Gespräche Teil 4
Unser Zusammenleben
PRIX Haben wir genügend Instrumentarien, um Stadtentwicklung zu betreiben oder ist das genug, wie die Stadtentwicklung betrieben wird? Oder provokant gefragt: STEP oder Steppdecken? Was sind deine Erfahrungen?
JAKOUBEK Unterschiedliche. Wien funktioniert nicht schlecht, es funktioniert hervorragend … die Lebensqualität, damit reicht’s schon. Da fehlt natürlich ein bisschen mehr, wenn man sich im Ausland in anderen Städten umschaut, in Richtung Städtewettbewerben, dann merkt man, dass da doch ein wenig Dynamik fehlt. Andere Städte haben mehr gemacht und sind mutiger gewesen. Es scheitert – denke ich – nicht an Instrumenten, ganz im Gegenteil. Instrumente gibt es genügend, vielleicht sogar ein wenig zu viel, nicht mehr ganz zeitgemäß. Es scheitert vor allem an den zuständigen Personen, die zu wenig Ideen und Mut einbringen. Wien ist eher eine geschlossene Veranstaltung, man macht ein paar nette Ausflüge in andere Städte und stellt dann immer fest: Bei uns daheim ist ja alles viel besser! Wir wissen, die Selbstzufriedenheit ist hier relativ hoch. Deshalb sind alle gefordert, Politik, Stadtplanung, Architekten und Bauträger, auch die Medien, um das entsprechend zu kommunizieren und nicht nur programmierten Ärger zu machen. Sonst kann die Politik keinen Mut mehr entwickeln. Ob das gut, wirtschaftlich und ökonomisch für den einen Bauträger ist, ist jetzt nicht das Thema, in Wirklichkeit betrifft es die ganze Stadt! Und da ist es mir lieber, es funktioniert die Stadt, als dass die Rendite überoptimiert ist.
PRIX Die Lebensqualität in Wien ist natürlich eine hochklassige, das wissen wir alle. Aber,
was draufsteht an Infrastruktur, ist der Status quo wirklich so toll?
ADOLF ANDEL, RAUMPLANER & UNTERNEHMENSBERATER Wenn ich das richtig verstanden habe, dann war die Frage: „Hat der Wiener, haben die Wiener eine Vorstellung vom Stadtbild?“
Vorher würde ich die Frage stellen, ob wir ein Bild davon haben, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen. Ich hab’ den Eindruck, dass wir da Defizite haben. Und dieses Defizit ist in Wien derzeit auch dabei, bewusst zu werden oder aufzubrechen.
Das heißt: Wie schaut eine städtische Gesellschaft aus, die wir gestalten wollen? Wie wollen wir uns in einer wachsenden städtischen Gesellschaft organisieren? Was heißt das für die Voraussetzung, die Folgewirkungen der gebauten, nicht-gebauten, freigehaltenen, gestalteten, wie auch immer … Stadt? Sei es Gebäude, sei es Straße usw. Diese Auseinandersetzung ist natürlich in einem hohen Maße politisch und erfordert einen Diskurs, muss sich von tagesaktuellen Diskussionen loslösen und trotzdem juicy sein, die Leute in ihrer Lebenswirklichkeit ansprechen. Und da hab’ ich den Eindruck, dass wir uns über diese Frage schnell herumschwindeln und sagen: „Na, reden wir über Projekte!“ Was verständlich ist, wenn es um Aufträge geht.
PRIX Das Zusammenleben … ist wichtiger als das Bild?
ANDEL In meiner Beschäftigung mit den Projekten passieren normalerweise Jahre, bevor das erste Mal Architekten mit dem Projekt befasst werden, ziemlich spannende Auseinandersetzungen oder sie sollten zumindest passieren, aber passieren zu wenig: Das ist eigentlich die Phase, in denen die Weichen gestellt werden dafür, ob hoch, ob weit, ob überhaupt gebaut wird oder ob frei gehalten wird …
CHORHERR Was uns kaum gelungen ist, was in wenigen Städten gelungen ist: Erdgeschoßzonen zu beleben. Wir müssen überwinden, dass die Träger der Stadtentwicklung Wohnbauträger sind und insbesondere Wohnbauten errichten. Da muss man sich auch gegen Immobilientrends wenden, dass das sowohl ein Wohn- als auch Bürohaus sein kann. Dann ist die große ökologische Frage, wo wir einen Schritt in der Verkehrsorganisation weitergekommen sind … Wie schaut die Straße aus, wie der Freiraum? Wenn man an die Peripherie Wiens geht oder die Peripherie Horns, Saigons oder Londons, da schaut alles sehr ähnlich aus. Also Einkaufszentren, Straßen, Kisten, Verschwendungen, das sind die Erneuerungsgebiete, die sich diese Stadtplanung vornimmt, auch dort Stadtteile und nicht Monostrukturen, und diese durch Teile einer modernen Stadt zu ersetzen.
ELKE MEISSL, DELUGAN MEISSL Es ist alles richtig, was bisher gesagt wurde – meine etwas provokante Frage: Welche konkreten Konzepte verfolgen die aktuell politisch Verantwortlichen, um diesen Strukturen gerecht zu werden? Stadtentwicklung wird meines Erachtens „autistisch“ betrieben – bezogen auf Inhalte, aber auch auf übergeordnete Konzepte – Bauvorhaben werden ausgelobt, ohne großmaßstäbliche Bezugnahme auf umgebende Strukturen, auf Vernetzung und öffentlichen Raum. Es werden additive städtische Strukturen entwickelt. Ich denke, ein grundlegendes Problem dieser Entwicklung sind die rigiden Widmungen, für mich besteht großer Handlungsbedarf innerhalb dieses unflexiblen Systems.
Wie kann man dem begegnen? Wir sind sehr oft mit Widmungen konfrontiert, die nicht mehr zeitgemäß oder ungenügend auf Bedürfnisse und Gegebenheiten reagieren, die, schon bevor Konzepte entwickelt werden, einen dynamischen zukunftsorientierten Prozess einschränken. Hier müssen neue Strategien gefunden werden.
PRIX Das ist die Eigentumsfrage dieser Stadt. Und sind die Grünen in der Lage, die Problematik, die die Sozialdemokraten nicht angreifen wollen, zu thematisieren? Diese Fleckerlteppichwirtschaft kommt von den Eigentumsverhältnissen.
ANDEL In der Seestadt hat man den „Luxus“, eine große zusammenhängende Fläche mit überschaubarer Eigentümerstruktur zu haben, aber was passiert? Dass man sich künstlich kleinteilige Blockteilungen genehmigt, die genau die Probleme schaffen, die man woanders beklagt. Und das ist dort nicht so sehr eine politische Vorgabe gewesen, sondern das Ergebnis eines weit kommunizierten Wettbewerbs mit Fach-Öffentlichkeit – ein „Fach-Ergebnis“ mit Kompromissen da oder dort, aber jedenfalls kein Bild, das diktatorisch von der Politik gekommen wäre.
RICHARD MANAHL, ARTEC Ein Bild ist nicht notwendig, aber eine Vorstellung wäre schön gewesen, wie das gemacht werden kann, ohne in vorgegebene historisierende Figuren zu verfallen …
ANDEL Aber eine Vorstellung, die kommuniziert werden kann und die eine lebendige Auseinandersetzung ermöglicht …
MANAHL … und die auch Richtlinien sozusagen festlegt, mit denen in einem offenen Prozess eine Entwicklung möglich ist …
ANDEL … gegen die man anargumentieren und begründete Gegenpositionen einnehmen kann …