Mumbai - Über die Zukunft der Urbanität


Mumbai ©CRIT

Mumbai steht niemals still. Alles ist kontinuierlich in Bewegung. Funktionale Räume schieben sich ineinander und vernetzen sich neu. So passiert es, dass ein Geschäft in einem Geschäft entsteht,  das Treppenhaus für wieder andere Händler genutzt wird, der Gehsteig als Lebensraum und Marktplatz genutzt wird.  Wie kaum eine andere Stadt steht Mumbai für extreme Verdichtung in jeglicher Hinsicht.

Mobilität ist kein Phänomen der Neuzeit. Seit mehr als 2.000 Jahren verbindet die Seidenstraße Händler aus aller Welt miteinander. Schon damals beeinflusste sie die Wirtschaft. Religion, Wissen und Kultur werden in andere Regionen und Länder transportiert.

Indien war einst führende Industrienation. Um 1750 war knapp ein Viertel der Weltindustrieproduktion auf Indien zurückzuführen. Damit war das Land nach China an zweiter Stelle, weit vor den Europäern. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts veränderten sich die globalen Kräfteverhältnisse. Britische Unternehmer, nunmehr mobil durch neu erschlossene Seewege, stiegen in das Geschäft mit Baumwolldrucken ein. Starker Protektionismus seitens britischer Produzenten und staatliche Exportoffensiven verdrängten allmählich indische Produzenten von den Weltmärkten. Um 1820 konnten die Briten die indischen Konkurrenten gänzlich ausschalten und es kam zur Umkehrung der Warenströme.
     Heute ist Mumbai eine von Unternehmerkultur geprägte Metropole. Jeder versucht, sein eigenes Unternehmen aufzuziehen. Während sich die Bevölkerungszahlen und das Wirtschaftswachstum kaum verändern, sind registrierte Unternehmen um mehr als 100 Prozent angestiegen. Mit diesem ökonomischen Streben hat sich auch das Erscheinungsbild der Stadt verändert. Heute sind die Industrieanlangen aus vergangenen Zeiten aus der Stadt verschwunden. China ist kostengünstiger und hat Gewerbe, wie etwa das Färben von Stoffen, längst aus Indien abgezogen. Einstige Mangrovenwälder weichen neuen Siedlungsräumen und Wohnkomplexen. Das erfordert neue Arbeits-, Lebens- und vor allem Mobilitätsmuster. Mehr als 12 Millionen Menschen hausen in Mumbai – und jeder von ihnen versucht, sein Überleben zu sichern. Jeder konkurriert mit jedem. Während früher hunderte Arbeiter sich zu den immer gleichen Zeiten auf die immer gleichen Wege zu den Fabriken aufmachten, pulsiert die heutige Stadt der eigenständigen Unternehmer rund um die Uhr. Mobilität gewinnt an neuer Bedeutung.
     Städte verlangen nach Mobilität, und Stadtplanung erfordert die Logistik von Transportsystemen und -möglichkeiten. Dem hat sich die „Audi Urban Future Initiative“ angenommen. Rupert Stadler, Vorstandsvorsitzender der Audi AG, weiß: „Jede Stadt entwickelt sich individuell und ist auf ihre Weise Impulsgeber für gesellschaftliche und strukturelle Veränderungen. Jede Metropole hat einen eigenen Charakter und besondere Voraussetzungen.“ In der heutigen Zeit ist dabei globales Denken unumgänglich, das heißt, lokale Aufgabenstellungen mit einem globalen Ziel. Bis 2030 werden fast drei Viertel der Weltbevölkerung in Megacities leben. In Mumbai herrscht schon heute eine derartige Dichte, daher ist diese Stadt mehr als prädestiniert, Probleme und Herausforderungen aufzuzeigen, die in Zukunft mehr und mehr Menschen betreffen werden.
     Raum wird immer mehr zur knappen Ressource, ein weltweites Phänomen. Umzusiedeln, Städte zu erweitern, wird auf Dauer keine Lösung sein. Mobilität effizient zu organisieren heißt vielmehr, Raum in den Griff zu bekommen und neue Ideen zuzulassen.

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INITIATIVES TRUST CRIT (Collective Research Initiatives Trust) ist eine Gruppe von Architekten, die sich diesen Herausforderungen Mumbais gestellt hat. Die Zukunftsvisionen, die sie dabei erarbeitet haben, mögen auf den ersten Blick von einem großen Verständnis für ihre Kultur zeugen, zeigen aber jene Probleme auf, mit denen urbane Räume der Zukunft allgemein zu kämpfen haben werden. Jeder Mensch lebt in seiner eigenen kleinen Blase, und die sozialen wie auch physischen Grenzen zwischen Gruppierungen verhärten sich. Folglich verändert sich die Mobilität, die Strategien müssen adaptiert werden. So verschieden sich Städte auch entwickeln mögen, sie alle kämpfen mit Herausforderungen urbaner Erneuerung.
     CRIT hat einen Weg gefunden, bestehende Strukturen zu erhalten und dennoch Veränderungen zuzulassen. Sie beherrschen das Handwerk Architektur und Städteplanung. Menschen, die in Mumbai leben, wissen, was funktionieren kann oder wird und adaptieren dementsprechend ihre Pläne. Durch diese Interaktion schaffen sie etwas, was unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Interessen zusammenbringt. „Es geht uns darum, Zukunften zu eröffnen. Das Ökosystem einer Stadt soll multiple, diversifizierte Machtstrukturen ermöglichen, anstatt sich uns wie eine Mauer entgegenzustellen. Wir müssen uns dahingehend absichern, dass Macht konstant neu ausverhandelt und verteilt wird. Mobilität bedeutet, dies zu navigieren“, verstehen CRIT dahinter. Indien hat sich in den letzten Jahrhunderten unzählige Male von Grund auf verändert. von einer führenden Industrienation über Deindustrialisierung hin zu einer „industriösen“ Revolution und schließlich zu einer spezifischen Form von Moderne. Mobilität ist dabei stets ein Schlüssel gewesen und ist dies nach wie vor. Und so wie Indien sich gegenüber der Welt immer wieder neu erfinden musste, so sind auch die globalen Kräfteverhältnisse stetem Wandel unterworfen. Während die Welt auf der einen Seite über die letzten Jahrzehnte zusammengewachsen ist, Firmen global agieren und ihren Standort dorthin verlegen können, wo es am profitabelsten ist, Menschen über soziale Netzwerke quer über die Welt miteinander verbunden sind, die Welt uns als Dorf erscheint, wir stets mobil sind, sei es auch nur virtuell, so schränkt sich unsere tatsächliche Mobilität zunehmend ein. Raum wird zur Mangelware, Menschen leben in ihren eigenen kleinen Sphären, und reale Interaktion nimmt ab. Mobilität umfasst all dies und Konzepte für Urbanität müssen neben unserem Städter-Dasein auch ökonomische, kulturelle, technologische, soziale Entwicklungen und Veränderungen miteinbeziehen.

Text: JANA REITER

QUER in Zusammenarbeit mit AUDI