Mit dem Kopf durch die Wand
Heinz Neumann ist Architekt mit Leib und Seele und das seit über 40 Jahren. Er mag keine Star-Architekten – und Wettbewerbe fände er gut, wenn sie ordentlich ablaufen würden. Vor allem aber: Neumann nimmt sich weder vor Politik noch der Bauwelt ein Blatt vor den Mund und sprüht vor Ideen und Verbesserungsvorschlägen für eine bessere Architektur für alle Menschen.
Wozu brauchen wir Architektur? Wie schätzen Sie den Stellenwert von Architektur in Österreich ein und wie das Bewusstsein dafür bei Bauherren?
Alles ist Architektur – die kann gut oder schlecht sein. Aber auch schlechte Architektur ist Architektur. Österreich hat sehr interessante Architekten und spannende Architektur, nur leider stellen sich unsere Politiker gern selbst dar und das mit Vorliebe über ausländische Architekten. Das Bewusstsein der Bauherren für Architektur hat sich hingegen in den vergangenen Jahren sehr gebessert. Früher ging es hauptsächlich darum, den Bedarf zu decken – für den Moment. Heute geht es zum Glück um mehr und um Räume zum Wohlfühlen für Menschen.
Wie steht es denn um die Bauherren – öffentliche und private, worin unterscheiden sich diese?
Die öffentliche Hand setzt bei vielen Projekten für mich unverständliche Zeichen. Bei so manchen Bauvorhaben werden sogenannte Architekturikonen beschäftigt – Wozu? Es werden mit Steuergeldern Entwürfe bezahlt, die nichts mehr mit einem vernünftigen Augenmaß zu tun haben, denen jegliche wirtschaftliche Grundlage fehlt. Politiker meinen, dass sie sich über solche Projekte positiv in Szene setzen können. Das Bewusstsein für eine wirtschaftliche Finanzierung ist bei privaten Bauherren mit Sicherheit besser ausgeprägt. Die Architektur von Kolleginnen wie Zaha Hadid ist kaum alltagstauglich, selten in ihrer Funktion sinnvoll – meist auffällig, aber nicht mehr. Wenn man sich einen intelligenten Campus anschauen will, dann muss man zu Bill Gates nach Vancouver fahren – da sieht man, wie man sinnvoll mit Geld umgeht.
Wie entwickelt sich ihrer Meinung nach der heimische Wohnbau?
Kurioserweise ist zurzeit der frei finanzierte Wohnbau billiger als der soziale – und das lässt Nachdenklichkeit aufkommen. Vor allem die Politik sollte alarmiert sein. Diese Preistreiberei kommt auch daher, dass im sozialen Wohnbau viele Maßnahmen eingefordert werden, die unnötig sind.
Zum Beispiel die Vorschrift, dass jede Wohnung behindertengerecht sein muss – wobei bei uns nicht einmal ein Prozent beeinträchtigte Menschen leben. Warum muss bei uns jede Tür mindestens 80 Zentimeter breit sein? Wer ordnet so etwas an? Das ist doch Waste of Money, wir haben nicht 100 Prozent beeinträchtigte Menschen. Die Stadt sollte einmal nach Holland fahren und sich dort den Wohnbau anschauen – dort sieht man, was sinnvoll ist und wie man gut wirtschaftet.
Der Bedarf an leistbarem Wohnraum steigt, Konzepte fehlen – ihr Erfolgsrezept dafür?
Das Erfolgsrezept ist 1:1 in Holland gebaut: Man geht mit den Ressourcen sinnvoll um – ohne Vorschreibungen, die den Preis und die Baukosten hinauftreiben, baut nicht mit endlosen Nachhaltigkeitsgedanken, sondern befriedigt eine Nachfrage. Das ganze Technikdenken und die Passivhauswut im Wohnbau halte ich für sehr passiv. Ein Fenster gehört zum Aufmachen, Schwitzwasser wischt man ab und fertig. Aber dabei herum manipulieren, alles überisolieren, das halte ich für absurd – und es hat in Wahrheit gar nichts mit Nachhaltigkeit zu tun.
Was macht einen guten Architekten aus?
Ein guter Architekt arbeitet mit Augenmaß und denkt nicht daran, sich selbst zu verwirklichen, sondern ist bemüht, mit seinem Bauherrn eine bedarfsgerechte, wirtschaftliche Lösung zu finden. Es gibt Projekte, bei denen der gute Architekt eigentlich sagen müsste: „Nein, das Projekt mache ich nicht mit.“
Was macht guten Städtebau aus?
Eine Stadt kann man nicht planen – sondern nur entwickeln. Entwickelte Städte sind menschengerechte, geplante Städte sind meistens seelenlos. Wien ist sehr heterogen – die Planung ist nicht ganz ablesbar, was ich wiederum sehr charmant finde.
Stararchitekten sind vielleicht ein Kult, der von der Presse gemacht wird. Man hat gerne Helden und Diktatoren. Menschen sehnen sich immer wieder nach einem Leithammel, vielleicht weil sie selbst zu bequem zum Nachdenken sind.
— Heinz Neumann
Welches Image in puncto Architektur hat Österreich?
Das sieht man sehr gut daran, wie man als österreichischer bzw. als deutscher Architekt empfangen wird. Der deutsche Architekt wird ob seines Wissens geschätzt – in Österreich wird man nur sehr beiläufig beachtet.
Der „Wert“ von Architektur: Wenn ein Bauherr fragt, was der Wert von Architektur für ihn ist – was antworten Sie ihm?
Wer es fassen kann, der fasse es. Es gibt Bauherren, die es eben verstehen und solche, die es nicht kapieren. Aussagen wie „Ja, wenn Sie das wollen, Herr Architekt, dann müssen Sie es auch bezahlen...“ – was soll ich da noch sagen? Aber letztlich sind solche Aussagen auch ein Spiegelbild des Bauherrn.
Nachhaltigkeit: Ein viel strapaziertes Wort – doch ohne geht’s anscheinend auch nicht. Wie gehen Sie damit um?
Dazu stehe ich sehr kritisch, denn Nachhaltigkeit an sich ist ein alter Hut und in Wahrheit eine selbstverständliche Pflicht für Architekten. Nachhaltigkeit ist ein wunderbares Schlagwort geworden, niemand weiß genau, was es eigentlich bedeutet. Ich meine, nachhaltig Planen und Bauen ist doch State of the Art. Wir haben immer an den Grenzen der Machbarkeit gebaut, heute nennt man es nachhaltig.
Dürfen Glastempel dann überhaupt als nachhaltig bezeichnet werden?
Sicher nicht. Ich habe selbst mit großer Begeisterung Glaspaläste gebaut, doch heute würde ich in einigen Fällen anders an die Bauaufgabe herangehen. Architektur ist ein Spiegelbild der Gesellschaft und die Gesellschaft wandelt sich. Die Energieressourcen verringern sich ablesbar. Daher reagieren das Bauwesen, der Architekt und die Gesellschaft darauf.
Warum braucht eine Gesellschaft immer wieder Stararchitekten?
Gute Frage, ich weiß es nicht. Vielleicht ein Kult, der von der Presse gemacht wird. Man hat gerne Helden und Diktatoren. Menschen sehnen sich immer wieder nach einem Leithammel, vielleicht weil sie selbst zu bequem zum Nachdenken sind. Die Projekte sind dann meist nach kürzester Zeit museal – weil sie keinen beständigen Wert haben. Gute Architektur hat aber immer einen Zweck – und sollte Generationen überdauern.
Biennale – die Schau der Besten?
Das ist ein verzichtbarer Rummel. Ich schau mir das nicht mehr an. Was ich dort sehe, sind irregeleitete junge Hochschulabsolventen, die dann Projekte produzieren, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben. Das liegt aber auch an der Ausbildung: Bereits auf der Universität werden Architekturikonen kopiert, was dann mit der Wirklichkeit, was ein Architekt tatsächlich zu leisten hat, nichts zu tun hat. Die Hochschulabsolventen sind ahnungslos. Wenn ich auf die Frage, was Bauklasse vier ist, die Antwort erhalte: vier Stockwerke, dann wird deutlich, wie es um die Architekturzukunft bestellt ist.
Das Gespräch führte GISELA GARY