Nachprüfbar arm, unschätzbar reich: Gold im Az W

Gold im Az W ©div

Goldschätze im Architekturzentrum Wien. Ein Abschied oder Auftakt zur Rebellion? Das arme Az W verfügt über verborgene Verliese und lagert dort unschätzbare Schätze.

Zu dieser Erkenntnis kann man über zwei getrennte Wege durch die langgestreckte kompakte Ausstellung gelangen. Der zeitraubendere, anstrengende Weg führt rechts an dem merkwürdig ordentlich zerflatter­ten, übervoll belegten Gestell vorbei, das mit einzigartigen Schaustück-Überraschungen aufwartet.
    Hindurch wie in einer Klamm, Dämmerlicht wegen der lichtempfindlichen Zeichnungen und Pausen. Ein mächtiges Metallgestell mit Stahldrahtnetzen, echt und neu. Nach der Ausstellung wird es in einem der verborgenen Az W-Depots verwendet.
    Der Weg links führt vorbei an goldig schimmernden Schaufenstern und der mehr oder weniger glatten geschlossenen und beschrifteten Kulissenwand, die einen großen Archivschrank darstellt, aus dem effektvoll Schubladen herausragen. Flott hindurch wie durch eine fröhliche Passage. Nur wenige Kostbarkeiten verlangsamen das rasche Vorankommen an die erwähnte Erkenntnis am Ende der zweiseitigen Archivschau.
 
    JANUSKOPF
    ARCHITEKTUR-AUSSTELLUNG
Die Schau ist als ein Schauspiel aufgefasst. Die auf dem kompakten Möbelstück basierende Ausstellungsgestaltung gleicht einem Bühnenbild. Seine Zweiseitigkeit versinnbildlicht den Januskopf eines Kunstdepots, was eine Architektursammlung aufgrund des gesammelten Materials auch ist: lavieren zwischen peniblem Ordnungszwang und der Unmöglichkeit, den idealen Zustand einer geordneten Wissensakkumulation tatsächlich erreichen zu können.
    Demiurgen, fast architektengleich. Sie, nur sie, kennen sich aus, ihnen ist man ausgeliefert. Meist aber pflegen sie freundlich und hilfsbereit zu sein und zeigen ihre Goldschätze gern. Die Ausstellung ist eine Gernzeigenschau.
    Von den mit güldenen Vorhangstreifen gefüllten Fenstern kommt goldig-weiches Licht, wie ein Abglanz des Goldes im Haupttitel „Das Gold des Az W“, Nebentitel „Die Sammlung“ – wunderbar verspielt zusammengestellt von den Kuratorinnen Sonja Pisarik, Monika Platzer, Katrin Stingl und Ute Wadischatka, gestaltet von den BWM Architekten bzw. beschriftet von Perndl+Co.

    PASSAGENWERK MIT
    POSTKÄSTCHENSCHLITZ
Auf der hellen Seite der Doppelpassage kommt der aufmerksame Flaneur mit zwei Besichtigungsstunden aus. Am Ende findet sich, wie dies Walter Benjamin für eine jede richtige Passage in seinem Passagenwerk festgestellt hat, ein Postkästchen-schlitz, wohin die echten Flaneure ihre letzte Mitteilung über die Welt abzugeben pflegen, bevor sie in ihre verschwinden. Unter dem Schlitz ein Block mit vorgedruckten Schreiben mit der Aufforderungsfrage „Haben Sie etwas für die Sammlung?“ So kommen beträchtliche Mengen an interessanten Archivalien zustande, Spenden an die Ewigkeit, nicht durch Großschenkungen und geschenkte Nachlässe, denen man nicht ins Maul schauen soll, auch nicht durch Ankäufe, die das knappe Budget belasten. Auf der anderen Seite der Doppelpassage kommt man sehr langsam vorwärts, muss sich durch­arbeiten durch übersichtlich unüberblickbare Mengen von Plänen, Zeichnungen, Dokumenten und Modellen, um am Ende zur Erkenntnis zu gelangen: Das arme Az W ist reich, das ist es, was die Akkumulationsschau zeigen will. Nachprüfbar arm, unschätzbar reich.

    UNSCHÄTZBARE SCHÄTZE
Sie, diese Erkenntnis, das heißt, die Einsicht ins und über das Unschätzbare der Az W-Sammlung, besteht in einer kleinen Hinweistafel an der Stirnseite der langen und hohen Archivkulisse. In einer kleinen Aufschrift heißt es lapidar: „Sie sehen in der Ausstellung weniger als 1 Prozent unseres Archivbestandes.“ Die Angabe „1 Prozent“ ist allerdings stark vergrößert gedruckt, damit ja niemand übersieht, wie umfangreich die Az W-Sammlung tatsächlich sein muss, wenn die ungeheure Menge des Ausgestellten nicht einmal ein Hundertstel ausmacht.
    Schwer zu sagen, ob diese knappe Mitteilung an der Wand als eine Hiobsbotschaft oder eine gute Nachricht aufzufassen ist. Möglicherweise treffen beide zu. Wenn die beachtliche Menge an aus­gestellten Objekten nicht einmal 1 Prozent ausmacht, bedeutet es, dass die Depots des Az W überaus geräumig sein müssen, vollgestopft mit dem oft sperrigen und empfindlichen Material der Architekturmodelle.
    Die gute Nachricht ist die präsentierte und hochgerechnete Vorstellung über den beachtenswerten Umfang, die bemerkenswerte Vielfalt und die (nicht nur in Österreich) einzigartige Qualität der Az W-Sammlung. Unschätzbare Schätze.
    Dass all die vielfältigen Übernahmen, Sortierungen, Registrierungen, Lagerungen, Konservierungen, wissenschaftliche Bearbeitungen und Restaurierungen der Ansammlungsstücke erhebliche Kosten verursachen, auch wenn es meist Schenkungen sind, ist das Schlechte an der Nachricht.
    Das Az W sei lange schon finanziell am Limit, heißt es. Man müsse den schönen Gewölbesaal, in dem diese wunderbar verspielte Ausstellung als Beleg für die große kulturelle Bedeutung des Az W als architekturwissenschaftliche Forschungsstätte und kulturpolitische Institution eindrucksvoll zelebriert wird, an fremde Kommerznutzer vermieten – und sei es, wie Dietmar Steiner kürzlich in einer Pressekonferenz zur Az W-Lage meinte, auch an die aus der Rotlichtindustrie.
    „Gold im Az W“, heißt die begleitende Hiobsbotschaft, sei die letzte Ausstellung. Oder, in der milderen Form des Gerüchts, die letzte für lange. Die Goldschau ist wunderschön gemacht, just so, als ginge es um die letzte Aufführung, den Abschied, hoffentlich einen Aufschrei, eine kommende Az W-Rebellion.
    Nach der neomarxistischen Auffassung von Theodor W. Adorno gelte es, in der Kulturarbeit Kulminationen anzustreben und so Spannungen hervorzurufen, die Quantitäten in Qualitäten umzuwandeln vermögen. Diesen Kraftakt der Transformation führt die Ausstellungsgestaltung goldrichtig vor.
    Uns, die Az W-Quartalskeptiker, stellt die wunderbare Schau wieder einmal vor die Frage, ob dieses Architekturzentrum Wien nicht doch das beste aller vorstellbaren Architekturzentren für Wien ist.

Text: JAN TABOR

Gold des Az W. Die Sammlung: www.azw.at. Ausstellung: 21. März 2013 – 22. Juli 2013