Mission Nase

Gerüche sind Sissel Tolaas’ Welt. Seit den 1990ern sammelt die norwegische Chemikerin Düfte, ihr Berliner Archiv umfasst mehr als 7.800 Geruchsproben. Sie unterrichtet an der Harvard University, stellt Geruch im MoMA in New York oder im National Museum in Beijing aus, arbeitet mit Krankenhäusern oder Firmen wie Adidas, Ikea oder Louis Vuitton zusammen. Sie selbst bezeichnet sich als „professional in-betweener“, deren Arbeitsfeld zwischen Wissenschaft und Kunst liegt.

Wie haben Sie begonnen, sich mit dem Geruch einer Stadt zu beschäftigen?

Meine Arbeit als Forscherin geht in alle möglichen Richtungen, davon ist die Stadt nur ein Teil. Durch Experimente, die ich als Chemikerin durchgeführt habe, bin ich zum Geruch gekommen.
     Wann wird das Unsichtbare sichtbar? Ja – das Ungreifbare greifbar? Diese Fragen haben mich interessiert. Und was passiert dazwischen? Oft ist es so, dass der Geruch fundamental überrascht. Er beinhaltet durch die Geruchsmoleküle viele unsichtbare Informationen, die es zu entschlüsseln gilt. Wenn man sich fragt, wozu die Nase fähig ist, dann eröffnen sich Fragen auf allen Ebenen.
     Mir ist aufgefallen, dass ich durch den Einsatz der Nase viel mehr Informationen über Städte und Stadtteile erhalte, als ich je gedacht hätte. Dadurch versteht man die Stadt auf eine neue Art und Weise. Man kann viele Qualitäten neu entdecken. Auch Orte, die man zu glauben kennt, können durch den Geruchssinn auf einer neuen Ebene wahrgenommen werden.

geruchsprobe ©astakev

Wie fangen Sie Gerüche ein?

Es kommt darauf an, wie komplex der Geruch ist und ob er gut erreichbar ist. Manchmal genügt eine einfache Probe. Wenn dies aber nicht möglich ist, benutze ich eine Art Staubsauger, mit dem ich die Geruchsquelle abfahre. Im Labor werden dann die einzelnen Geruchsmoleküle analysiert.
     Aber das eigentliche und endgültige Werkzeug für die Analyse ist die menschliche Nase. Keine Technologie kann es mit ihr aufnehmen.

Die Stasi hatte ebenfalls eine umfangreiche Duft-Datenbank angelegt. Hat Sie das motiviert?

Nein – auf keinen Fall. Ich bin zwar für mein Chemiestudium kurz vor der Wende durch ein Auslandsstipendium nach Berlin gekommen, aber nach Westberlin. Dass die Stasi Geruchsproben gesammelt hat, zeigt, dass sie damals schon sehr kreativ waren. Ich will nicht wissen, was sie noch gemacht haben!

Was unterscheidet Städte wie Paris, London, Wien von Berlin?

Der Geruch ist Teil der Identität der Städte und ihrer Stadtteile. Jede Stadt hat verschiedene Funktionen. Meine Untersuchungen in Bezug auf die Städte richten sich aber immer nach den Auftraggebern. Sie bestimmen den Fokus. Beispielsweise kann Umwelt ein Thema sein – oder Toleranz. Aber ich entwickle kein sogenanntes Stadtparfüm.

Wer sind ihre Auftraggeber?

Ich arbeite häufig als Beraterin für Firmen, zum Beispiel habe ich gerade für Adidas ein Projekt gemacht. Aber auch für Universitäten, Länder, Städte – häufig geht es ums Image. Direkt für die Werbewirtschaft arbeite ich nicht, ich versuche, so wenig kommerzielle Aufträge wie möglich zu machen.

Oft ist es so, dass der Geruch fundamental überrascht. Er beinhaltet durch die Geruchsmoleküle viele unsichtbare Informationen, die es zu entschlüsseln gilt. Wenn man sich fragt, wozu die Nase fähig ist, dann eröffnen sich Fragen auf allen Ebenen.

Wird es in der Zukunft einen Geruchs-Fernseher geben?

Nein, Geruch ist kein Malkasten, der aus fünf Farben besteht, woraus man jede Farbe mischen kann. Wieso sollte man einen Kaffee, den man im Fernsehen sieht, riechen können? Wer braucht das? Geruch soll bei der Nase bleiben und vor allem unmittelbar sein.

Woran forschen Sie aktuell?

Gerade arbeite ich mit der Harvard University an einem Projekt in Kuwait. Auftraggeber ist die dortige Regierung. Es geht um ökologischen Urbanismus und wie man in Zukunft Häuser und auch Stadtteile bauen kann, die den Geruchssinn integrieren. Eine Frage, die wir uns stellen, ist: Wenn man Apartmentblocks statt Villen baut, also auf engem Raum zusammenlebt, was passiert dann mit den unterschiedlichen Gerüchen? Wir befassen uns aber auch generell mit dem Thema Luftqualität und wie man sie in städtischen Gefügen verbessern kann. Aber meine eigentliche Arbeit besteht immer darin, auf „Mission Nase“ zu sein. Was die Nase kann, muss gesagt werden, sonst glaubt einem das niemand.

Wie prägend sind Gerüche? Was lernen wir daraus?

Sie sind fundamental wichtig, um Entscheidungen zu fällen. Sie beeinflussen unser Unterbewusstsein, unsere Gefühle und Erinnerungen. Daraus sollte man lernen, mehr auf seine Nase zu achten. Diese unglaubliche Software, die wir alle mit uns tragen, muss gefördert werden oder sie verschwindet.
     Bei unserem Riechorgan wurde schon zuviel zerstört, und wenn man Körperteile nicht benutzt, sterben sie ab. Die Nase sollte ein wichtiges Thema sein und nicht so vernachlässigt werden. Schließlich ist sie das empfindlichste Sinnesorgan des Menschen. Jeder sollte sie trainieren, dann würde man schnell feststellen, dass das Leben qualitativ besser und Kommunikation interessanter und auch lustiger wird!

Das Gespräch führte JENNIFER LYNN ERDELMEIER