Gespräche Teil 2

Vorstellung von der Stadt


QUER   Was ist das urbane Gefühl?

PRIX   Definiert sich Wien in einem Fortschrittsgedanken? Oder ist das eh alles „Leiwand“, so wie es ist? Ich denke da an Barcelona, wie ein Politiker mit einem Stadtplaner in jungen Jahren im Gefängnis gesessen ist. Der Politiker hat sich dann als Bürgermeister daran erinnert. Die beiden haben gesagt: „Was fehlt? Wie müssen wir Barcelona sanieren?“ Das war ja damals heruntergekommen. Sie haben gerechnet, dass sie 40 Jahre dafür brauchen würden, wenn sie die Olympiade nicht machen. So ist das Ganze in Schwung gekommen – eine bekannte Geschichte. Der Stadtplaner hatte eine ganz konkrete Idee von der Urbanität einer Stadt. Entlang diesem Leitbild einer lebendigen Urbanität ist Barcelona zu einer Weltstadt gewor­den, zu einer sanierten Weltstadt, mit allen Vorteilen einer Infrastruktur, die wir eh schon haben. Wir hätten ja die tolle Infrastruktur …

MICHAEL HOFSTÄTTER, PAUHOF-ARCHITEKTEN   Barcelona ist durchaus vergleich­bar mit Wien. In beiden Städten gab es eine lange Phase der Stagnation, völlig neue Perspektiven haben sich durch innere und äußere geopolitische Verschiebungen eröffnet – 1975 in Barcelona, 1989 in Wien. Barcelona wagte den Neubeginn: Anfang der 1980er Jahre gründete ein interdisziplinäres Team unter Leitung des Architekten Joan Busquets und der Patronanz engagierter, leidenschaftlicher Stadtpolitiker das Urban Planning Department. Das Einende war eine soziale Agenda mit dem Ziel, die Stadt den Einwohnern wieder zurückzugeben. Stadtweiterbau und -sanierung galten als gleichrangig und unterlagen hohen Qualitätskriterien. Die bevorzugte Behandlung des öffentlichen Raumes fand weltweit Beachtung. Als Motivation für die Neuausrichtung der gesamten Infrastruktur veranstaltete die Politik 1992 die Olympischen Sommerspiele. Wien dagegen reagierte sehr verhalten auf 1989. In der Stadtplanung blieb es bei den gegebenen Strukturen, die für 1985 geplante Weltausstellung wurde storniert und die Grenzen zu den nordöstlichen Nachbarländern wurden vorläufig wieder geschlossen (Visapflicht). Wien wächst trotzdem und wird internationaler. Wien könnte aber besser auf seine Peripherie achten, könnte der Zeit entsprechende oder gar vorausgreifende neue identitätsstiftende Stadtteile schaffen, dabei das Gesamtgefüge der Stadt und deren spezifische Charakteristika noch schärfen. Also braucht auch Wien einen Neustart, ein neues Stadtplanungsdepartment mit einem engagierten, interdisziplinären Team, das Kompetenz, Vision und Kontinuität einbringt, und in dem es eine visionäre Persönlichkeit als verantwortlichen Ansprechpartner gibt. Die Politik hätte neben gesellschaftspolitischen Vorgaben die Ziele in der Öffentlichkeit zu vermitteln – besser noch: die Ziele mit der Öffentlichkeit zu generieren.

LAINER   Die Spanier können einfach grandios in Räumen denken. Und sie können auch den Stadtplan in dem Sinn definieren, verändern, weiterentwickeln, während ich bei uns immer wieder das Gefühl habe, wir denken nicht in Räumen, sondern in zwei Kategorien. Das eine ist das Vorbildsystem eines gewissen Rasters und dann historisch die besonderen Einzelobjekte. Die Ringstraße, als Folge losgelöster Monumente mit problematischen Raumsequenzen. In Bereichen, in denen diese historischen Absicherungen nicht existieren, sind wir nicht in der Lage, attraktive Stadterweiterungsgebiete zu schaffen. Ich glaube, dass Viertel wie manche Bereiche um den Hauptbahnhof mit diesen enormen Dichten, gleichförmig 21–26 Meter hohen Blockrändern, irgendwann einmal zum Slum werden müssen, denn wenn in den Hof kaum Sonne hineinkommt, wirst du irgendwann einmal aggressiv.

PRIX  Woran liegt das?

Wien wo und wohin? ©x

DIETER HENKE, HENKE&SCHREIECK   Das ist eine Investorengeschichte, die sich im Wiener Städtebau abspielt. Da geht es primär um Verwertung.
    Ich glaube, es geht vordergründig um den schnellen Gewinn und die Sicherheit der Verwertung der einzelnen Bauplätze, das passiert ohne größeren städtebaulichen Zusammenhang. Ein anderes Problem ist der Zeithorizont. Da gibt es Konzepte – erdacht vor 20 Jahren –, dann vergehen 12 Jahre und man fängt von vorne an. Wieder ein neuer Wettbewerb. Es fehlt irgendwie der rote Faden, die Kontinuität. Dann entsteht Stückwerk.

LAINER  …  Das Wesentliche ist, dass der fehlende Umgang mit dem Raum auch beim Hauptbahnhof das Hauptdilemma ist. Dort gibt es einfach Angst vor anderen Lösungen. In Barcelona geht man mit Raum großzügiger um. Dort wurde die Avenida Diagonal mit dem blauen Dreiecksgebäude am Wasser mit kühnen Randbebauungen und spektakulären Hochhäusern als Stadtgenerator eingesetzt: entschlossene Achsen, klare Schwerpunkte festlegen, das ist eine räumliche Setzung. Diese mutige Unbekümmertheit, die haben wir nicht. Wir haben noch etwas nicht, die instrumentelle Fantasie, wie sie die Barcelonesen in ihrer Stadtplanung haben. D.h., sie sind nicht so zwänglerisch, dass sie für jede Parzelle genau vorgeben, was dort genau gebaut werden muss: ein 12 Meter tiefer, ein 16 Meter tiefer, ein 18 Meter tiefer Bau­körper, der genau so eine Traufe von 16 Metern oder 21 Metern hat  … 

HOFSTÄTTER   Architektur und Städtebau sollten in Wien nicht mehr als Gegensätze betrachtet werden.

LAINER   Wir haben meist ein prokrustes Bett mit Baukörpervorgaben für die meisten Parzellen: 12 Meter tief oder 14 Meter tief etc., und baust du größere Balkone, dann brauchst du den Paragraf 69. Es fehlt uns etwas an räumlicher Fantasie und vor allem an instrumenteller Fantasie, wir brauchen spezifische Instrumente, damit man die Sachen ein bisschen lockerer und mit höherer Qualität umsetzen könnte, vor allem auch bei den scheinbar einfachen Bauaufgaben!

PRIX   Christoph, habt ihr eine Vorstellung, wie die Stadt sich entwickeln soll?

CHRISTOP CHORHERR, DIE GRÜNEN   Ja.

PRIX   Und wenn nein, warum ja?

Wien wo und wohin? ©x

CHORHERR   Wien ist eine der stärkst wachsenden Städte Europas geworden. Das ist nicht gleich nach 1989 passiert, sondern aus einer Reihe von Gründen … Meine These, ohne es nachgemessen zu haben, ist, dass Wien derzeit – was den überbauten Raum betrifft – stärker wächst als in der Gründerzeit. Irrsinnig viele Leute wollen nach Wien. Ein Trend ist auch gebrochen – das ist jetzt keine Errungenschaft –, ein Zeittrend, dass die Leute, wenn sie Kinder kriegen, ins Umland gehen wollen und die Stadt hinter sich lassen. Ich halte das für einen Fortschritt, dass mit zunehmendem Alter Menschen den städtischen Raum schätzen und insofern finde ich es eine sehr spannende Zeit, jetzt Stadtplanungspolitik zu machen. Was sind die Rahmen? Sich gegen große Trends zu stemmen, meines Erachtens ein ganz großes Thema. Diese gesellschaftliche Frage in ganz Europa, die Trennung von Reich und Arm in weiten Bereichen der Stadt, ist für Normalverbraucher … 

PRIX   Was ist das, sich gegen Trends zu stemmen?

CHORHERR   Ja, das versuche ich gerade zu erklären! Also, ein Trend ist die Segregation! In weiten Teilen der Stadt kannst du nicht mehr Wohnbauten oder neue Wohnungen errichten, zu Preisen, die sich leicht Unterdurchschnittliche leisten können. Noch ist Wien da sehr privilegiert. Unsere Ziele kann man vielleicht als altmodisch bezeichnen, Errungenschaften der europäischen Stadt weiterzuentwickeln. Und Errungenschaften, die Wien hat, nicht zu verlieren. (Zu Prix) Du hast mich einmal in diesem Sinne als Romantiker bezeichnet!

PRIX   Noch immer!

CHORHERR   Ich bekenne, vielleicht ist das Bild der Stadt ein aufgeklärter Romantizismus des 21. Jahrhunderts.

PRIX   Weiß die MA 21, was Stadtraum, Straßenraum und Stadtbild heißt? Gibt es hier Vorstellungen?

BINDER   Bei den Mitarbeitern der MA 21 gibt es ein hohes Maß an Verständnis für solche wichtigen Stadtraum- und Straßenraumfragen. Man hat sich aber kein Instrument für die Durchsetzung eines aktiven Bodenerwerbes angeeignet. Das ist für die Stadtentwicklung entscheidend. Und wenn du den Boden nicht hast, bekommst du zwangsläufig nur „Puzzle-Stadtplanung“… In Österreich war man da leider zu wenig mutig … da hat man im Bund das „offene Fenster“ zu nutzen versäumt, denn ein Allein­gang auf der politischen Bühne wird bei uns wohl lange nicht mehr möglich sein … Wenn man aber den Boden zu fairen Preisen enteignen bzw. wirklich nutzen könnte, würden erforderliche Infrastrukturmaßnahmen der Kommune auf weniger und besser gelegene Gebiete konzentriert werden können.
    Der Stadtentwicklungsplan 1984 wies mehr als doppelt so viele Flächen am Stadtrand aus als erforderlich. Da war noch die Hoffnung auf begleitende Gesetze. Vielleicht waren wir zu jung, zu naiv, „Werkzeuge“ von der Politik zu erwarten, um die Zielsetzungen dingfester machen zu können. Sie sind nicht gekommen! … Man muss sich künftig noch wesentlich intensiver auf stadtstrukturell gut gelegene Flächen konzentrieren. Dies gilt sowohl für den Stadtrand als auch für dicht bebautes Gebiet, denn Grund und Boden sind keine vermehrbare Ressource! Ich sehe durchaus in den siebziger, achtziger Jahren einen engagierten Ansatz, der sich bis heute nicht erfüllt hat.

PRIX   Da hat Planung noch mit Ahnung zu tun gehabt!

DUNKL   Das könnte man mit so einer populistischen Volksbefragung lösen: „Wollen Sie, dass Grundstücke leer stehen, die gut erschlossen sind? Oder dass man sie den Haus- oder Grundstücksbesitzern wegnimmt und sinnvoll verwendet, damit unsere Stadt weniger Müll- und Infrastrukturgebühren hat? Dann stimmen Sie mit Ja!“ Das könnte man leicht machen!

PRIX   Da musst du aber aufpassen! Jetzt schützt die SPÖ vor vielen Dingen!

LAINER   Das, was Wien in den Phasen, in denen es Engagement gab, auszeichnete, sind manche radikale stadtstrukturelle Bilder oder Visionen. 

Ich habe immer gesagt, dass es ohne QUERdenken keine aktuelle Stadtraumvorstellung gibt, und der Blockrand war, polemisch gesagt, der letzte erfolgreiche Stadtraum in der Gründerzeit.

Das meiste, das nachher kam, sind keine Räume mehr, sondern große Siedlungen wie die Großfeldsiedlung. Auch Projekte, die mit hohem Engagement geplant wurden, wie das Schöpfwerk, schaffen keinen Raum, der städtische Dynamik anregt. Das Defizit ist, an die Raum- und Nutzungsqualitäten der Gründerzeit anzuschließen, diese jedoch neu zu interpretieren, in neue Kompressionen zu führen und damit vielleicht zu radikalisieren und so Differenzierung, Vielfalt, Mischung etc. anzuregen und zu ermöglichen. Wir erreichen grade die konventionellen Instrumente.