Tower of Power

Noch sind reine Elektrofahrzeuge eine Seltenheit. Ladeinfrastruktur, die auf erneuerbare Energien setzt, schafft die Voraussetzungen, um Elektromobilität weiter voranzutreiben. Der Spatenstich für die erste Elektro-Tankstelle, in der mehrere E-Autos gleichzeitig geladen werden können, ist Anfang 2013 in Wien-Brigittenau geplant. Initiator ist das BFI-Berufsausbildungszentrum Wien. Die Ladetechnologie wird von ABB und SEW EURODRIVE entwickelt, beide sind international tätig und Marktführer in Europa. Architekt ist der Wiener Lukas Göbl.

Vor einem Jahr wurde Architekt Lukas Göbl eingeladen, an einem neuartigen Bautypus mitzuarbeiten, einer Ladestelle für E-Autos – laut BFI-Projektleiter Johann Gettinger und Gerald Lippitsch einer „Lehr- und Vorzeige-Stromtankstelle mit allen wesentlichen, derzeit am Markt verfügbaren Ladetechnologien“.
    Die uralten (Bau-)typen Turm und Dach werden für die erste Ladestation in Wien miteinander in Beziehung gebracht, so wird ein Übergang zwischen Vertikale und Horizontale vollzogen. Der Turm nimmt eine Windtulpe auf, funktioniert als weithin sichtbares Zeichen und definiert einen markanten städtebaulichen Bezugspunkt. Das Dach, ein Shed-Dach, ist mit zahlreichen PV-Paneelen versehen und schützt vor Witterung. „Das Dach kragt zu allen Seiten einige Meter aus. Der Turm und ein zentrales Stützelement, in dem auch die Schnellladestationen untergebracht sind, dienen dem Dach als Stützen, andere Kraftableitungspunkte gibt es nicht. Damit werden Dynamik, Umwandlung und Gewinnung von erneuerbarer Energie dargestellt“, schildert Architekt Göbl.

ERNEUERbARE ENERGiEtRÄGER

Die Stromversorgung erfolgt mit erneuerbaren Energieträgern – Sonne, Wind, Netzspeisung –, einer Photovoltaik-Anlage und Kleinwind-Anlage in Form einer Windtulpe im Turm der Tankstelle. Unter dem Dach finden sich teils neue Ladesysteme, die in Wien erstmals in größerem Maßstab eingebaut werden. Vier PKWs und vier Fahrräder können parallel mit elektrischer Energie versorgt werden. Gleichstrom-Schnelllade- sowie Wechselstrom-Ladestationen für Elektrofahrzeuge sorgen dafür, dass die erneuerbare Energie von den Solarmodulen bzw. von der Windtulpe des Tower of Power in die Elektrofahrzeuge gelangt. ABB ist im Segment der Schnellladetechnik für E-Autos innerhalb von rund 30 Minuten einer der größten Anbieter weltweit, Marktführer in Europa und stellt laut Thomas Makrandreou, Leiter der Unternehmenskommunikation, sicher, dass „alle modernen Elektrofahrzeuge im Rahmen des Tower of Power-Projekts schnellstmöglich mit erneuerbarer Energie geladen werden können“. Der Konzern entwickelt diese Technologie in Zusammenarbeit mit Automobilherstellern sowie Normungs- und Standardisierungsgremien laufend weiter.
    ABB realisiert als Generalunternehmer derzeit das größte europäische Ladeinfrastruktur-Projekt in Estland, bei dem rund 200 DC-Schnellladestationen und rund 500 AC-Ladestationen installiert werden. Ziel des Projekts ist die flächendeckende Erschließung Estlands mit Ladeinfrastruktur, um Elektromobilität voranzutreiben. Die netzwerkfähigen Ladestationen werden mit modernen Authentifizierungs- und Verrechnungssystemen wie RFID-Karten, SMS und Near-Field-Communication-Technologie von den Endanwendern genutzt.

iNDUktivE lADEtEchNik

Ladesäulen für Kabelladung gibt es seit mehr als 10 Jahren. Emissionsfreiheit braucht regenerative Energieerzeugung, damit liegt der Einsatz von Photovoltaikmodulen nahe. „Das Besondere am Tower of Power ist die kabellose Energieübertragung von der Tankstelle auf das Elektrofahrzeug über Induktion. Im Parkplatzboden ist eine Sendespule integriert, die Energie elektromagnetisch auf ein Fahrzeug überträgt“, schildert Thorsten Götzmann, Urban Logistics & Electric Mobility von SEW EURODRIVE, im deutschen Bruchsal. Der Ladevorgang startet automatisch, wenn das Fahrzeug abgestellt wird. Im Unterboden des Fahrzeugs ist die Empfängerspule verbaut. Dort wird die elektromagnetische Energie zurück in Strom verwandelt und in die Fahrzeugbatterie geladen. Der Vorteil dabei ist: Die Ladetechnik ohne Kabel und Stecker ist unsichtbar, befahrbar und vandalismussicher. Ob Schneeräumfahrzeug, Kehrmaschine oder Lastwagen, die Sendespule ist robust in ein Betonelement integriert. Der Ladebetrieb ist wetterunabhängig und verschleißfrei.
    Die Vernetzung der unterschiedlichen Ladeinfrastruktur ermöglicht, die Ladestationen zu überwachen, zu warten und den Verbrauch der Energie abzurechnen. Das Kernelement ist ein Last- und Energiemanagement. Wichtig ist, dass die Betriebssicherheit bei Volllast aller Ladepunkte sicher gestellt ist und nur von regenerativen Quellen erzeugte Energie geladen wird: „Die Ladeinfrastruktur wird von ABB und SEW EURODRIVE entwickelt, die Vernetzung der Ladeinfrastruktur und die Integration eines Zahlungssystems ist die Rolle der PDTS, die damit auch E-Mobilität ins Internet und auf Smart Phones bringt”, ergänzt Franz Schodl, Geschäftsführer und Projektverantwortlicher der PDTS GmbH, die zu den führenden Entwicklern von komplexen IT-Lösungen und Software-Systemen gehört. PDTS, Mitglied der Frequentis Group, verfügt über Kernkompetenz bei der digitalen Sprachkommunikation für die Flugsicherung und Leitzentralentechnik bis hin zu integrierten Arbeitsplätzen im Bereich Public Safety.
    Sikom Essra und Schmied & Fellmann bringen ihr Wissen im Bereich Steuerungstechnik und Verteilerbau in den Tower of Power ein, sie planen und führen die Energieverteilung, Datenverkabelung, Beleuchtung auf LED-Basis sowie den Blitzschutz aus. „Alles aus einer Hand erspart den Kunden ärgerliche Schnittstellenkoordination und Kompatibilitätsprobleme“, so Abteilungsleiter Roland Höbling, der für Sikom Essra Komplettsysteme in der Schalttechnik für Wohnbereiche bis hin zu vernetzten Großanlagen anbietet.
    Die Tragkonstruktion des Gebäudes aus Stahl ist mit gerundeten Blechen mit spezieller Musterung verkleidet. Mit Computerscripts kann die Perforierung bzw. Musterung der Paneele an die jeweilige Anforderung des Bauteils angepasst werden. So sind jene im oberen Turmbereich „offenporiger“, um einen optimalen Solareintrag auf dem Dach zu sichern.
    Neues Design braucht einprägsame Namen, Begriffe, mit denen das Projekt in die Sprachlandschaft eingeschrieben werden und sich dort behaupten kann. Architekt Göbl hat sich für die Solartankstelle von Musik inspirieren lassen: „Eine alte CD aus der Zeit vor iTunes und Spotify stand Pate: das Album T.O.P. der Funkgruppe Tower of Power!“ Voilà, und schon hatte das Kind seinen Namen.

Text: DORIS LIPPITSCH