Tageslicht, das beste Licht, das wir haben.

Über die Wirkung von Tageslicht auf unser Wohlbefinden und seine Bedeutung in der Architektur unterhielt sich Doris Lippitsch mit Architekt und Lichtforscher Gregor Radinger von der Donau-Universität Krems. Dort wurde ein Lichtlabor eingerichtet, das dem Himmelsraum nachempfunden ist und es ermöglicht, Lichteinträge für Gebäudekonzepte zu planen und zu simulieren.

Herr Radinger, seit Jahren sind Sie in der Lichtforschung tätig. Mit welchen Werkzeugen arbeiten Sie?

Ich bin Architekt und arbeite mit Gegebenheiten. Wovon gehe ich aus, für wen baue ich? Bauen wir für alte oder junge Menschen? Welche Bedürfnisse haben sie? Wo wollen sie ein Projekt verorten? Sind wir in der Stadt? Stehen wir im Grünen? Standorteigenschaften sind für Lichteinträge in Gebäuden von grundlegender Bedeutung. Natürliches Licht ist das beste Licht, das uns zur Verfügung steht. Das Auge passt sich an seine physikalischen Eigenschaften an. Gleichzeitig haben wir gelernt, unsere Häuser so zu bauen, dass wir unser Auslangen mit Tageslicht finden müssen. Gebäude wurden über Jahrhunderte so gestaltet, dass Tageslicht bestmöglich in den Innenräumen genutzt werden konnte. Dieses Wissen ist heute im Begriff verloren zu gehen.

Worauf ist das zurückzuführen?

Auf die technischen Möglichkeiten, die uns heute zur Verfügung stehen. Wir sind nicht mehr unmittelbar auf Tageslicht angewiesen, um visuelle Aufgaben zu erfüllen. Heute können alle Dinge mit Kunstlicht sichtbar gemacht werden. Zweifelsohne gibt es bedeutende Entwicklungen in der Kunstlichtforschung und energieeffiziente Leuchtmittel mit einer hohen visuellen Qualität, eine davon war die gute alte Glühbirne. Dennoch sehe ich hohen
Informationsbedarf, um uns wieder mehr auf Tageslicht zu besinnen. Ich vermute, dass unsere visuelle Wahrnehmung sehr geduldig ist.

Das menschliche Auge ist also tolerant?

Ja, schlechtes Licht nehmen wir in Kauf, bei Lärm oder Geruch würden wir einen Raum vielleicht verlassen oder erst gar nicht betreten. Die Einflussnahme von Lichtsituationen auf Aufmerksamkeit, Wohlbefinden und Gesundheit ist ein Forschungsfeld, das erst im Bewusstsein von Planern verankert werden muss. Es kann sein, dass uns die visuelle Sensibilität langsam abhanden kommt.

Wie manifestiert sich das?

Befinde ich mich lange in einem (Arbeits-)Raum mit einer schlechten Lichtquelle, kann das neben visueller Beeinträchtigung auch Unwohlsein, verminderte Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit sowie Unzufriedenheit hervorrufen und sich langfristig auf
die Gesundheit auswirken. Gleichzeitig beeinflusst Licht bzw. solare Strahlung unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit entscheidend, auch in den nicht sichtbaren Spektralbereichen. Fehlt ultraviolette Strahlung in bestimmten Wellenlängenbereichen, produziert der Körper zu wenig Vitamin D. Eine direkte Folge sind Mangelerscheinungen wie Osteoporose oder Herzkreislauferkrankungen. Neuesten Studien zufolge ist auch Diabetes darauf zurückzuführen.

Ist das messbar?

Ja, das ist messbar. Das Auge reagiert sensibel auf starke oder schwache Kontraste, Blendung etc. Entscheidend sind bei künstlichen Lichtquellen die Zusammenhänge zwischen Beleuchtungsstärke und Farbtemperatur. Als unangenehm oder fahl wird beispielsweise eine kalte Lichtfarbe bei geringer Beleuchtungsstärke empfunden. Wesentlich ist also, dass sie in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.

Wie wird generell Beleuchtungsstärke am Arbeitsplatz geregelt?

In den meisten Fällen wird die Beleuchtungsstärke auf einer Arbeitsfläche, einem Arbeitstisch, gemessen. Gehen wir von einem Normwert von 500 Lux aus. Wir fühlen uns dann wohl, wenn die Qualität einer Lichtquelle und die spektrale Zusammensetzung des vorhandenen Lichts stimmen. Hier liegt der große Vorteil von Tageslicht. Natürliches Licht steht uns aber nur tagsüber zur Verfügung. Für uns ist es daher wichtig, das enorme und noch dazu kostenfreie Lichtangebot des Außenraumes bestmöglich im Innenraum zu nutzen. Daher ist die Fassadengestaltung besonders wichtig, durch die Tageslicht in Innenräume gelangt. Letztlich ist die richtige Auswahl von Glas, Sonnenschutzelementen und Lichtlenkungssystemen auch für die thermische Beherrschbarkeit von Gebäuden verantwortlich. Denn: Lichteintrag bedeutet immer auch Strahlungs- bzw. Energieeintrag, den wir im Winter nutzen, der uns aber im Sommer – im Sinne der Überhitzung und Sommertauglichkeit – Schwierigkeiten schaffen kann.

An der Donau-Universität Krems haben Sie ein Lichtlabor eingerichtet. Dort entwerfen, messen und simulieren Sie Gebäudekonzepte. Geben Sie uns ein aktuelles Beispiel?

Das Lichtlabor ist ein interessantes Werkzeug, weil es auf einfache Art und Weise veranschaulicht, wie sich der Lichteintrag an Gebäuden abzeichnet. Es ist ein kuppelförmiger Raum mit sechs Metern Durchmesser, ausgestattet mit Halogenhochvoltglühlampen, deren Helligkeit am Kuppelscheitel dreimal so hoch ist wie an der Basis. Diese Einstellung ermöglicht, einen bedeckten Himmel zu simulieren und Tageslichtquotienten zu messen, d.h. die entscheidende Maßzahl für die Menge an natürlichem Licht im Innenraum. Ein aktuelles Beispiel ist das Sunlighthouse von Velux, das wir anhand von Plänen genau berechnet haben. Mittlerweile wird das Haus bewohnt. Wir untersuchen derzeit, wie sich unsere Berechnungen zum tatsächlichen Verbrauch und Bedarf verhalten. Diese Studie wird im kommenden Frühjahr abgeschlossen sein.

Wie groß ist das Interesse in der Industrie und Wirtschaft?

Die Nachfrage wächst. Wichtige Erkenntnisse aus unseren Forschungen und Lichtlaboranalysen können für die Gestaltung von Fassaden und Raumgeometrien abgeleitet werden, um eine energieeffiziente Architektur mit hoher Nutzerakzeptanz zu schaffen. Ziel ist integrales Planen und Bauen mit Tages- und Kunstlicht. Lichtplanung ist ein hochgradig interdisziplinärer Prozess: Wie kann optimale Lichtplanung aussehen, wie können Baukomponenten sowie Fenster- und Fassadengestaltung optimale Lichteinträge und ausgewogene thermische Performance ermöglichen? Derzeit wird ein Lichtplaner – wenn überhaupt – auf den Plan gerufen, wenn ein Gebäude bereits fertig geplant oder gebaut ist.
Wir sollten uns wieder mehr auf unsere traditionelle Baukultur berufen. Kirchenräume bieten eine gute Sehschule. Die Frage ist immer: Wie nehmen wir Licht wahr? Das Bewusstsein für eine tageslichtsensitive Architektur muss aber erst geschaffen werden. Dazu wollen wir mit unserem Seminar für Lichtplanung ab März 2013 beitragen.

Das Gespräch führte DORIS LIPPITSCH

Gregor Radinger studierte an der TU Wien und absolvierte den Universitätslehrgang Sanierung und Revitalisierung an der Donau-Universität Krems. Lehrtätigkeit an der Kunstuniversität Linz sowie an der Abteilung für Raumgestaltung und nachhaltiges Entwerfen an der TU Wien. Seit 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Bauen und Umwelt an der Donau-Universität Krems, dort leitet er das Zentrum für Lichtplanung, das Lichtlabor Krems, und das Expertenseminar Lichtplanung, das im März 2013 startet.