Wer beim Planen scheitert der plant sein Scheitern

Es kracht! Und zwar gewaltig! Der neue Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg macht vor allem eins: negative Schlagzeilen. Es geht um Bauverzug, Kostenexplosion, Schallschutz und Flugrouten. Und die Architektur? Interessiert die eigentlich irgendwen?

Berlin. Wenn man sich im Check-in-Bereich des Berliner Flughafens Schönefeld befindet, kann es sein, dass man sich ganz plötzlich schämt. Ganz heimlich. Womöglich schlägt man eine Tageszeitung auf, um sich abzulenken und dann springt es einem ins Auge. Völlig unerwartet. Schon wieder etwas über den „Skandal-Flughafen“. Denn Europas größte Flughafenbaustelle befindet sich tatsächlich in Berlin: der neue Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“. Funktional, hochmodern und kostengünstig.

     BERLINER FLUGHÄFEN Bisher gab es drei Passagierflughäfen in Berlin: Tempelhof, Tegel und Schönefeld. Tempelhof war einer der ersten Verkehrsflughäfen Deutschlands und ist seit 2008 geschlossen. Die 300.000 Passagiere pro Jahr, die dort abgefertigt wurden, konnten auf die anderen beiden Flughäfen verteilt werden.
     Schönefeld wird gerade zum Großflughafen Berlin Brandenburg ausgebaut. In Zukunft sollen dort 27 Millionen Passagiere pro Jahr abgefertigt werden. Deswegen sollte der Flughafen Berlin Tegel am 2. Juni 2012 schließen. Einen Tag, bevor der neue eröffnen sollte. Sehr zum Bedauern der Reisenden. Denn anders als bei einem zentralen Abfertigungssystem, werden dort die Fluggäste dezentral nach dem Drive-in-Prinzip und dem Gate- Check-in-System abgefertigt, d.h. sie kommen mit dem Auto bis in die unmittelbare Nähe der Abflugposition. Im Klartext: 50 Meter vom Taxi bis zum Flugzeug. Doch die Reisenden dürfen sich unverhofft auf weitere neun Monate Tegel freuen, denn der Schließungstermin wurde verschoben. Im Mai trat Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit, der auch Aufsichtsratvorstand der Flughafengesellschaft ist, vor die Presse. Er hatte schlechte Nachrichten zu verkünden. Schon wieder. Der Flughafen Berlin Brandenburg könne aus Brandschutzgründen nicht wie geplant am 3. Juni eröffnet werden, sondern erst am 17. März 2013.

- ©-

     ETAPPEN DER PLANUNG Nach der Wiedervereinigung war schnell klar, dass die Region einen neuen Großflughafen brauchte. 1991 wurde die Berlin Brandenburg Flughafen Holding GmbH (BBF) gegründet. 1993 wurden die Standorte Jüterbog Ost, Sperenberg und Schönefeld Süd auf ihre Tauglichkeit getestet. Da es um Milliardeninvestitionen ging, begann sofort das politische Tauziehen. Der neue Flughafen sollte ähnlich den Flughäfen Frankfurt/Main und München ein internationales Drehkreuz werden.
     Vieles sprach für den Standort Sperenberg, 50 Kilometer von der Berliner Innenstadt entfernt. Dort befindet sich ein ehemaliger sowjetischer Militärflughafen. Ein wesentlicher Vorteil gegenüber Schönefeld waren die Flächen, so gut wie im Besitz der öffentlichen Hand, wie auch eine schon vorhandene Infrastruktur. Dazu kam die Waldlage des Areals mit seiner niedrigen Siedlungsdichte, um die Fluglärmbelästigung dezimieren und die Ausbaufähigkeit des Flughafens gegenüber Schönefeld sicherstellen zu können.
     Hauptargumente für den Standort Schönefeld waren die vorhandenen Straßen- und Schienenverbindungen und wirtschaftliche Impulse für die Hauptstadt. 1996 fiel die Entscheidung zum Ausbau des Flughafens Schönefeld. Man einigte sich darauf, „für den heute erkennbaren Bedarf und unter Berücksichtigung der Möglichkeiten der BBF“ den Flughafen Schönefeld zu einem „Single-Airport“ zu entwickeln und die Flughäfen Tempelhof und Tegel zu schließen. Alle Bedenken sind bis dato nicht geklärt.
     Laut Planungsverfahren sollte der Flughafen komplett unter privater Regie gebaut und von den Investoren 99 Jahre auf eigene Rechnung betrieben werden. 1998 erhielt das Konsortium, das vom Baukonzern Hochtief angeführt wurde, den Zuschlag. Dagegen legte die unterlegene Projektentwicklungsgesellschaft IVG erfolgreich Beschwerde ein. Hochtief wurde der Zuschlag im Februar 2000 wieder aberkannt. Der Baukonzern habe sich „unzulässige Vorteile“ gegenüber seinem Konkurrenten verschafft, urteilte das zuständige Gericht. Gegen dieses Urteil klagte wiederum Hochtief – ebenfalls erfolgreich. Schließlich einigten sich Hochtief und IVG auf eine Zusammenarbeit und firmierten als Berlin Brandenburg International Partner (BBIP). 2001 reichte das Bieterkonsortium von Hochtief und IVG ein gemeinsames Angebot für den geplanten Bau und Betrieb des Flughafens ein. 2002 wurde die Grundsatzvereinbarung unterzeichnet, demnach sollte der Flughafen 2008 eröffnet werden. 2003 scheiterte jedoch der Verkauf der Berliner Flughäfen an das Bieterkonsortium. Dieses Scheitern ist bis heute nicht geklärt, hätte die aktuelle Situation verhindert werden können?
     Das Vergabeverfahren wurde beendet, und das Projekt unter öffentlicher Regie weiterverfolgt. Bauherr des Flughafens Berlin Brandenburg International ist nun die Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH, die zu je 37 Prozent von Berlin und Brandenburg sowie zu 26 Prozent vom Bund gehalten wird. Presseberichten zufolge kostete alleine der Abbruch des Privatisierungsverfahrens 41 Millionen Euro.
     2004 endete das Genehmigungsverfahren. Für große Infrastrukturmaßnahmen gilt in Deutschland der Planfeststellungsbeschluss. Er umfasst alles, d.h. bau-, wasser-, luft- oder umweltrechtliche Genehmigungen. Die Behörde gab grünes Licht, tausende Gegner reichten dagegen Klage ein. Hauptstreitpunkt war der zu erwartende Fluglärm, An- und Abflugschneisen. Eine betroffene Gemeinde ist Lichtenrade. Geplant waren Flugschneisen in nur 500 Metern Entfernung. Somit würde diese Region am stärksten vom Fluglärm betroffen sein. Neben der Lärm- und Schadstoffbelastung drohte auch der Verlust an Lebensqualität sowie fluglärmbedingter Werteverlust der Häuser sowie Grundstücke. Es mag Zufall sein – oder auch nicht –, dass Wowereit, ebenfalls ein Lichtenrader, genau in diesem Jahr sein Haus dort verkaufte. Ein genauer Blick in das Grundbuch gibt Auskunft und ermöglicht Hinweise zu Entscheidungsträgern.
     2005 gab das Leipziger Gericht Eilanträgen von Anwohnern statt. Sie verhängten einen Baustopp bis zu einer endgültigen Entscheidung. Genehmigt wurden nur Bauvorbereitungen. Im März 2006 wies das Bundesverwaltungsgericht die Klagen von 4.000 Anwohnern und vier Gemeinden gegenden Planfeststellungsbeschluss ab. Der Baustopp wurde aufgehoben, im September 2006 erfolgte der Spatenstich.
     Der neue Eröffnungstermin im November 2011 wurde im Juni 2010 gekippt. Grund war die Pleite einer Planungsfirma und erhöhte Sicherheitsbestimmungen. Im September 2010 legte die Deutsche Flugsicherung einen Flugrouten-Vorschlag vor. Nur, die festgelegten Flugrouten stimmten nicht mit den Planungsunterlagen überein. Warum wurden die Flugrouten nicht vor Planung mit der Flugsicherung abgestimmt? Tausende Betroffene gingen auf die Straße. Neue Klagen gegen den Planfeststellungsbescheid folgten. 2011 gab das Bundesverwaltungsgericht grünes Licht für Nachtflüge, die Flugrouten wurden im Januar 2012 bekanntgegeben.
     Im Mai 2012 verkündete Wowereit die erneute Terminverschiebung auf den 17. März 2013, der „politische Termin“ wäre nicht einzuhalten gewesen: „Aber wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Zeitpläne ambitioniert sind.“ Wenig glaubwürdig. Wowereit verantwortet mit der erneuten Verschiebung des Eröffnungstermins eine der größten Pleiten der Hauptstadtgeschichte. Auch der neue Starttermin ist alles andere als gesichert. Heute wissen wir, dass dieser Termin nicht haltbar und auch den Entscheidungsträgern bewusst war. Nun wurde der neue Eröffnungstermin verkündet: 27. Oktober 2013!

Flughafen Berlin Brandenburg ©Alexander Obst/Marion Schmieding

     KOSTENEXPLOSION UND PLANUNGSCHAOS
„Ich kann nicht ausschließen, dass die Kante des Kreditrahmens übersprungen wird“, sagte Wowereit vage über die zusätzlichen Kosten, die durch die Verzögerung und Schadenersatzzahlungen anfallen. Ursprünglich waren für den Flughafenneubau 2,5 Milliarden Euro geplant. Inzwischen liegen die Kosten vorläufig bei 3,36 Milliarden Euro – davon sind 2,4 Milliarden Kredite. Die Verschiebung des Betriebsstarts wird mittlerweile mit Mehrkosten von 586 Millionen Euro gerechnet. Wowereit hat indes eingeräumt, dass zusätzlich 591 Millionen Euro für einen erweiterten Lärmschutz hinzukommen könnten. Dies wird von einem Entscheid des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg gefordert. Somit könnten die Mehrkosten auf insgesamt 1,17 Milliarden Euro steigen – dies bedeutet, dass das Megaprojekt 4,2 Milliarden Euro verschlingen werden wird.
     Nun geht dem Flughafen das Geld aus. Der Bund, die Länder Berlin und Brandenburg erhöhen das Kapital für die Flughafengesellschaft um eine halbe Milliarde.
     Das Brandschutz-Problem wird allerdings in Expertenkreisen nur dazu benutzt, um von anderen gravierenden Fehlern und Mängeln in der Betriebsbereitschaft und beim Nutzerkomfort abzulenken. Der Flughafen ist nämlich nicht nur zu spät und zu teuer, sondern vor allem auch zu perspektivlos. Die Rechnung ist simpel: 150 Check-in-Schalter gibt es zusammen in Tegel und Brandenburg, in Schönefeld nur 96. Aber alles soll komfortabler werden.
     Auf dieses Manko wird mit einer zusätzlichen „temporären“ Halle im Nordosten des Hauptgebäudes reagiert. Dort wird es 20 zusätzliche Check-in- Schalter sowie mehrere Sicherheitsschleusen geben. Dazu fehlte im Hauptterminal schlichtweg der Platz, obwohl das Gebäude schon bereits beidseitig um zwei Pavillons erweitert wurde. Die Kosten für die Umplanung: 50 Millionen Euro.
     Mitverantwortlich für die mangelnde Koordinierung ist das Fehlen eines Generalunternehmers, eine fehlende Trennung von Entscheidungs- und Umsetzungsorganen und unabhängiger Kontrolle. Die Bauüberwachung lag wie die Entwurfsplanung bisher bei PG BBI, der Planungsgemeinschaft des Architekturbüros Gerkan, Marg und Partner mit J.S.K. International Architekten und Ingenieure. Wowereit machte sie für die Pannen verantwortlich und kündigte prompt. Nun übernimmt die Flughafengesellschaft selbst die Planung, und der Flughafen wurde umbenannt, um sein angeschlagenes Image aufzupolieren: Er heißt nicht mehr BBI, sondern BER. Unterschlagen wurde dabei jedoch, dass dieses Kürzel bereits an einen Flughafen in Indien vergeben ist, und dies erst jetzt entdeckt wurde.

     AIRPORT-EXPRESS WIRD AUSGEBREMST
Ein weiteres Problem, das sich jetzt schon abzeichnet, ist die Bahnanbindung an den neuen Flughafen. Den geplanten Airport-Express, der Passagiere in nur 15 Minuten vom Hauptbahnhof zum Flughafen befördern soll, wird es voraussichtlich auch noch Jahre nach der Eröffnung nicht geben. Grund dafür sind ebenfalls Anwohnerklagen und hohe Kosten. Daher werden die Reisenden erst die Regionalbahn nehmen, die unregelmäßig fährt und gute 30 Minuten braucht. Taxinutzer werden sich in einem regelrechten Verrechnungswirrwarr zurechtfinden müssen. Will heißen: beträchtliche Mehrkosten gegenüber Tegel.

Flughafen Berlin Brandenburg ©Günter Wicker

     SCHLECHTE STIMMUNG
Doch nach dieser unsagbaren Blamage für Berlin, nachdem die mit Pomp und viel Brimborium geplante Eröffnungsfeier wie ein über dem Brandenburger Tor geplatzter Megazeppelin namens „Wowi schafft alles“ geplatzt ist, reicht es nun auch den Berlinern. Zu viel ist zu viel und nun mögen selbst die Berliner ihren Bürgermeister so nicht mehr. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der „Berliner Zeitung“ bestätigt den Trend, der seit Mai anhält. Wowereit steht demnach nur noch an neunter Stelle der Beliebtheitsskala. Doch das muss noch nichts heißen. Aber dies, obwohl die Lethargie zwischen Wählern und Gewählten ohnehin keine Reaktion hervorruft. Man ist schnell bereit sich abzufinden – fordert kaum etwas und erwartet nichts mehr? Enden Wowis Party-Überflüge mit der totalen Bruchlandung in Schönefeld? Quax, der Bruchpilot, hat überlebt. Und Wowi? Die Berliner wünschen sich sehnlichst ein Ende dieses Kapitels.
     Ach ja – und die Architektur? Wo ist sie? Berlin könnte es sehr anders. Selbst Skylink Wien könnte sich damit durchaus messen. So viel darf schon mal gesagt werden.

Text: JENNIFER LYNN ERDELMEIER