Es wäre an der Zeit.

Ich weiß, dass Veränderungen möglich sind. Ich weiß aber auch, dass der Widerstand der etablierten Institutionen sehr groß ist. Besonders in Wien.
    Das Ergebnis dieses Widerstands kann man an ungezählten entsetzlich öden Masterplänen sehen. Die Ideen von Podrecca/Tesar für den Widmungsplan um den Nordbahnhof sind zu Klein-Bukarest verkommen, der Stadtplan von Aspern ist eine schlechte Kopie des schon schlechten Masterplans der chinesischen Stadt Lingang New City  von (einem oder mehreren) deutschen Architekten.
    Aspern ist ein ödes Dorf. Man nennt es aber vermessen „Seestadt“ – dieser provinzielle Größenwahn entspricht der Minimundus-Vor-stellung unserer Entscheidungsträger, als ob man sich China zur Größe von Niederösterreich geschrumpft vorstellt und dort platziert, damit man nicht so weit reisen muss.
    Wie verkehrt man hierzulande denkt, erkennt man auch an dem neuen und etablierten Begriff „Smart-Wohnen“, der vortäuscht, „smart“ zu sein, um billigen Wohnraum zu schaffen. Man ist aber weit davon entfernt, Produktionsmethoden des Kleinautos, dessen Titel entlehnt wurde, auf die Architektur und den Bauprozess zu übertragen.
    Klein, billig, nachhaltig sollen die neuen Wohnungen sein, aber die Entscheidungsträger denken nicht an die Auswirkungen eines beschnittenen, zu kleinen Lebensraums auf die  Bewohner. Was wäre, wenn unsere Gesellschaft – vertreten durch die Politik – auf das kreative Potenzial unserer Architekten zurückgreifen würde und sie in einem seriösen Dialog aufforderte, ihre in Schubladen liegenden Konzepte im Rahmen von Versuchsanordnungen zu realisieren? Nicht in einem Wählerstimmen heischenden kooperativen Verfahren oder in Geld und Zeit verschwenden-den 100 Wettbewerben – ist es vorstellbar, dass ein Patient 150 Chirurgen zum Wettbewerb für seine Herzoperation antreten lässt? –, sondern in einem Realisationsdiskurs.
    Kein Geld vorhanden! Gegessen! Das sozialdemokratische Wien hatte als Konzept zu Beginn der neuen Bewegung auch für die Gesetzgebung einer progressiven Bauordnung „Licht, Luft und Bewegung“ vorgesehen.
    Ästhetisch allerdings hat das „rote Wien“ in einem bösen Abklatsch in bürgerlicher Vor-stellung von Repräsentation versagt. Unsere talentierten Architekten wären sicher in der Lage, eine zeitrichtige Ästhetik zu einem neuen Wohnbaukonzept zu entwickeln. Dazu muss man allerdings die Bauordnung radikal verändern. Vorbild könnten französische Projekte sein, die eine Neudefinition vom großzügigen Lebensraum im Wohnbau definieren.
    Man müsste unsere Architekten allerdings nur auffordern es zu tun und bei der Realisierung ihrer Ideen als Entscheidungsträger nicht hinter, sondern vor ihnen stehen, denn diese Ideen sind, wie ich aus mehreren Quellen weiß, nicht nur visionär, sondern auch kreuz-vernünftig.


Es wäre an der Zeit. (*) WOLF D. PRIX


(*) Ich weiß allerdings, dass ich mit meiner Forderung immer zu früh bin. Auch damals, als ich 1980 mit dem Text „Architektur muss brennen“, die Beendigung der unsäglichen postmodernen Architektur forderte, war ich acht Jahre zu früh. Die Ablöse der Richtung erfolgte erst 1988 durch die Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ im MoMA in New York. All we need is Geduld!