plANEtARy RESOURcES

Angeheizt durch den medialen Hype rund um die Marsmission von Curiosity treten auch immer mehr private Organisationen mit ihren Plänen zur Erforschung des Weltalls an die Öffentlichkeit. Planetary Resources Inc, eine Firma rund um Larry Page (Google Gründer), Eric Schmidt (Ex-Google Chef) und James Cameron (Hollywood-Regisseur), versucht, Asteroiden zu verwerten. Die Asteroiden sollen eingefangen und in eine Mondumlaufbahn gebracht werden, um dann mit Robotern die Rohstoffe abbauen zu können. Dabei ließen sich vor allem Wasser, Eisen, Nickel, Kobalt sowie andere, (noch) nicht bekannte Stoffe gewinnen. Eine weitere Art von Ressourcen will Google erwirtschaften. Bei dem mit 30 Millionen Dollar dotierten Lunar-X Preis sollen Privatunternehmer einen Roboter zum Mond entsenden, der 500 Meter auf der Mondoberfläche zurücklegt und Bild- bzw. Videomaterial zur Erde transportiert. Rund 25 Teams sind derzeit darum bemüht, dieses Ziel zu erreichen.
     Der Mond erscheint trotz fehlender Atmosphäre als notwendiger und nächster Schritt in der Exploration des Weltraums. Durch seine Nähe und erprobte Erreichbarkeit ermöglicht er es, zahlreiche Technologien zu testen. Aber nicht nur: Neben dem Wissen um Edelmetalle ist es vor allem Helium 3, das ihn reizvoll erscheinen lässt. Das leichte Isotop ist auf der Erde rar und wird für Kernfusionsreaktoren genutzt. Seit Jahren propagieren Weltraumexperten schon, die Rohstoffe des Mondes zu nutzen.
     Es ist eine logische Konsequenz, dass sich Menschen für diese Ideen begeistern und der Industrialisierung des Weltraums ganze Städte folgen werden, wie schon Brent Sherwood von der NASA festhielt. Wenn Rohstoffgewinnung auf anderen Planeten leistbar wird, ist es nur noch ein kleiner Schritt dahin, dass sich Menschen rund um diese neuen Industriestätten ansiedeln werden. Ein ähnliches Projekt visiert „Mars One“ rund um den Niederländer Bas Lansdorp an. Im Laufe des kommenden Jahres soll die erste Mannschaft rekrutiert werden, die bis 2023 eine Kolonie auf dem Mars errichten soll. SpaceX, die Space Exploration Technologies Corporation, hat gerade den ersten privaten Weltraumtransport erfolgreich durchgeführt und soll die Rakete dafür zur Verfügung stellen. In Big Brother-ähnlicher Manier werden die Freiwilligen – so ist es geplant – sich sodann die erste Siedlung jenseits der Erde aufbauen. Die Welt sieht dabei zu.

NEUES lAND

Der Marquis de Rays (Charles Marie Bonaventure du Breil, 1832–1893) wollte einst die Südspitze einer Südseeinsel an auswanderungswillige Europäer verkaufen. In einer beispiellosen Kampagne vermarktete er Mitte des 19. Jahrhunderts das heutige Papua Neuguinea. Er gründete eine Firma, gab unter einem Pseudonym eine Zeitschrift heraus, die in großem Stile über die Vorbereitungen auf der Insel berichtete, komponierte eine Hymne, entwarf eine Fahne und krönte sich nach erfolgreicher Gewinnung zahlreicher Investoren selbst zum König Charles I. von Ozeanien. Die Crux dabei war, dass er dort weder Land besaß, geschweige denn Papua Neuguinea je betreten hatte. Dennoch gelang es ihm, den Mythos aufrecht zu erhalten. 1879 stachen die ersten Neugierigen mit einem Expeditionsschiff in See. Beinahe vier Monate dauerte die Überfahrt der gutgläubigen Auswanderer, die, kaum angekommen, sich neben mangelndem Proviant auch noch mit einem malariaverseuchten Sumpfland konfrontiert sahen. Drei weitere Schiffe folgten, während sich der Marquis längst mit seiner Geliebten auf und davon gemacht hatte. Das Unterfangen kostete 345 Menschen auf der Suche nach dem Glück ihr Leben.
     Experten sind sich uneins, wie Mars One zu bewerten ist. Doch das Beispiel aus der Geschichte zeigt, wieviel Risiko Menschen bereit sind einzugehen, wenn sie ein besseres Leben vor Augen haben.

Noordungs Weltraumwarte diente den Architekten als Vorlage für das Kulturzentrum in Vitanje: Auf einem Glaszylinder ruht ein metallischer, dynamisch geformter Ring mit einem großzügigen Atrium. Aus einem geladenen Wettbewerb für das Gebäude im Jahr 2008 ging die Architectural Union for Vitanje siegreich hervor – eine Arbeitsgemeinschaft aus vier Architekturbüros: Bevk Perovič Arhitekti, Dekleva Gregorič Arhitekti, Ofis Arhitekti and SADAR + VUGA Architects.

Das Raumangebot ermöglicht temporäre Ausstellungen, aktuell ist Yuri Alekseyevich Gagarin: the sky is black, the earth is blue zu sehen sowie die Dauerausstellung Herman Potočnik Noordung: 100 Monumental Influences.

www.ksevt.eu www.postgravityart.org


Text: SPUTNIK PRODUKTION – CHRISTOPH HAUZENBERGER, DORIS LIPPITSCH, DAVID PASEK, JANA REITER