Gespräche Teil 5

Phänomen Stadt


projekthaus Wien ©projekthaus Wien

HOFSTÄTTER   Für uns stellt sich also die Frage: Wie kann Planung mit einer Stadt, die im alltäglichen Leben „gebaut“ wird, in ein fruchtbares Gespräch eintreten? Im Kontakt mit dem Phänomen Stadt geht es um die Suche nach einer neuen Form der Stadtforschung. Das reicht über die Grenzen der Architektur – wie sie zumeist betrieben wird – hinaus.

PRIX   Das Bild wird jetzt missverstanden als formale Vorstellung. Ich denke Stadt als Bild … als gestaltetes Bild. Geht Grün die Eigentumsfrage an? Als Instrument der Stadtentwicklung?

CHORHERR   Also, einmal mehr: Ja! … Ich halte die Grund- und Bodenfrage für essentiell. Und die werden wir angehen! …

HOFSTÄTTER   Aber nach welchen Kriterien wollt ihr das machen?

PÁLFFY   Darf ich darauf noch einmal zurückkommen? Das klingt oft so, als ob ein Baggersee einfach von selbst passiert, als Opfer der Umstände, oder besser, der Sachzwänge. Bei uns im Büro nennen wir solche Abläufe oft auch „die normative Kraft des Praktischen“. Doch ganz so ist das dann auch wieder nicht, denn die U-Bahnstation Seestadt Aspern wird demnächst eröffnet, zwar mit See, aber ohne Stadt, und es wird nur eine Frage der Zeit sein, wie selbige folgt.
    Wie die aussehen kann, beschreibt eine Studie von Univ. Prof. Schönbäck, der sich mit den Konsequenzen der U-Bahnverlängerung in die Seestadt befasst hat. Verkürzt dargestellt, ist das Ergebnis seiner Untersuchung in der Tatsache zu sehen, dass direkt an der U-Bahnstation die Grundstückspreise so anziehen werden, dass in der Folge eine ausschließliche Ansiedlung von Gewerbe und Bürobauten zu erwarten sein wird. Die Wohnstadt ist dann wiederum an der Peripherie der Seestadt und die Funktionstrennung in unterschiedliche Bereiche erneut eingetreten.
    An den Entwicklungsachsen der Stadt entstehen damit aber auch immer wieder Monokulturen, die einer Nutzungsform verpflichtet sind, und das nicht grundlos, ein solches Gebäude lässt sich einfach besser am Markt verwerten, sprich verkaufen. Monokulturen sind aber nicht nur in der Landwirtschaft problematisch, für ein Stadtleben sind sie meiner Meinung nach mindestens genauso fragwürdig …
    Eine Infrastruktur legt Ausrichtungen fest, auch zwischen den Entwicklungsachsen einer Stadt, und eröffnet damit auch die alte Fragestellung: Wer trägt diese Entwicklungen wirtschaftlich mit, wer profitiert von der Wertsteigerung? Dieses Spannungsverhältnis trägt eine politische Komponente in sich, und damit etliche Fragezeichen …
 

15a ©DMAA Delugan Meissl


ROMAN DELUGAN, DELUGAN MEISSL   Wir konzentrieren uns zu sehr auf  Wien und sehen uns nicht als Teil der europäischen Entwicklung – ich kann auch keine Bilder, Ideen zur zukünftigen Stadtentwicklung erkennen. Themen wie Migration, leistbares Wohnen, ökologisches Bewusstsein etc. sind Aufgaben, die im Sinne einer Gesamtidee betrachtet werden müssen. Es stellt sich die Frage: Wie weit konserviert sich Europa und was können wir Architekten, Stadtplaner, Politiker zu einer bedürfnisorientierten Entwicklung beitragen? Als Beispiel für hervorragenden Städtebau finde ich den von Adolf Loos, wie er die Stadt gesehen, gedacht hat, großartig. Wenn ich im Vergleich das Resultat Wien Kanal betrachte, bewegen wir uns in Richtung Durchschnittlichkeit, sprich Mittelmaß und genau das ist der einfache Weg, dem größtmöglicher Widerstand entgegengebracht werden muss. Wir brauchen eine Idee für Wien – das Betätigungsfeld ist nicht der erste Bezirk, sondern die Schaffung von autark funktionierenden Subzentren mit hoher Identität. Wir müssen von einem Stadtorganismus in unserer Betrachtung ausgehen, dann sind auch punktuelle Eingriffe wirkungsvoller, qualitätsvoller.

HOFSTÄTTER   Gerade bei Adolf Loos’ Architekturkonzepten spüren wir, was die Bandbreite der Stadt ausmacht. Einerseits trat er für die Siedlerbewegung ein, entwickelte die Mustersiedlung Heuberg, sozusagen als Selbstbaumodell für Arbeiter in der Peripherie, andererseits überarbeitete er akribisch den Ringstraßenplan, um stadträumliche Mängel des 19. Jahrhunderts zu beheben. Der Stadtraum war immer ein wesentlicher Entwurfsfaktor bei seinen innerstädtischen Großprojekten, wie etwa bei seinem Vorschlag für die Verbauung der Gartenbaugründe. Loos musste sich aber mit seiner Oppositionsrolle abfinden. Es war ihm nicht vergönnt, das Stadtbild entscheidend zu prägen.

DELUGAN   Ja, das ist richtig – er ist letztlich viel radikaler an die Stadtplanung herangegangen als Otto Wagner – er hat „stadtaffiner“ agiert.


Phänomen Stadt 15 ©Spiluttini


JAKOUBEK   Da braucht man halt den Anlassfall. Der war ja damals mit dem Wachstum gegeben. Und der Anlassfall … der ist natürlich sehr spät gekommen und übersehen worden.

HOFSTÄTTER   Die öffentliche Hand ist aber trotz gegebener Anlassfälle nicht bereit, Geld für übergeordnete Planung, für die Untersuchung von zukunftsweisenden Modellen zu investieren.

JAKOUBEK   Nein, man hat es übersehen, man hätte vor fünf, sechs Jahren schon sehen können, dass Wien wächst. Weltweit wachsen die Zentren. Ein paar nicht, die meisten schon. Aber das bedingt wieder eine andere Stadtplanungspolitik!
    Wien ist da traditionell mit den niedrigsten Renditen versehen. Jeder muss im Prinzip dürfen können, der eine da, der andere dort. In Wien sind in den letzten zehn Jahren die Mieten in gewerblichen Bereichen nachweislich konstant auf niedrigem Niveau geblieben. Wie kommt es dazu? Irgendwo musst du – getrieben von ständiger Optimierung – einsparen, in der Materialqualität und Architektur.
     Warum das überhaupt bis jetzt funktioniert hat? Weil die Finanzierungspolitik der Fonds eine sehr angenehme war, über sogenannte Finanzinnovationen doch noch zu einem Gewinn zu kommen. Letztlich hat das zu einem großen Problem geführt. Der Hintergrund, warum der Wiener Immobilienmarkt überhaupt noch funktioniert hat, ist, dass die Fonds letztlich in Wien gekauft haben, weil sie der Meinung waren, nach unten abgesichert zu sein – eine „Potenzialimmobilie“. Das hat teilweise zu einem totalen Wildwuchs geführt, sie haben immer schnell Büros mit niedriger Qualität entwickelt, mit schlechter Architektur und Städtebau. Erdberg, Wienerberg, Zentralbahnhof, alles gleichzeitig und so viele Mieter gibt es ja nicht. So sind die Mieten nie gewachsen. Im Rathaus ist leider der Eindruck gegeben, dass der Investor eigentlich von der Schul- bis zur Parkbank alles mitfinanzieren muss. Das kann man auf der einen Seite leicht nachvollziehen, aber so viel wird da leider nicht verdient. Wie viele ernsthafte Developer gibt’s in Wien derzeit noch! Schauen wir uns Paris an. Was war mit La Défense und der Stadtplanungspolitik?

PRIX   La Défense ist ein gutes Beispiel von einer Vision einer Stadt. Es war ein städteplanerischer Entschluss, ein neues Zentrum zum Aufbruch des monozentrischen Paris zu gründen. In dem Spannungsfeld von diesem neuen Zentrum sind all die großen Kulturprojekte in Paris entstanden.

DELUGAN   Ich sehe unser Betätigungsfeld als Architekten an den Rändern, der Peripherie, in der Stärkung und Entwicklung von Subzentren. Es gibt einen Bezirk, mit dem ich mich besonders identifizieren kann – das ist der 16. Bezirk, den finde ich hoch spannend. Identifikation ist ein wesentlicher Faktor für das Gelingen einer Stadtentwicklung – in diesem Punkt sehe ich besonders große Defizite, um die Stadt tragfähig weiterzubauen. Nicht im ersten bis neunten Bezirk, dort ist diese Entwicklung weitgehend abgeschlossen.

CHORHERR  … ein großes Thema, ein Spezifikum von Wien. Das ist die faktisch kulturelle Trennung durch die Donau: Was ist transdanubische Urbanität? Ein Großteil der Stadtentwicklung findet nordöstlich der Donau statt. Dort sind große Flächenreserven … Die Zukunft der Stadt findet nicht (nur) im ersten Bezirk statt – ich glaube, dass ein zukünftiges Zentrum dort ist, wo keiner sich das vorstellen kann: das Zentrum Kagran, in einer Hauptachse entlang der U1, wo es noch einiges gibt, mit einem Central Park, nämlich der Donauinsel in der Mitte …Viele Leute aus dem 21., 22. Bezirk fahren nach Wien, wenn sie die Donau queren …


19b ©Markus Pillhofer


DELUGAN   Konkrete Beispiele wie die Achse Kagran existieren, wo derzeit einige große Projekte entwickelt werden. Ich finde es relevant, ob von Seiten der Stadtplanung eine Vorstellung existiert, wie sich diese Achse im Stadtgefüge darstellt, und wann dieser Plan den Architekten präsentiert wird, die an diesen Projekten arbeiten. Die besten Einzelkonzepte werden nicht greifen. Ich denke, es benötigt einen konkreten Plan, ein Gerüst, um vorausschauenden, zukunftsweisenden Städtebau zu betreiben. Ich möchte das nicht als Angriff gegen die derzeitige Stadtplanung sehen, das wäre auch zu kurzsichtig – ich denke an eine Evaluierung gewisser Planungsstrategien, eine bessere Kooperation.

MANAHL   In letzter Zeit ist ein wenig zu spüren, dass sich die Art bei den Verfahren verändert, eines der Dilemmas der früheren Stadtplanung, wie sie gemacht worden ist. Das Abwickeln von städtebaulichen Wettbewerben, wo Baukörper definiert werden, wo über den städtebaulichen Wettbewerb und dann in der Flächenwidmung eigentlich Objektplanung anstatt Stadtplanung betrieben wird. Und dann muss man sich als Architekt mit diesen ganzen ausdefinierten Strukturen herumschlagen, mit Spielraum zirka Null. Nicht Strukturen im Wortsinn, sondern sinnlose Raumhülsen, vielfach unbrauchbare Kopien von Abfolgen historischer Stadträume. Große Chancen sind leider vorbei, wo riesige Flächen in anderer Form entwickelbar gewesen wären …

PRIX   Ich frage noch einmal nach dem Bild. Ohne Bilder gibt es keine Entwicklung! Architektur und Stadtraum ist Dreidimensionales und das kann nur über Pläne realisiert werden.

HOFSTÄTTER   Wenn du von einem konstituierenden, zukunftstauglichen, übergeordneten Stadt-Bild sprichst, dann beinhaltet das neben theoretischen Erkenntnissen den Glauben an den Entwurf als kulturelle Kraft, an die Imagination. Und das erfordert einen entsprechenden gesellschaftlichen Kontext – einen kollektiven Willen als Ausdruck städtischer Freiheit – auch in deren Grausamkeit. Das heißt konkret, bei der Konzeption von städte­baulichen Entwürfen bedarf es entsprechender Ressourcen – auch finanzieller – für Recherchen, Analysen, interdisziplinäre Vernetzungen und am wichtigsten: Zeit und Konzentration für einen umfassenden schöpferischen Planungsprozess. Bei unseren pragmatischen, fragmentierten Wettbewerbsverfahren geht es aber nie um die Entwicklung zukunftsfähiger urbaner Strukturen für Wien, sondern um ein Styling vorgegebener Konventionen. Für mehr reicht die bürokratische Ambition nicht. Etwa 100 Kollegen entwerfen bei diesen Verfahren etwa einen Monat lang – im Gleichschritt – unter engen Rahmenbedingungen und lassen dann zeichnen. Das ist für das jeweilige Büro schon sehr teuer, für die Aufgabe viel zu kurz. Der Architekt wird zum Arrangeur, Dekorateur von vordefinierten Raumprogrammen. Für Pauhof ist das kontraproduktiv – der Gewinn eines Wettbewerbes wird uns weiterhin verwehrt bleiben.
    Gegenbeispiele: 1994 waren wir zu einem städtebaulichen Workshop in Schwerin geladen. Es ging um die Probleme der städtebaulichen Verschränkung der DDR-Plattenwohnstadt mit der etwa gleich viele Einwohner zählenden Altstadt. Uns bot sich dabei die Gelegenheit, die Originalstadtentwicklungspläne des klassizistischen Architekten und Stadtplaners Georg Adolf Demmler zu studieren. Bis heute gültig, prägte Demmler Stadtstruktur und Stadtbild von Schwerin.

17 ©Archiv PAUHOF


Er benötigte etwa 25 Jahre für das Zeichnen und Entwerfen dieser Pläne. Ergebnis ist eine geplante Stadt, eine grandiose Einheit von öffentlichen Räumen, Gebäudepanoramen kombiniert mit endlosen Lindenalleen, die weit in die Landschaft reichen und sich in geometrisch konditionierten Wasserflächen – Stadt der Seen – spiegeln, maßstäblich herausragende Architekturen für die Gemeinschaft, Denkmäler, implizierte Naturräume … eine Struktur, die Schwerin auch heute die Chance eröffnet, die problematische Nachkriegsentwicklung anschlussfähig zu halten. Etwa hundert Jahre später benötigte Jože Plečnik für die komplexe, identitätsstiftende Neuausrichtung von Ljubljana auch mehr als zwei Jahrzehnte. In Wien gab es eine ähnlich geglückte urbane Weichenstellung um die Jahrhundertwende mit Otto Wagner.

JAKOUBEK   Mut braucht’s auch. Meine Wahr­nehmung ist, dass im Vorfeld wahnsinnig viel Energie in Diskussionsrunden über das Wie? Wo? Was? investiert wird. Das geht in Richtung STEP (Stadtentwicklungsplan, Anm.), den man dann beiseite legt, hin und wieder her nimmt … eine grobe Ideenansammlung …

CHORHERR   Das ist Aufgabe der Politik und für Außenstehende nicht zu schaffen … wir machen das nicht mehr … wir versuchen jetzt, mal mit mehr, mal mit weniger Ergebnis, kooperative Verfahren …

PRIX   Heißt das jetzt kooperativ oder kollaborativ?

CHORHERR   Ich glaube, dass das kooperative Verfahren sind …
Manahl Ich glaube, dass es zumindest möglich ist, mit dieser Art Verfahren zu anderen, adäquateren Ergebnissen zu kommen.
 
DELUGAN   Zu welchem Prozentsatz gelingt es, alternative Konzepte einzusetzen? Im Schulbau kenne ich ein oft publiziertes Musterprojekt, jenes am Zentralbahnhof von PPAG, das nach neuen Erkenntnissen abgewickelt wurde – leider eine der wenigen Ausnahmen …

JAKOUBEK   Mehr als 20 Jahre stand es mehr oder weniger jedem auf dieser Welt offen, Wien Mitte umzusetzen. Warum es so lange gedauert hat, bis es dann zur Umsetzung gekommen ist, sollte einen nachdenklich stimmen. Wir haben erst 2005 einen Standort erworben. Letztlich ist Wien Mitte durch ein Wettbewerbsverfahren entstanden. Und das Wettbewerbsergebnis ist dann im Masterplan mit einer Überregulierung in der Widmung umgesetzt worden.

CHORHERR   Wenn man das strukturell beantwor-tet, ist das Verfahren zu ändern, dass weniger über hoheitliche Widmungs-, Bebauungsbestimmungen festgelegt wird, sondern wo Qualität diskutiert und über städtebauliche Verträge verankert wird.

PRIX   Christoph, wozu? Weil die Gefahr der Instru­mentalisierung riesengroß ist, dass der Prozess wichtiger ist als das Ergebnis!