Wohnen – vom Grundrecht zum Luxusgut

Die hohe Nachfrage nach Immobilien als sichere Wertanlage und der anhaltende Bevölkerungszuwachs in den EU-Metropolen führen europaweit zu einem deutlichen Anstieg der Miet- und Kaufpreise für Wohnraum. Eine Entwicklung, die auch vor Österreich nicht Halt macht.

Kein Dach über dem Kopf zu haben, ist das extremste Beispiel für Armut und soziale Ausgrenzung. Neben physischen Bedürfnissen, wie der Zugang zu Nahrung und sauberem Trinkwasser, zählt Wohnen zu den wichtigsten menschlichen Grundbedürfnissen. Wohnen ist ein Grundrecht, sagt Artikel 25 der UN-Menschenrechtserklärung. Das Recht auf Wohnraum ist auch in der Grundrechtecharta der Europäischen Union verankert. Dabei ist Wohnen in den letzten Jahren teuer geworden, leistbarer Wohnraum gilt heute in Ballungszentren als Mangelware – ein gesamt­europäisches Phänomen.
    Die Bevölkerung in den Städten wächst, und damit der Wohnungsbedarf. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat das Vertrauen in Aktienmärkte erschüttert, Anleger suchen einen sicheren Hafen und greifen auf Immobilien als sichere Investitions- und Wertanlage zurück. Verschärft wird die Lage durch verknappende Budgets in Kommunen und Gemeinden, die ihre Ausgaben zu Lasten des geförderten, sozialen Wohnbaus drastisch reduzieren. Gleichzeitig schnellen Mieten, Energiekosten und sonstige Wohnnebenkosten in die Höhe.

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    Fazit: Viele Städte können die steigende Nachfrage nach Wohnraum nicht mehr befriedigen, wodurch die Preise weiter steigen. Prominentes europäisches Beispiel für eine sich immer schneller drehende Spirale aus sinkendem Angebot und explosionsartigem Preisanstieg ist London, nach Moskau das zweitteuerste Wohnpflaster Europas, mit umgerechnet knapp 3.000 Euro für ein Dreizimmerappartement in guter Lage. Zu diesem Ergebnis kommt das britische Beratungsunternehmen ECA in seiner aktuellen Erhebung Anfang 2013. Fehlender Wohnraum von 36.000 Neubauwohnungen jährlich treibt die Mietpreise in die Höhe: Damit belegt London den fünften Platz auf der Weltrangliste der teuersten Städte.
    2011 fielen die Preissteigerungen im europäischen Immobiliensektor nahezu doppelt so hoch aus wie die Inflationsrate der EU 27 mit 2,4 Prozent. Die aktuelle Studie „Stabilisierende und destabilisierende Faktoren auf den Wohnungsmärkten der EU-14“ der Technischen Universität Wien (Dr. Robert Wieser, Institut für Raumentwicklung, Infrastruktur und Umweltplanung) dokumentiert in den mittel- und westeuropäischen EU-Mitgliedsstaaten einen stetigen Preisanstieg sowohl im Kauf- als auch im Mietsegment. So haben sich die Preise für Häuser zwischen 1995 und 2010 um rund 70 Prozent erhöht. Im selben Zeitraum sind die Mieten um 30 Prozent gestiegen.


Grundrecht Wohnen in Gefahr

Lange Zeit galt Österreich international als mustergültiges Beispiel für leistbaren Wohnraum, und nach wie vor liegen die Mietpreise im unteren europäischen Mittelfeld. Aber auch hierzulande belasten steigende Mieten die Haushaltsbudgets. Alleine in den vergangenen Jahren verzeichnete die Bundeshauptstadt Preissteigerungen am Quadratmeterpreis bei Eigentumswohnungen im Schnitt um 5 Prozent, im heurigen Jahr sind Erhöhungen von 3–4 Prozent möglich. Im Mietsegment sind Erhöhungen über der Inflationsrate zu erwarten. Das geht aus dem aktuellen Wohnungsmarktbericht für Wien 2013 von EHL und BUWOG hervor.
    Im Strategiepapier „Wohnen 2020“ der Nachhaltigkeitsinitiative Umwelt + Bauen wird der jährliche Neubaubedarf in Österreich auf 48.000 bis 50.000 Wohnungen geschätzt. Die aktuelle Wohnbauleistung von 48.000 fertiggestellten Wohnungen beruht jedoch auf einer Verschiebung vom geförderten hin zum freifinanzierten Neubau: Österreich fehlen pro Jahr ca. 7.000 geförderte Wohnungen.
    Mit aktuell 10,80 Euro pro Quadratmeter nach Medianberechnung ist Wien laut Immobilien.net aber nicht das teuerste Pflaster in Österreich. Mit knapp 11 Euro pro Quadratmeter finden sich Salzburg und Innsbruck auf den Spitzenrängen, am billigsten mietet man derzeit in St. Pölten mit 6,30 Euro pro Quadratmeter.
    Im restlichen Europa ist die Situation wesentlich prekärer. „Insofern sind Maßnahmen der Europä­ischen Kommission mehr als notwendig, denn das Grundrecht auf Wohnen ist europaweit in Gefahr“, zeichnet dessen Präsident, CEO Wienerberger AG und Präsident des Dachverbandes der Europäischen Ziegel- und Dachziegelhersteller (Tiles & Bricks Europe) ein dramatisches Bild des europä­ischen Wohnungsmarktes. Seit nunmehr gut einem Jahr versucht der europäische Dachverband, allen voran dessen Präsident, das Thema Wohnbau auf die Agenda des Europäischen Parlaments zu bringen und das Bewusstsein für die Bedeutung von Wohnungsneubau und Sanierung zu schärfen. „Es ist erstaunlich, wie wenig dieses Thema auf europäischer Ebene wahrgenommen wird. Wohnungsneubau und Sanierung leisten einen wesentlichen Beitrag, um die soziale Stabilität der Gesellschaft zu sichern, Klimaschutzziele zu erreichen und die Konjunktur anzukurbeln“, so Scheuch.


Forderung nach Förderung

In seinem aktuellen Positionspapier Residential construction works – a win-win situation – hat der Dachverband der Europäischen Ziegel- und Dachziegelhersteller die wesentlichen Faktoren der Wohnpreissteigerungen zusammengefasst und die Bedeutung des sozialen Wohnbaus für Umwelt, Sozialpolitik und Arbeitsmarkt in Europa formuliert. Verschärft wird die Situation dadurch, dass sich das Wohnverhalten der Europäer in den vergangenen Jahren stark verändert hat. Die Zahl an Singles und Alleinerziehern steigt, vor allem in den Ballungszentren. Während in den Haushalten immer weniger Menschen leben, nimmt die Wohnfläche zu. Der Anteil der Ein- und Zweipersonenhaushalte ist in der EU überproportional hoch.
    Andererseits leben rund 17 Prozent der Europäer bereits jetzt in überbelegten Wohnungen, in armutsgefährdeten Teilen der Bevölkerung sind es 30 Prozent. Spekulativer Leerstand trägt darüber hinaus zur Wohnungsnot bei. In Summe führen diese Faktoren zu einem deutlichen Anstieg der Mieten und Kaufpreise. 2009 haben über 12 Prozent der Bevölkerung der EU-27 rund 40 Prozent und mehr ihres Haushaltseinkommens fürs Wohnen ausgegeben, davon rund ein Viertel der Bevölkerung in Dänemark und Griechenland. In Großbritannien wenden 15 Prozent die Hälfte des Einkommens dafür auf. Laut Strategiepapier „Wohnen 2020“ wiesen 2012 österreichische Mieterhaushalte des untersten Einkommensquintils eine Wohnkosten­belastung von rund 53 Prozent auf.
    „Deshalb muss geförderter Wohnbau rasch forciert werden, nur so kann der Druck aus dem Mietmarkt genommen werden“, so der Experte. Die Sparstiftpolitik, die den europäischen Wohnbau trifft, trägt dazu bei, dass Wohnraum knapper und damit teurer wird. „In ganz Europa ist die öffentliche Hand zum Sparen aufgerufen. Auch in Gesamtösterreich sind die Förderzusagen in den letzten Jahren bei Wohnungsneubauten gesunken, zwischen 2009 und 2011 sogar um 25 Prozent. In Wien haben die Wohnungsneubauten inzwischen wieder angezogen. Der geförderte Wohnbau muss wieder angekurbelt und die Zweckbindung der Wohnbauförderung wieder rasch eingeführt werden“, rechnet Scheuch weiter vor. „Leistbares Wohnen kann aber auch durch eine weitere Vereinfachung und Harmonisierung der Bauordnung erfolgen, überzogene Anforderungen an Gebäudestandards sind zu überdenken. Darüber hinaus wären auch steuerliche Anreize für Investitionen von Bevölkerungsschichten, die nicht von der Wohnbauförderung erfasst sind, sinnvoll. Beispiele wären reduzierte Umsatzsteuersätze.“

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Wohnbau wirkt

Die Wohnbau- und Sanierungsleistung ist ein wesentlicher Beitrag für wirtschaftliche Stabilität, Wachstum, Beschäftigung und ein wichtiger Steuerungsmechanismus, um die Klima- und Umweltschutzziele der EU zu erreichen. Alleine die Sanierungsrate bei Eigenheimen, Eigentumswohnungen und privaten Mietwohnungen auf drei Prozent anzuheben, würde Investitionen von jährlich rund 1,7 Milliarden Euro auslösen. Das bedeutet jährlich rund 30.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Zu diesem Ergebnis kommt das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO).
    Mit rund 20 Millionen Beschäftigten in drei Millionen Unternehmen ist die Bauwirtschaft einer der wichtigsten Arbeitgeber in Europa. Rund vier Millionen Menschen sind im Wohnbau beschäftigt. „Eine Aufstockung der Wohnbaumittel lohnt sich in mehrfacher Hinsicht: Einerseits können über den Wohnbau Arbeitsplätze geschaffen und gesichert, andererseits kann nur so das Grundrecht auf ein gesundes und wirtschaftlich leistbares Wohnen langfristig sichergestellt werden“, so der Präsident weiter. Wird Wohnbauleistung angekurbelt, beleben konjunkturelle Effekte die Wirtschaft. Das macht sich im geförderten Wohnbau bezahlt: Rund 150.000 Euro werden nach Berechnungen des Europäischen Dachverbandes der Ziegel- und Dachziegelhersteller pro Jahr und Mitarbeiter in der europäischen Bauwirtschaft umgesetzt. Der Rücklauf an Steuern in die Sozialsysteme übertrifft die Aufwendungen der öffentlichen Hand – eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.
    Die Wohnkostenexplosion und der Rückgang des geförderten Wohnbaus stellen ein europaweites Problem dar, das Maßnahmen der Europäischen Kommission erfordert. „Nationale Anstrengungen könnten sinnvoll unterstützt werden, wenn Strukturfonds für den gesamten Wohnbau geöffnet werden“, empfiehlt Scheuch. Geförderten und sozialen Wohnbau als Daseinsvorsorge anzuerkennen, nationale Wohnbaupolitik zu beraten und zu unterstützen, mit EU-Programmen zu stimulieren, die Forschungsförderung im Wohnbaubereich zu erhöhen, sind weitere, dringend notwendige Lösungsansätze, die zu einer Entspannung des Wohnungsmarktes beitragen können.


Baulandreserven aktivieren

Vom Bevölkerungszuwachs in Österreich ist in erster Linie Wien betroffen. Laut Hochrechnung der Statistik Austria von Oktober 2012 wird für Wien ein jährliches Wachstum von 18.000 Bewohnern erwartet, dies entspricht einem Wachstum von derzeit 1,72 auf 1,96 Millionen im Jahr 2030. Das stellt Stadtplanung und Wohnbau vor große Herausforderungen. Smart-Wohnungen in den Stadterweiterungsgebieten werden die steigende Nachfrage nicht bewältigen können.
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    Vergleicht man die Einwohnerdichte europäischer Großstädte, wie beispielsweise Paris mit einer Dichte von 20.000 Einwohnern mit der von 4.500 Einwohnern pro Quadratkilometer in Wien, gibt es im innerstädtischen Bereich noch einige Baulandreserven. Eine nicht zu vernachlässigende Wohnraumreserve bilden Dachzonen im innerstädtischen Bereich. „Rund 80 Prozent der Wiener Wohnbauten haben in den Kernzonen ein Steildach. Viele davon werden nicht genutzt, mit einem gut kalkulier- und überschaubaren Aufwand könnte man sie in hochwertigen Wohnraum umfunktionieren“, weiß Franz Kolnerberger, Internationaler Leiter für Dachlösungen der Wienerberger AG, und präzisiert: „Die damit einhergehende thermische Sanierung führt zu einer nachhaltigen Einsparung beim Energieverbrauch.“ Der Gründerzeitbestand bietet enormes Flächenpotenzial, rund 35.000 Wohnbauten gibt es aus dieser Zeit in Wien. „Nur acht bis zehn Prozent sind ausgebaut, von den restlichen 90 Prozent eigenen sich rund zwei Drittel für den Ausbau“, berichtet Conrad Bauer, Wiener Architekt und Sprecher des Österreichischen Institutes der Sachverständigen für Bautechnische Immobilienbewertung (ÖIBI), anlässlich einer Round-Table-Diskussion zum Thema urbane Nachverdichtung. Das entspricht rund 80.000 Wohneinheiten nur im Dachbereich.
    Wolfgang Förster, MA 50-Wohnbau und Internationale Beziehungen der Stadt Wien, schätzt die gesamte Baulandreserve auf rund 90.000 Wohnungen. Demnach steckt in den Dächern genauso viel Potenzial wie in den Erweiterungsgebieten. „Rechnet man die hohen Entstehungskosten für Infrastruktur und Erschließung der Stadtrandlagen mit ein, ist der Dachgeschoßausbau plötzlich gar nicht mehr so teuer“, resümiert Kolnerberger. Hinzu kommt die Substanzverbesserung des gesamten Gebäudes. Die komplette Dachfläche ist ein potentieller Energielieferant – in Form von Solarthermie oder Photovoltaik. Werden innerstädtische Steildächer bei aktueller Bevölkerungsprognose nicht genutzt, ist das Bauland, das noch zur Verfügung steht, in spätestens zehn Jahren aufgebraucht. Wird die Neubauleistung weiter zurückgefahren, riskiert man eine sich zuspitzende Wohnraumverknappung sowie einen weiteren, rasanten Anstieg der Mietpreise.

Text: TOM CERVINKA

QUER in Zusammenarbeit
mit Wienerberger