Wettlauf im All

Der Orbit ist wissenschaftliches Hoheitsgebiet ebenso wie
militärisches Testgebiet.
 

Wettlauf im All ©Josef-Wenzel Hnatek

Die Prioritäten in der Raumfahrt sind klar verteilt: Amerika hat (noch) Geld, Russland technisches Know-how, China, Indien und Japan stellen sich als neue Raumfahrtpioniere dem Wettlauf im All. Eine Langzeitmission zum Mars ist in diesem Jahrhundert denkbar.

    IN 92 TAGEN UM DIE WELT
Unweit der kasachischen Kleinstadt Baikonur, rund 200 Kilometer östlich des Aralsees, befindet sich der größte Weltraumbahnhof. Nur zwei Jahre nach seiner Errichtung wurde dort 1957 der erste Satellit ins All geschossen: Sputnik 1. Mit seinen 83,6 Kilogramm war er ein kosmisches Leichtgewicht, aber keineswegs harmlos. Die Leistung des schlichten Erdtrabanten versetzte Amerika einen Schock. Sein Kurzwellensignal konnte allerorts auf der Erde empfangen werden. Sputniks unschuldig anmutendes Piepsen zeigte vor allem, dass die Sowjets nun dazu in der Lage waren, eine Interkontinentalrakete auf die USA abzufeuern. Nach 92 Tagen verglühte die silberne Kugel in der Atmosphäre. Der russische Raketenkonstrukteur Sergei Pawlowitsch Koroljow, im Westen „Mister X“ genannt, war den Amerikanern zuvorgekommen – inkognito, versteht sich. Der Weltraumbahnhof Baikonur ist heute auch für Amerikaner von großer Bedeutung.

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    DER MENSCH IM ALL
Dem Start einer Sojus wohnte der ehemalige ORF-Nachrichtensprecher und Wissenschaftsjournalist Josef-Wenzel Hnatek in Baikonur aus nächster Nähe bei. Drei Mal besuchte er zwischen 1989 und 1998 als Reporter des Austro-MIR-Projekts das kasachische Kosmodrom. Dreißig Jahre nach der Mission von Juri Alexejewitsch Gagarin startete Franz Viehböck, der bis dato einzige Österreicher, zur russischen Raumstation MIR. Hnatek berichtete darüber u. a. in der Buch-Trilogie „Der Mann im All“: „Russen haben viel Herzblut für Weltraumforschung. Amerikaner wechseln bei Pannen einfach die Firma, Russen sind zutiefst erschüttert und suchen den Fehler.“ Gäbe es die entsprechenden Gelder, wären die Russen heute in der Raumfahrttechnik an vorderster Front, davon ist er überzeugt und schildert, wie sie am Anfang Hunde ins All beförderten, um zu beweisen, dass ein lebender Organismus in der Schwerelosigkeit überleben kann. Heute wird die russische Raumfahrt vor allem durch Raketen für den Transport von Satelliten finanziert. Bei Großaufträgen sind heute mehr und mehr Chinesen und Japaner am Zug. China ist dabei, eine eigene Raumstation zu bauen – mit Know-how, das es mit dem russischen aufnehmen kann.

    WERNHER VON BRAUN,
    MASSENMÖRDER UND GETRIEBENER ?
Anfang der 1970er setzte sich der Konstrukteur der ersten Flüssigkeitsrakete V2 als stellvertretender Direktor der NASA für eine bemannte Marsmission ein. Infolge starker Budgetkürzungen wechselte er 1972 enttäuscht zu Fairchild, einem privaten Luft- und Raumfahrtkonzern. Zuvor leitete Wernher von Braun das Marshall Flight Center für die US-Armee im US-Bundesstaat Alabama und arbeitete ab 1950 mit über 100 Entwicklern an der Raketentechnik.
    1944 verheerte die V2 große Teile Londons und forderte zehntausende Todesopfer. Für ihre streng geheime Produktion starben in Zwangsarbeitslagern in Nord- und Mitteldeutschland mehr Menschen als bei ihren Einsätzen. Nach Kriegsende stellte sich Braun den Amerikanern, lief über und warb um einen Arbeitsvertrag, um seine Pläne, den Weltraum zu erforschen, fortsetzen zu können. Die USA wussten um die Tragweite seiner Raketentechnik Bescheid. Braun, streckenweise unterbeschäftigt und in New Mexico mit seinem deutschen Team isoliert, wurde zunächst daran gehindert, die Raketentechnik weiterzuentwickeln. Erst 1950 wurde er mit der Konstruktion der atomaren Mittelstreckenrakete Redstone beauftragt. So begann Braun, im TV gezielt für seine Vision, die Weltraumforschung, zu werben, um die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Mister X alias Sergei Pawlowitsch Koroljow, der russische Raketenkonstrukteur, war mit Sputnik 1 jedoch schneller. Der Kalte Krieg hatte bereits Hochkonjunktur.
    Deckt sich der Spruch „Amerikaner haben für eine Million Dollar den Astronautenstift entwickelt, Russen dafür einen Bleistift verwendet“ mit der Realität? Für die Wiener Weltraumarchitektin Barbara Imhof ist Publicity einer der Gründe, warum Amerikaner nicht improvisieren können: „Russland war lange isoliert, die Forscher und Entwickler haben ihr Wissen zurückhaltend preisgegeben und wenig notiert, damit ihre Arbeit wichtig blieb. Amerikaner hingegen fühlen sich den Steuerzahlern verpflichtet und gestalten ihr Raumfahrtprogramm sehr öffentlich.“

    VERSUCH UND IRRTUM
Die Entwicklung von Sputnik 1 verlief nicht ohne Pannen. Zahlreiche Wissenschaftler landeten während der Stalin’schen Säuberungen im Jahr 1936 im Gulag, so auch der spätere Sputnik-Konstrukteur Koroljow. Nach vierjähriger Internierung wurde er vom NKWD, der sowjetischen Geheimpolizei, in ein Speziallager nahe Moskau gebracht, wo er unter strikter Aufsicht Raketen konstruieren sollte.

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Die drohende Kriegsgefahr in Europa beschleunigte die Entwicklung von Raketentriebwerken für Flugzeuge und Raketengeschoße. Jeder Konstruktionsschritt wurde nun von seinem ehemaligen Konkurrenten Wladimir Nikolajewitsch Tschelomej überwacht. Koroljows Erfolge bestimmten den Grad seiner Freiheit, eine Rückkehr in den Gulag war zu keinem Zeitpunkt auszuschließen und der Druck groß. Mit der Kapitulation Deutschlands begann 1945 die fieberhafte Suche nach den Konstruktionsplänen für die V2-Rakete. Wernher von Braun hatte viele Unterlagen vernichtet, die wichtigsten Dokumente aber bei sich. Doch auch die Sowjets wurden in Nordhausen in einem unterirdischen V2-Werk fündig: Sie fanden über 1000 Zwangsarbeiter, teils lebend, und Einrichtungen für die Raketenproduktion vor. Der Betrieb sah so aus, als hätte die Belegschaft gerade Schichtwechsel gemacht. Auch V2-Raketen fielen den Sowjets in die Hände, sogar Flusskähne wurden dafür durchsucht. Die gefundene „Hardware“ wurde in die Sowjetunion verfrachtet. Deutsche Ingenieure wurden angeworben, gemeinsam mit russischen Konstrukteuren wurde Wernher von Brauns Erbe in Deutschland rekonstruiert. Die V2 wurde nun in Serie produziert. Die Fraternisierung dauerte nur ein Jahr lang, schnell verstärkten sich die Spannungen zwischen West und Ost. So wurde 1946 in Nordhausen ein deutsch-russisches Betriebsfest veranstaltet, mit dem Ziel, die gesamte Belegschaft mit Wodka zu betäuben. Betrunken, wie sie waren, wurden sie mitsamt ihren Familien mit Zügen nach Moskau verfrachtet, um dort im Dienste der Sowjetunion weiterzuarbeiten. Unter Chruschtschow wurde in rund 80 Tagen der Testsatellit Sputnik 1 gebaut und 1957 mit einer von den Russen konstruierten Rakete in die Erdumlaufbahn gebracht.

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    APOLLO
Der russische Kosmonaut Juri Alexejewitsch Gagarin umkreiste mit Wostok 1 am 12. April 1961 in nur 106 Minuten die Erde. Er war für sein ruhiges, besonnenes Gemüt bekannt und schien deshalb für diese Pionierleistung geeignet. Kurz nach seinem Start wollte US-Präsident John F. Kennedy von seinem Beraterstab wissen, ob es eine Chance gebe, die Sowjets mit einem Labor im Weltraum oder einer Landung auf dem Mond zu überflügeln. Das Ziel war rasch definiert: Eine amerikanische Flagge sollte auf den Mond. Das Vorhaben war riskant, noch konnten Teleskope für eine weiche Landung keine zuverlässigen Angaben über die Bodenbeschaffenheit auf dem Mond liefern. Die Mondlandung glückte erst mit der neunten Sonde.
    Mit der Apollo-Trägerrakete gelang den Amerikanern jedoch ein enormer technischer Vorsprung. Schließlich startete 1968 mit Apollo 8 eine bemannte Mission in die Mondumlaufbahn. Erstmals sahen Astronauten die Erde vom Mond aus. Die Spionage-Satelliten der NASA lieferten indes beruhigende Daten: Die Sowjets waren noch mit ihrer unbemannten Umrundung des Erdtrabanten beschäftigt, die Gefahren einer Bruchlandung konnten noch nicht abgeschätzt werden. Der Ehrgeiz der Sowjets erforderte dennoch rasches Handeln. Die Generalprobe erfolgte am 18. Mai 1969 mit Apollo 10. Zwar konnten sich die Astronauten Tom Stafford und Eugene Cernan dem Erdtrabanten nähern, allerdings nur bis auf 14,5 Kilometer. In der Sowjetunion folgte indes auf die Hektik eine Pechsträhne. Die Sowjets wollten den Amerikanern mit einem Roboter zuvorkommen, die Rakete N1 explodierte jedoch kurz nach dem Start. Drei Tage vor dem Start von Apollo 11 sorgte noch eine sowjetische Sonde für Aufregung. War Luna 15 in der Lage, das Apollo-Geschehen zu beobachten oder gar zu stören? Schließlich setzte Neil Arm­strong einen Tag nach Luna 15, am 21. Juli 1969, Fuß auf den Mond und verkündete stolz: „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Sprung für die Menschheit.“

    MARSMISSION
Eine bemannte Marsmission sei noch in diesem Jahrhundert möglich, so Weltraumforscher einhellig. Für Hin- und Rückflug sowie Aufenthalt auf dem Mars wird eine Mindestdauer von eineinhalb Jahren berechnet. Die Isolation in der Schwerelosigkeit, das „Earth out of Sight“-Syndrom, erstmals den Sichtkontakt zur Erde zu verlieren, und eine zeitliche Verzögerung von einigen Minuten in der Funkverbindung sind nur einige Herausforderungen, die nun mit Simulationen erforscht werden. Virtuelle Räume zum Beispiel sollen der reizlosen Umgebung neue Dimensionen geben. Eines ist gewiss: In der Langzeitmission rückt der Mensch in den Mittelpunkt. Weltraumarchitektin Imhof beschäftigt sich mit den Arbeitssituationen im All. Sie kritisiert, dass bei der Internationalen Raumstation ISS der Mensch als Maschine betrachtet wird. Man darf nicht vergessen: Alles wird beobachtet, Astronauten, Kosmonauten und Taikonauten sind Teil eines Experiments. Wenn sie eine Tablette gegen Kopfschmerzen einnehmen, wird das auch sofort dokumentiert. Josef-Wenzel Hnatek weiß um die Bedeutung der Charakterfestigkeit im All: „Die Russen haben immer mit Charakterdoublen gearbeitet. Wenn ein Kosmonaut vor einem Start krank wurde, wurde das gesamte Team ausgetauscht.“
    Der Wettlauf zum Mars kann wohl nur in einer internationalen Kooperation erfolgen. Größte Hürde und Haupthindernis für weiterführende bemannte Flüge wie etwa zum Mars ist die kosmische Strahlung. Noch gibt es keinerlei Schutzeinrichtungen. Umstritten ist auch, ob der Mond als Raumbahnhof künftig strategisch eine wichtige Rolle spielen wird. Das Weltall lässt sich nicht linear erobern. Schon Johannes Kepler schrieb 1610 vorausahnend an Galileo Galilei: „Man schaffe Schiffe und Segel, die sich für die Himmelsluft eignen, dann wird es genug Menschen geben, die vor der öden Weite des Raumes nicht zurückschrecken werden. Wir müssen für die tapferen Luftraum-Reisenden Karten der Himmelskörper anfertigen.“
    Seit 1998 wird die Internationale Raumstation ISS permanent für Forschungszwecke erweitert. Heute kämpft sie mit Trillionen Bruchstücken nicht mehr funktionsfähiger Satelliten und auch anderer Objekte, die in den Orbit gebracht wurden. Unlängst wurde sie aufwendig und mit hohen Kosten gedreht, um weitere Kollisionen zu vermeiden. Die Ausweitung der Kampfzone hat längst begonnen, das Gleichgewicht verlagert sich: Will ein Amerikaner in den Weltraum, muss er künftig bei den Russen mitfliegen – heute sind Shuttles museale Objekte, wie etwa die legendäre „Discovery“ in Washington. Im Mai wurde die erste private unbemannte US-Raumkapsel zur ISS geschickt. Nächstes Jahr startet der britische Milliardär Richard Branson mit Virgin Galactic die ersten privat entwickelten Raketenflugzeuge in den Orbit.

Text: SPUTNIK PRODUKTION –
DORIS LIPPITSCH, UTE MÖRTL,
JOSEF-WENZEL HNATEK