Vom Städtebau bis zur Türklinke

Die Krankheit unserer heutigen Städte und Siedlungen ist das traurige Resultat unseres Versagens, menschliche Grundbedürfnisse über wirtschaftliche und industrielle Forderungen zu stellen.
— Walter Gropius


Innenraum ©Manfred Seidl

Innenräume verraten einiges über die Seele des Bewohners – so nach dem Motto, zeig mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist. Dass Innenarchitektur viel mehr als nur „Einrichten“ ist, zeigen drei sehr unterschiedliche Architekten – mit völlig konträren Ansätzen.

Adolf Loos ist neben den Architekten der Wiener Werkstätte einer von Österreichs berühmtesten Innenarchitekten. Zu Recht, so meinen viele – Architekten und Nichtarchitekten. Seine an ein Schiff erinnernde Architektur verblüfft immer wieder – ein Wochenendaufenthalt im Looshaus am Kreuzberg in Niederösterreich zeigt die Raffinessen seiner Überlegungen. Unaufdringlich, schlicht und höchst unprätentiös – auf kleinstem Platz fand Loos Möglichkeiten für Kästen, Schubladen, Lampen und viele andere kleine Fächer zur Ablage. Er verwehrte sich gegen Ornamente und sonstige Behübschungen von Alltagsgegenständen. Ganz im Gegensatz zur Gruppe der Wiener Werkstätte. Josef Hoffmann, einer der Hauptvertreter der Wiener Werkstätte, übte sich nicht nur als Architekt, sondern auch als leidenschaftlicher Inneneinrichter und Alltagsgegenstände-Designer. Kultstatus erlangte aber auch die Wiener Stadthalle aus den 50er Jahren, inklusive Inneneinrichtung – geplant von Roland Rainer – leider erst nach dessen Tod. Ein schlauer Kunsthändler verkauft heute Stühle nach dem Entwurf von Rainer, neu und nachgebaut.
    Die Liste der bekannten Innenarchitekten bzw. Architekten, die auch Innenplanungen machen, ist schier endlos – wie auch die Praxisbeispiele: Steven Holl zeichnet z.B. für das Loisium Hotel komplett verantwortlich, inklusive Innenarchitektur – bis zu den Lampen, Möbeln, Türschnallen, Armaturen etc. Jean Nouvel entwarf eines der neuesten Hotels in Wien, das Sofitel am Donaukanal – die Exklusivität des Hotels versuchte er bis zur Gestaltung der Zimmer spürbar zu machen.
    Doch was macht den Innenarchitekten aus? Was macht den Reiz aus, sich von Möbeln von der Stange abzuwenden, anonyme Bauträgerarchitektur und Null-acht-fünfzehn-Entwürfe abzulehnen, umzuplanen oder auch gleich die komplette Inneneinrichtung zu planen? Schon Bauhaus-Begründer Walter Gropius stellte fest: „Die Krankheit unserer heutigen Städte und Siedlungen ist das traurige Resultat unseres Versagens, menschliche Grundbedürfnisse über wirtschaftliche und industrielle Forderungen zu stellen.“ Architekten bestätigen: Der Mensch und Nutzer muss im Zentrum jeder Planung stehen. Das geht manchmal verloren: In einem Hotel in Wien trägt das Personal das Bettzeug in die Zimmer, der Reinigungswagen passt nicht durch die Gänge.


Eine Handschrift ist gefragt


Der Bauherr des Uniqa-Gebäudes hatte seine eigene Vorstellung: „Wo Neumann draufsteht, muss auch Neumann drin sein!“ Damit war Architekt Heinz Neumann beim Uniqa-Tower am Wiener Donaukanal auch gleich mit der Innenarchitektur beauftragt. Dabei plante der Architekt nicht nur die Arbeitsräume, sondern auch das gesamte Interieur in Zusammenarbeit mit einem Büromöbelhersteller. Das gesamte 20. Geschoß, in dem sich der Saal für die Sitzungen des Aufsichtsrates und die großen Besprechungen befindet, ist so konstruiert, dass alle Zwischenwände weggeschoben und entfernt werden können. Wie in einer gläsernen Kanzel kann dann von jedem Punkt aus über ganz Wien geblickt werden.
    Neumann zeichnete vom ersten Entwurf über die gesamte Detailplanung bis hin zur Möblierung des Uniqa-Towers verantwortlich. Gar nicht selbstverständlich heutzutage, wo die Büromöbelhersteller doch bereits mit umfassenden Plänen akquirieren. „Manche Bauherren oder Developer engagieren für die Innenraumgestaltung einen eigenen Innenarchitekten oder

Uniqa Tower ©Uniqa

Raumausstatter. Vor allem bei Hotelprojekten ist es heute gang und gäbe, dass das Interieur nicht vom Architekten stammt, sondern von einem Planer gemacht wird, der sich vorrangig auf das Design und die Dekoration von Hotels spezialisiert hat“, erzählt Neumann aus der Praxis.
    Bei privaten Einfamilienhäusern wird der Architekt wiederum häufig auch gleich mit der Innenraumgestaltung beauftragt: „Der Bauherr ,bestellt‘ sozusagen ein Haus und will, dass ich alles mache. Das heißt, nicht nur die Hülle vorgeben, sondern auch die Möbel aussuchen, bis zur Steckdose oder der Sesselleiste, einfach ein Komplettpaket.“
    Bei der Errichtung eines Privathauses tritt man mit den künftigen Nutzern in einen positiven Dialog, in dem selbstverständlich auch gestalterische Aspekte wie die Atmosphäre, die Wand- und Bodenbeläge, die Möbel oder die Beleuchtung beinhaltet sind. „Noch mehr als bei der Planung des Gesamtgebäudes kommt es bei der Gestaltung von Innenräumen darauf an, dass die Chemie zwischen Bauherr und Architekt passt. Ist das nicht der Fall, sollte man den Auftrag nicht annehmen“, so Neumanns Credo.


Stimmige Projekte bevorzugt


Jakob Dunkl, Querkraft Architekten, beschreibt die Aufgabe der Innenarchitektur und Innenraumgestaltung so: „Da arbeitet man in einem völlig anderen Maßstab – vom Städtebau bis zur Türklinke.“ Dunkl will jedoch keine Inneneinrichtung für ein Einfamilienhaus planen: „Es ist sicherlich spannend, ein Projekt sozusagen vom Scheitel bis zur Sohle durchgängig zu planen – doch uns interessiert der größere Kontext.“
    Bei einem ihrer aktuellen Projekte, einem Kindergarten, „durften“ die Architekten die Inneneinrichtung allerdings ausdrücklich nicht planen: „Der Bauträger hatte nicht einmal Verständnis dafür, dass wir bei der Farbe des großen Verdunkelungs- und Raumteilungsvorhangs mitbestimmen wollten.“
    Sehr offen für unkonventionelle Ideen zeigte sich jedoch die Bundesimmobiliengesellschaft bei der Neugestaltung ihrer Büroräume in Wien. „Bei dem Umbau in einem charakterlosen Bestandsgebäude mit langweiligen Zwischendecken und hässlichen Kunststofffenstern haben wir uns folgende Themen gesetzt: Transparenz, Ablenkung und Effizienz. Die Transparenz der kompletten Verglasung wird nur durch die rahmenlosen Türblätter mit Gummidichtungen rhythmisiert. Die Ablenkung von den minderwertigen Fensterelementen und billigen Heizkörpern wird durch ein raumhohes Artwork von Heimo Zobernig geschaffen“, erläutert Dunkl. Die Effizienz des Umbaus ist durch Verzicht auf jegliche unnötige Elemente gegeben. So entfielen beispielsweise die Zwischendecken. Die offenen, verzinkten Kabeltassen, der graue Akustikdeckenputz und die asketischen Leuchten, die Querkraft selbst entworfen haben, geben den Räumen einen starken Charakter.


Vom Besteck bis zum Nachttopf


Doch Innenarchitektur reicht ja noch viel weiter – oft bis zum Design von Alltagsgegenständen. Diesen Anspruch, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, das die Gestaltung des Hauses ebenso beinhaltet wie die Wandoberflächen, die Gläser, das Besteck bis hin zum Design des Nachttopfs, befindet Neumann zumindest für „zur Nachdenklichkeit aufrufend“: „Wenn man sich beispielsweise das Besteck von Josef Frank oder jenes von Josef Hoffmann ansieht, dann mögen diese zwar eine gestalterische Symbiose mit der Architektur eingehen, aber gut essen kann man damit nicht. Vom Architekten gestaltete Weingläser, die im Kontext passend zu einer bestimmten Architektur designt wurden, sind vielleicht nett anzusehen, aber sind sie auch praktisch, lässt sich daraus gut trinken, unterstützen sie die geschmackliche Entfaltung des Weins? Das wage ich zu bezweifeln. Ich sehe darin eine Fehlinterpretation des Gestaltungswillens – wenn man hier nicht sogar viel eher vom Gestaltungswahn sprechen sollte. Die Aufgabe des Architekten ist es, hier eine Auswahl zu treffen, die mit dem von ihm gestalteten Interieur harmoniert.“
    smartvoll, die Architekten Philipp Buxbaum und Christian Kircher, waren mit einem Auftrag konfrontiert, der letztlich daraus resultierte, dass die Dachwohnung zwar schick war, die einfache, anonyme

Innenraum ©smartvoll

Bauträgerarchitektur der neuen Eigentümerin jedoch gar nicht gefiel. Sie wollte eine ganz auf sie zugeschnittene Wohnung und noch dazu mehr Platz. Die Architekten legten daraufhin Wände um, verschoben den Haustechnikschacht, Stauräume wie auch Sanitäranlagen und steckten alle diese „Wohnungsteile“ in einen sogenannten Funktionsblock von knapp sechs Quadratmetern. Mit der olivgrünen Verkleidung und dem integrierten gläsernen Kamin wirkt dieser nun wie ein überdimensionales Designobjekt. Koch- und Wohnbereich wurden miteinander verschränkt, das Sofa schafft einen nahtlosen Übergang zu den reduzierten Formen der Küche – und gewährt den Blick ins Freie. Die Regalflächen und Schubladenwände nehmen die Asymmetrien der Architektur auf und überführen sie in nutzbare Flächen.

Text: GISELA GARY