Der Fenstergucker

John Maynard Keynes und Milton Friedman gelten als eine der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Friedman wäre diesen Sommer 100 Jahre alt geworden. Er sagte: „Auch wenn die freie Marktwirtschaft nicht das effizienteste System wäre, das es gibt – ich wäre trotzdem dafür, und zwar wegen der Werte, die sie sichert: Wahlfreiheit, Herausforderung, Risiko.“ Er gilt als Hauptvertreter des Neoliberalismus. Im Jahr 2008 konnten die Notenbanken in der Finanzkrise auf seine Vorarbeiten in der Reagan-Ära zurückgreifen.

Friedman kannte materielle Not in seiner Kindheit, seine Eltern waren jüdische Einwanderer aus der Karpato- Ukraine. Geldknappheit war ein ständiger Begleiter. Sein Studium finanzierte er selbst, später begründete er die Chicago School of Economics. Dort wurde gelehrt, dass der Preis die Wirtschaft effizient steuert, vorausgesetzt, der Staat mischt sich nicht ein. Für Friedman ist Wirtschaft inhärent stabil. Seine Forderungen: Der Staat soll sich aus Schulen zurückziehen, das öffentliche Wohlfahrtswesen abgeschafft und durch eine „negative Einkommenssteuer“ ersetzt werden. Er war gegen Wehrpflicht und für die Freigabe von Drogen.

Keynes lehrte das exakte Gegenteil. Die Wirtschaft braucht die Hilfe des Staates. Unter US-Präsident Roosevelt erlangte die Wirtschaft eine bis dahin nie dagewesene, dominierende Rolle. Die USA nahmen bisweilen Züge einer Planwirtschaft an. In diesem Washington bekam Friedman seinen ersten Auftrag als Ökonom. So dachte er im Finanzministerium darüber nach, wie man im Falle eines Krieges die Bürger besser besteuern könne. Mag sein, dass das seine Abneigung gegen den Staat noch gefestigt hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg überwachte er die Einhaltung des Marshall-Plans in Paris, dabei beschäftigte er sich auch mit dem Schuman-Plan, dem ersten Projekt der europäischen Ver - einigung. Damals, so sagt man, sei er zur Überzeugung gekommen, dass ein gemeinsamer Markt ohne flexible Wechselkurse unweigerlich zum Scheitern verurteilt sei. Er kam nach Chicago zurück, Wirtschaftstheorie und -politik richteten sich nach Keynes aus. Der Staat soll die Wirtschaft so steuern, dass Arbeitslosigkeit, Inflation und schwere Wirtschaftskrisen der Vergangenheit angehören. Keynes war davon überzeugt, dass der Staat Arbeitslosigkeit bekämpfen kann, indem er in der Krise mehr Geld ausgibt – deficit spending – oder die Steuern senkt. Dies begründet seine Konjunkturtheorie.

Friedman zerpflückt diese Theorie und erhält dafür 1976 den Wirtschaftsnobelpreis. Sein Befund: Notenbanken sollen dafür sorgen, dass die Menge des umlaufenden Geldes konstant wächst. Die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren war für Friedman auf Staatsversagen zurückzuführen. Mitte der 1970er war die Zeit reif für Friedmans Ideen. Über Nacht stieg der Erdölpreis um 70 Prozent. Das keynesianische Versprechen von Vollbeschäftigung und Wachstum ohne Ende war nicht mehr einlösbar. Das Friedman’sche Geldmengenkonzept wurde später von der Deutschen Bundesbank übernommen und begründete so ihren Ruf als Hort der Stabilität.

Unter US-Präsident Reagan und Friedmans Einfluss folgten die ersten Privatisierungen, Deregulierungen. Liberalisierung und Steuersenkungen setzten ein. Keynesianern ist Friedman bis heute verhasst. Die Geldmenge spielt aktuell in der EZB nur mehr eine untergeordnete Rolle, und der Keynesianismus hat seit der Krise wieder stark zugenommen. Das Beispiel des Euro aber zeigt, dass es sich lohnt, hin und wieder bei Friedman nachzuschlagen.

Der österreichische Ökonom Friedrich August von Hayek stellte wiederum die Verfassung der Freiheit in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Zeit seines Lebens arbeitete er daran, Planwirtschaft und Kollektivismus wissenschaftlich zu widerlegen. Im Spätsommer wurde von der Hayek-Gesellschaft die erste „Woche der Freiheit“ mit künftigen Entscheidungsträgern aus Ökonomie, Philosophie und Politik im brandenburgischen Kloster Lehnin organisiert.

Die Wirtschaft ist ein Pendelprinzip. Jede reine Lehre führt zu fundamentalen Schwierigkeiten in Wirtschaftssystemen. Wirtschaft funktioniert wie ein Organismus, alle einseitigen Bewässerungs- und Ernährungssysteme führen zu einer Monokultur. Die künftige Steue - rung der Wirtschaft kann nur wie in einem kommunizierenden Gefäß aus allen Maximen erfolgen.

Text: DORIS LIPPITSCH
Foto: PETER KÄSMACHER