Dem Haus die Krone aufsetzen

Immer mehr brachliegende Dachböden werden zu hochwertigem, innerstädtischem Wohnraum umgebaut. Bei der Dachdeckung setzen Architekten wie Bauherren vermehrt auf Altbewährtes.

Verschiedene Farben, Formen und Formate machen keramische Dachziegel zum varianten­reichen Gestaltungselement, das selbst vor der Fassade nicht Halt macht.
    Urbane Nachverdichtung lautet eine der Antworten auf das kontinuierliche Wachstum der Städte, denn alleine über die Entwicklung der Erweiterungsgebiete im Umland wird man angesichts des prognostizierten Bevölkerungswachstums nicht das Auslangen finden. Zudem machen die hohen Kosten für die nötige Verkehrsinfrastruktur in den Randlagen die Stadt der kurzen Wege zu einer absoluten Notwendigkeit.


Leistbarer Wohnraum

Die Bereitstellung von leistbarem Wohnraum hängt entscheidend davon ab, wie sehr es gelingen wird, innerstädtische Baulandreserven zu aktivieren. „80 Prozent in den Stadterweiterungsgebieten und 20 Prozent innerstädtisch“, lautet beispielsweise der Schlüssel der Wiener Stadtplanung für die künftige Entwicklung der Bundeshauptstadt. Dabei spielen die bislang ungenutzten Flächenreserven im Steildach eine entscheidende Rolle. Unterschied­lichen Erhebungen zufolge liegt das Ausbaupo­tential zwischen 15.000 und 25.000 Dachböden, die derzeit brach liegen. Das entspricht einem Gegenwert von rund 80.000 Wohneinheiten.
    „Die Zukunft unserer Städte liegt auf dem Dach“, davon ist auch Franz Kolnerberger, Internationaler Leiter für Dachlösungen der Wienerberger AG, überzeugt. Rund 80 Prozent der Wiener Wohnbauten verfügen über ein Steildach. Ein enormes Wohnraumpotential, wenn man bedenkt, dass der Großteil davon bislang nicht ausgebaut ist. Mit knapp 35.000 Objekten stellt der gründerzeit­liche Bestand den Löwenanteil an ausbaufähigen Dachböden. „Weniger als zehn Prozent dieser Steildächer werden derzeit als Wohnraum genutzt“, schätzt Conrad Bauer, Sprecher des ÖIBI – Österreichisches Institut der Sachverständigen für Bautechnische Immobilienbewertung. „Von den restlichen 90 Prozent eignen sich zirka zwei Drittel für einen Ausbau“, so Bauer weiter.

Wienerberger ©Wienerberger

Von der Mansarde zum Penthouse

Bis weit ins 20. Jahrhundert war die Mansarde – der Wohnraum unter dem Dach – Synonym für Arme-Leute-Wohnungen. Teilweise mit direktem Blick auf die Dachziegel, im Winter kalt und zugig, im Sommer stickig und unerträglich heiß, waren die Dachkammern als billiger Wohnraum vor allem bei mittellosen Künstlern und armen Studenten gefragt. Das änderte sich erst in den 1970er und 1980er Jahren. Effiziente Dämmstoffe und der flächendeckende Einbau von Liftanlagen im Altbaubestand brachten einen radikalen Imagewandel. Die ehemaligen Waschküchen, Trockenböden und Abstellkammern entwickelten sich zur begehrten städtischen Wohnform, weitab vom Staub, Lärm und Trubel „unten“ in den Straßen. Viel Licht, Luft und Loft (Raum) bieten die ausgebauten Dächer heute – bisweilen sogar mit eigener, vor den Ein-blicken der Nachbarn geschützter Terrasse oder grünen Gartenoasen in luftiger Höhe.


Wertewandel am Dach

Die Hersteller von Dachziegeln haben diesem Wertewandel am Dach Rechnung getragen und ihre Hausaufgaben in puncto Design und Gestaltung gemacht. „Vor 20 bis 25 Jahren haben die traditionellen Muldenziegel und in manchen Regionen der Biberschwanz die Dachlandschaften der europäischen Städte geprägt. Heute umfasst die Angebotspalette ein Sortiment von rund 15 verschiedenen Dachziegeln in unterschiedlichen Größen, Farben und Formaten, mit Glasuren, Glanz- oder Farbengoben in den verschiedensten Schattierungen. In Summe hat man bei der Deckung des Daches heute die Qual der Wahl aus rund 100 unterschiedlichen Modellen“, präzisiert Kolnerberger. Mit starken regionalen bzw. kulturellen Spezifika, wie aus den Verkaufsstatistiken von Wienerberger hervorgeht. Während im Süden, vor allem in den mediterranen Ländern, die natürlichen Farbtöne und Ziegel mit rauer Oberfläche im Gebraucht-Look die Dachlandschaft dominieren, geht im Westen und Norden Europas nichts über das neu aussehende Dach. Auch im Hinblick auf die Formen und Formate gibt es länderweise starke Unterschiede: Im romanischen Raum überwiegen die runden Formen des Römerziegels oder der Mönchs- und Nonnendeckung, Richtung Norden werden die Ziegel flacher, die Formate kantiger, und es herrscht mehr Mut zur Farbe. In Deutschland oder Polen wiederum ist der Biberschwanzziegel weit verbreitet, spielt dort vor allem beim Erhalt historischer Dachlandschaften eine tragende Rolle. Im Nordwesten bevorzugt man beispielsweise die sogenannte „Kleine Tasche“, mit bis zu 70 Ziegeln auf den Quadratmeter wohl eine der aufwändigsten Verlegearten.
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Neue Gestaltungsmöglichkeiten

Technische Weiterentwicklungen haben auch gestalterische Möglichkeiten erweitert und damit neue Einsatzgebiete erschlossen. „Zeitgenössische Architektur und ein Steildach mit keramischer Deckung stehen heute nicht mehr im Widerspruch zueinander. Bestes Beispiel dafür ist die versteckte Entwässerungsrinne, die den Abschluss der Dachfläche direkt an der Gebäudekante ermöglicht. Man braucht keinen Überstand mehr. Das unterstützt die Geradlinigkeit der modernen Architektur und macht die keramische Deckung auch für Architekten zu einer interessanten, ästhetisch anspruchsvollen Alternative, beispielsweise zum Flachdach“, ergänzt Kolnerberger.
    Tatsächlich haben die Architekten den keramischen Werkstoff wieder zu schätzen und lieben gelernt und schöpfen dessen Einsatz- und Gestaltungsmöglichkeiten spielerisch aus. Selbst vor der Fassade schrecken sie nicht zurück. „Die Menge an Dachziegeln, die an der Fassade eingesetzt werden, hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt“, bestätigt Kolnerberger. Vor allem in den Regionen, wo traditionell Klinkerfassaden vorherrschen – wie in den Beneluxstaaten, im Norden Frankreichs und in Norddeutschland –, gewinnt der Dachziegel auch als Fassadenverkleidung an Bedeutung. Dazu der Ziegelexperte: „Die Nachfrage steigt stetig und selbst im historischen Umfeld macht die Dachziegelfassade einen guten Eindruck.“ Ein Anblick, an den man sich in unseren Breiten allerdings erst noch gewöhnen muss. 

Text: TOM CERVINKA

In Zusammenarbeit mit Wienerberger