Wettlauf im All

Pioniere der Raumfahrt

Aus den Träumen von Reisen ins All einiger Phantasten und Raumfahrtpioniere im 19. Jahrhundert ist längst Realität geworden. Mit der Raumfahrt ist eine gigantische Industrie entstanden. Heute arbeiten hunderttausende Frauen und Männer weltweit in Konstruktionsbüros, Forschungsstätten, Herstellerwerken von Raketen, Satelliten, Sonden, Raumschiffen, Stationsmodulen, auf Versuchs- und Startgeländen, Bodenstationen und in der Verwaltung. Jährlich werden Tonnen Raumflugkörper in den Orbit befördert. Derweil wird die Oberfläche des Roten Planeten erkundet.

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Jules Verne (1828–1905) war ein solcher Phantast und schon früh ein getriebener Reisender. Schon mit elf Jahren versucht er, sich auf ein Schiff zu schmuggeln, um die weite Welt kennenzulernen. Seine Eltern verhindern dieses Abenteuer gerade noch im letzten Augenblick.

     Aus Jules Verne, der Fernweh früh kennenlernt, wird ein berühmter Autor, seine utopischen Abenteuerromane zählen weltweit zu den meist übersetzten. Er bedient das Genre der Voyages extraordinaires und wird zum Mitbegründer der Science-Fiction. Unvergesslich sein Romanheld Phileas Fogg in Reise um die Erde in 80 Tagen, bevor er seine Reise um die Welt antritt: „Nachdem er den rechten Fuß fünfhundertfünfundsechzigmal vor den linken und den linken fünfhundertsechsundsechzigmal vor den rechten Fuß gesetzt hatte, langte er im Reformklub an …“. Verne berichtet über Reisen um die Welt, in den Weltraum oder unter Wasser, lange, bevor es die Luftfahrt gibt und U-Boote erfunden sind. Auf vielen kleinen Zetteln sammelt er alle möglichen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die er in seinen Romanen neu zusammensetzt und damit viele Entwicklungen um einige Jahrzehnte vorwegnimmt. Nachdem er in einem seiner Romane eine Reisegruppe zum Mittelpunkt der Erde entsendet, erforscht er 1865 auch den Weltraum: Von der Erde zum Mond. Im Roman baut der Baltimore Gun Club, eine Vereinigung von Artillerieexperten, ein 270 Meter langes Kanonenrohr, um die Passagiere in einem Projektil zum Mond zu schießen. Jules Vernes Vision: der Traum von einer freien Menschheit.

     RAKETEN-RAUMFAHRT-PIONIERE ZIOLKOWSKI & OBERTH
Die frühen Raketenpioniere waren von Jules Vernes Roman inspiriert: Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski (1857–1935), russischer Gelehrter der Physik, Astronomie, Mechanik und Geometrie, prüft die technischen Ansätze und beweist, dass eine Kanone für die Aufgabe ungeeignet ist: Selbst starke Sprengstoffe reichten nicht aus, um die Erdanziehung zu überwinden und auch medizinisch könne kein lebender Organismus die extreme Beschleunigung beim Start überstehen. Diese Erkenntnis erweist sich für Ziolkowski als Herausforderung, daraus neue Theorien abzuleiten: Er veröffentlicht 1903 die bis heute gültige Raketengrundgleichung in Die Erforschung des Weltraums mit Rückstoßapparaten und erkennt, dass nur das Flüssigkeitsraketentriebwerk für solche Aufgaben geeignet ist. Ziolkowski erfindet das Mehrstufenprinzip von Raketen, Steuerdüsen und Kreiselsteuerung, er gilt als erster großer Theoretiker der Raumfahrt, der Methoden für Arbeiten innerhalb und außerhalb der Raumschiffe sowie den Entwurf einer großen, ständig bewohnten Raumstation entwickelt.

Einen Stein vom Mond in die Hand zu nehmen, im ätherischen Raum Stationen einzurichten, Ringe des Lebens um Erde, Mond und Sonne zu bilden, den Mars aus wenigen Dutzend Werst zu beobachten, auf seinen Monden oder gar auf ihm selbst zu landen – was könnte närrischer erscheinen? Doch erst mit der Anwendung von Rückstoß- apparaten beginnt das neue große Zeitalter. 40 Jahre arbeitete ich an einem Stahltriebwerk und dachte, eine Fahrt zum Mars wäre erst in vielen hundert Jahren möglich, aber die Fristen verschieben sich. Ich bin nun gewiß, daß viele von Euch noch Augenzeugen der ersten Reise jenseits der Atmosphäre sein werden.“
—KONSTANTIN ZIOLKOWSKI, Raketen-Raumfahrt-Pionier

     Die Distanzen waren damals groß und die Kommunikation schwierig. Das mag erklären, dass wenig später Hermann Oberth (1894–1989), Physiker und Begründer der modernen Astronautik, ohne jede Kenntnis der Arbeit Ziolkowskis, dieselben Probleme in Deutschland bearbeitet. Auch er kommt zum Schluss, dass es keine Kanone sein könne. Sein Vater ist Mediziner, darum beschäftigt er sich auch speziell mit diesen Aspekten. 1922 wird seine Dissertation Die Rakete zu den Planetenräumen in Heidelberg abgelehnt, weil es keinen Experten für ihre Beurteilung gibt. Oberth kann die Arbeit jedoch 1923 im Eigenverlag publizieren und löst damit einen regelrechten Raketenboom in Deutschland aus. Er stellt darin vier Prämissen auf:

Prämisse 1: Der Stand der Wissenschaft und der Technik ermöglicht den Bau von Maschinen, die höher steigen können, als die Erdatmosphäre reicht.

Prämisse 2: Bei weiterer Präzisierung können diese Maschinen derartige Geschwindigkeiten erreichen, dass sie nicht auf die Erdoberfläche zurückfallen (müssen) und sogar imstande sind, die Anziehungskraft der Erde zu verlassen.

Prämisse 3: Derartige Maschinen können so gebaut werden, dass Menschen (wahrscheinlich ohne gesundheitlichen Nachteil) mit emporfahren können.

Prämisse 4: Unter gewissen wirtschaftlichen Bedingungen kann sich der Bau solcher Maschinen lohnen. Diese Bedingungen können in einigen Jahrzehnten eintreten.

Ab 1927 organisieren sich die Berliner Raumfahrtvisionäre im Verein für Raumschiffahrt, erst in Breslau, dann in Berlin. Oberth ist erster Vorsitzender. Der rege Austausch bringt große Fortschritte. Über 100 experimentelle Raketen vom Typ Mirak und Repulsor starten vom Raketenflugplatz Berlin. Sie erreichen trotz vieler Fehlschläge in der letzten Entwicklungsphase eine Höhe von 1.500 Metern.

     Raketen zu bauen kostet astronomisch viel Geld: Die Pioniere sind mit Spendenaufrufen in Zeitungen und Versuchen, die Post für Raketen zu interessieren, ständig auf der Suche nach Sponsoren und Förderern. Der Verein zählt bis zu 500 Mitglieder. Auch das Militär, stets an neuen Technologien interessiert, unterstützt den Verein, was unter den Forschern schnell zu Spannungen führt. Ab 1930 engagiert sich auch der junge Wernher von Braun, damals noch Student. Sein Feuer für den Weltraum wird in seiner Kindheit durch ein astronomisches Fernrohr geweckt, das ihm seine Mutter schenkt und das ihn von Reisen zum Mond und darüber hinaus träumen lässt. Wenig später kennt er viele theoretische Werke seiner späteren Kollegen. Um diese Schriften vollends zu verstehen, verbessert er seine Leistungen in Mathematik und tüftelt an Raketen mit Flüssigkeitsantrieb.

     AUS FÜR VEREIN FÜR RAUMSCHIFFAHRT IN BERLIN
Dann folgt das Verbot der Nazis, private Experimente durchzuführen. Der Verein für Raumschiffahrt wird aufgelöst, die hoffnungsvollsten Forscher werden für die staatlichen Forschungseinrichtungen rekrutiert. Das Heeresforschungszentrum Peenemünde auf der Insel Usedom ist nun neuer Sitz der Raketenforschung und sein Direktor Wernher von Braun. Das Ziel: eine Großrakete, die eine Tonne Sprengstoff über 250 Kilometer zu tragen imstande ist, eine große militärische Hoffnung der Nazis.
     In den Versuchsreihen wird diese Rakete als Aggregat 4 bezeichnet, hunderte Versuchsstarts werden durchgeführt, bevor sie 1944 in einem Vorort von London einschlägt. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels tauft sie Vergeltungswaffe 2, kurz V2 genannt
     Die einzelnen Teile der Flüssigkeitsrakete V2 werden im Dritten Reich aus ganz Deutschland angeliefert und im KZ Mittelbau-Dora zusammengebaut. Die Aushebung der Stollen und die Konstruktion der V2 erfolgen unter unmenschlichsten Bedingungen: 5.000 speziell sortierte Häftlinge und 3.000 Zivilangestellte schrauben die etwa 20.000 Einzelteile zusammen. Das kostet tausende Häftlinge das Leben. Rund 3.200 Raketen kommen zum Einsatz. Dabei sterben geschätzte 8.000 Menschen, 20.000 bei der Produktion. Wernher von Braun sucht Mittelbau-Dora selbst auf und wählt geeignete KZ-Häftlinge für die Konstruktion der V2 aus. Moralische Bedenken scheint er dabei nicht zu haben. Der technische Fortschritt steht im Mittelpunkt. Parallel zur V2 laufen erste Entwicklungen für den Bau einer größeren, zweistufigen Rakete, die New York treffen könnte – diese bleiben aber Konzepte.
     Mit Ende des Zweiten Weltkriegs laufen Wernher von Braun und seine Kollegen zu den Alliierten über, sie flüchten in die USA. Die Amerikaner erweisen sich jedoch als reserviert, sie ver - folgen kontinuierlich ihre eigenen Ansätze, die auf den erfolgreichen Versuchsreihen von Robert Goddard (1882–1945) basieren. Wernher von Braun und sein Team sind in New Mexico streckenweise isoliert. Dann aber wirkt er an Amerikas erster atomarer Kurzstreckenrakete Redstone mit. Nach dem Fehlschlag der Marine folgt die vierstufige Rakete Jupiter C, die mit Explorer 1 den ersten amerikanischen Satelliten als Antwort auf Sputnik 1, 1957, in den Orbit bringt und mit ihm die USA aus der Schockstarre erlöst. Nun hat Wernher von Braun es geschafft: Er ist amerikanischer Nationalheld. In der soeben gegründeten Raumfahrtbehörde NASA kann er nun seinem Traum, dem zivilen Raketenbau, nachgehen. Er schafft sich medialen Raum, die seine Visionen befeuern, arbeitet mit Walt Disney zusammen und ziert das Cover der TIME. Er entwickelt die gigantische Saturn-V-Rakete und kommt damit, und mit ihm Präsident John F. Kennedy und die USA, dem Mond, den er schon als Bub durch sein Fernglas beobachtet hatte, am nächsten. In den 1970ern aber erkennt er, dass die USA nicht mit gleichem Feuer auf den Mars wollen. Er verlässt die NASA, geht in die Privatwirtschaft und wird Vizepräsident des Flugzeugherstellers Fairchild. 1977 stirbt er an Nierenkrebs, ohne je öffentlich zu dem dunklen Kapitel während des Naziregimes Stellung bezogen zu haben. Seine große Vision war zeit seines Lebens die bemannte Mars-Mission.

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     MARS IN GREIFBARER NÄHE
„Touchdown confirmed“ wird über Lautsprecher verkündet. Großes Aufatmen, die Anspannung der NASA-Mitarbeiter weicht Jubel. Sie springen von ihren Sesseln, umarmen sich und lassen ihrem Freudentaumel freien Lauf. Auch sie alle haben eine Vision, der sie Anfang August durch die erfolgreiche Landung ihres Mars-Rovers Curiosity einen Schritt nähergekommen sind.
     Es ist die bisher teuerste Mars-Mission. Ein Scheitern der NASA, deren Budget ständig gekürzt wird, vermochte man sich gar nicht auszumalen. Um wie viel mehr es dabei geht, macht US-Präsident Barack Obama in seiner Ansprache deutlich: „Der heutige Erfolg erinnert uns daran, dass unsere Vormachtstellung – sowohl im All als auch auf der Erde – davon abhängt, dass wir klug in Innovation, Technologie und Grundlagenforschung investieren, die schon immer dafür gesorgt haben, dass unsere Wirtschaft von der Welt beneidet wurde.“ 255 Tage war der Roboter, der so viel wie ein ausgewachsener Bison wiegt, auf dem Weg zum Mars. Rund zweieinhalb Milliarden US-Dollar hat man sich das kosten lassen. Doch das tritt in den Hintergrund, wenn solch ein medienwirksames Spektakel – angefangen von der Namensgebung durch die Sechstklässlerin Clara Ma bis hin zum NASA-Mitarbeiter mit patriotischem Irokesenschnitt im Stil der US-amerikanischen Flagge – unser aller Aufmerksamkeit auf sich zieht. Doch: Warum schwelgen die Menschen seit jeher in derartigen Visionen und träumen von der Eroberung neuer Räume und Sphären? Was bewegt krisengebeutelte Staaten dazu, derart kostspielige Missionen zu unternehmen?

„Mich trieb ein heftiges Verlangen. Die Sehnsucht nach jenen erhabenen Orten war in meinem Inneren verborgen.“
— Abu Abdullah Muhammad ibn Battuta, Forschungsreisender, 14. Jahrhundert

     Die menschliche Faszination für das Neue, Unbekannte kann bis Jahrhunderte vor Christus zurückdatiert werden. Herodots Reisen sind auch heute nicht in Vergessenheit geraten. Kein Wunder also, dass der Weltraum uns Raum für Phantasien und Träume eröffnet: endlose Weiten, eine große Unbekannte, unberührtes, jungfräuliches Gebiet, das es zu entdecken und erforschen gilt. So wie sich einst mutige Conquistadores unter der spanischen Krone aufmachten, die Amerikas nach Gold und Silber abzusuchen, neue Siedlungen zu gründen und sich ein vermeintlich besseres Leben aufzubauen, so verfolgen die Menschen heute gebannt das Treiben der Astronauten, Kosmonauten und Taikonauten. Die bemannte Mars-Mission erscheint greifbarer denn je. Curiosity ist unser Vorbote, der auskundschaften soll, ob es Leben auf dem Mars gibt. Ebenso die Vorbereitung menschlicher Exploration. Längst gibt es Abkommen, die die Zukunft dahingehend regeln und absichern sollen. So hat etwa das „Committee on the Peaceful Uses of Outer Space“ der Vereinten Nationen bereits einige internationale Abkommen verabschiedet, um Eigentumsansprüche und die Nutzung von Ressourcen zu regeln. Mit großer Aufmerksamkeit erwarten wir nun in den kommenden Monaten die ersten Aufnahmen vom Roten Planeten. Gebannt sehen wir der Auswertung der ersten Gesteinsproben entgegen, die Curiosity mit seinem Laser für uns ertastet.

Text: SPUTNIK PRODUKTION – DORIS LIPPITSCH, DAVID PASEK, JANA REITER