Riesenspeicher europäischer Geschichte

Nur rund 10 Prozent des riesigen Objektbestands sind in den Museumshallen ausgestellt. An die 160.000 Objekte werden für Sonderausstellungen in Depots archiviert und gelagert. Mit den bestehenden Depots in der ehemaligen Industrieanlage von Carl Zeiss in Wien Breitensee und Marchegg (NÖ) verfügt das Technische Museum Wien über die größte Sammlung historischer technischer Objekte, die seit über 100 Jahren österreichische und europäische Geschichte schreiben. Im Sommer wurde ein neues Depot in Haringsee (NÖ) für Automobile, Kleinflugzeuge, Lokomotiven, Eisenbahnwaggons, aber auch Rotationsdruckmaschinen eröffnet. Partner des neuen Depots ist ART for ART Theaterservice mit einem riesigen Depot für die Kulissen der Opern- und Theaterhäuser Wiens.

Von Doris Lippitsch

Vom k.u.k. Kutschenlieferanten Jakob Lohner zum ersten Hybridelektrofahrzeug von Ferdinand Porsche – Die neue Depothalle des Technischen Museums Wien in Haringsee beherbergt historische Schätze. Dort werden nun rare Oldtimer, Fuhrwerke, Lokomotiven, Eisenbahnwaggons, Kleinflugzeuge, teils noch aus Papierflügeln, aber auch Rotationsdruckmaschinen aus den Zwischenkriegsjahren und vieles mehr für Sonderausstellungen gelagert.

Technische Museum Wien - Lagerhalle Ansicht 2 ©TMWTechnische Museum Wien - Lagerhalle Ansicht 4 ©TMW

Nach der Einreichung und Baubewilligung erfolgte der Spatenstich im April 2016. Das Depot in Haringsee besteht aus einer isolierten Wand- und Dachkonstruktion. Die Lagerhallen sind ebenerdig ausgeführt und mit einer Nutzfläche von rund 8.500 qm in drei Hallen unterteilt. Eine Halle wurde für Eisenbahnen und besonders schwere Objekte wie Lokomotiven, eine Zahnradbahn (vom Wolfgangsee) mit einer Bodenlagerung bis zu 10 Tonnen pro Quadratmeter ausgeführt, während eine andere Halle für sämtliche Automobile, Fuhrwerke, Sonderfahrzeuge und Kleinfahrräder vorgesehen ist. Für die Lagerung historischer (Klein)Objekte wurden bestehende Palettenregale aus Floridsdorf in der Mittelhalle samt Transportschleuse und Hebebühne installiert. Der Bau der Halle wurde Ende 2016 fertig gestellt und dem Technischen Museum Wien im Frühjahr 2017 übergeben.
 

Austro Daimler mit Radnabenantrieb von Lohner-Porsche

Gesammelt wurde seit der Eröffnung des Technischen Museums Wien im Jahre 1908. Beim Presserundgang präsentieren Depotleiter Herbert Lackner, Museumssprecherin Barbara Hafok und Historikerin Anne Ebert historische Automobile, Formel 1-Wägen und Kleinflugzeuge in der neuen Haupthalle. Der Mercedes Electrique aus dem Gründungsjahr des Museums sticht dabei sofort ins Auge. Das elegante Automobil von Austro Daimler ist mit seiner Wechselkarosserie für Sommer und Winter und einem Elektroantrieb (Radnabenantrieb) von Lohner-Porsche eine absolute Rarität. Das Lenkrad wurde von seinem Chauffeur noch von einem Kutschbock aus bedient. Das Stadtfahrzeug wurde mit 35 km/h für schicke Stadtfahrten, zum Beispiel auf der Wiener Ringstraße, zwischen 1906 und 1914 produziert.

Die Marke Mercedes Electrique wurde vom österreichischen Geschäftsmann Emil Jellinek mit besten Kontakten zur europäischen Finanzwelt in Paris registriert und von Austro Daimler bei Wien produziert. Die Namensgebung Mercedes geht auf seine damals vierjährige Tochter Mercedes zurück, die gerade ihre Mutter verloren hatte. Zeitgleich arbeitete Ferdinand Porsche bei dem k.u.k.-Kutschenlieferanten Jakob Lohner, wo Porsche das erste elektrisch betriebene Fahrzeug mit Allradantrieb sowie das erste Hybridelektrokraftfahrzeug der Welt entwickelte, das der Öffentlichkeit erstmals bei der Pariser Weltausstellung 1900 vorgestellt worden war. Nicht weit vom Mercedes Electrique entfernt, reiht sich ein weiterer Austro Daimler mit originärem Winker aus dem Jahre 1930 ein. Er wurde aus zwei Fahrzeugen hergestellt und ein Motor im Dorotheum versteigert. Das war keine Seltenheit.

Steyr Baby ©TMW

Das legendäre Steyr Baby

Nicht weit davon entfernt das Steyr Baby, der Steyr 50 und 55 von Steyr-Daimler-Puch mit seiner stromlinienförmigen Karosserie und den abgesetzten Kotflügeln von Karl Jenschke, das erstmals – und noch lange vor dem VW-Käfer – bei einem Kaufpreis von 2.865 Reichsmark für eine breite Bevölkerung erschwinglich war und nur kurz, zwischen 1936–1940 produziert worden war. Wer erinnert sich nicht an die Werbung aus dem Jahre 1936, in der sich eine junge Frau „Ein Steyr Baby!“ von ihrem Mann wünscht? Ein Affront für die katholische Kirche, die prompt reagierte und scharf gegen diesen Werbeslogan vorging.

Steyr Baby Detailansicht ©TMW

Noch 1936 wurde das Automobil von Ernst Rausch in Nacht- und Tagesexpeditionen über 6.000 Kilometer von Algier über den Atlas bis zur Sahara mit hohen Temperaturschwankungen getestet, um das Verhalten des Motors für Passstraßen ohne Kühlpausen in der österreichischen Landschaft zu testen. Der österreichische Volkswagen wurde in seiner Sonderausführung Variante Spezial (Typ 55) mit einer Zweifarblackierung (schwarz-rot, schwarz-grau), Zierleisten, Stoßstangen, Sitzlehnengestelle sowie einem Instrument mit Thermometer und Benzinanzeige am Armaturenbrett hergestellt. Insgesamt wurden 13.000 Steyr-Babys produziert, die Produktion wurde schließlich kriegsbedingt eingestellt. Das Steyr Baby war im NS-Regime auch bei KZ-Aufsehern sehr beliebt, so Historikerin Ebert. 

Technische Museum Wien - Lagerhalle Ansicht 3 ©TMW

Alle Objekte waren schon im Depot in Wien Floridsdorf vollständig in einer Datenbank erfasst und konnten so in dennoch nicht minder aufwändiger Arbeit für den Transport nach Haringsee vorbereitet werden. Jede Transporteinheit (Kolli) wurde vorab mit einem Barcode versehen um die Logistik für 10.000 Objekte am neuen Standort so exakt wie möglich und ohne große Zeitverluste handhaben zu können. Dort angekommen, wurde jeder Kolli-Barcode mit dem vorab vergebenen Standort-Barcode durch Scannen verknüpft. Das hat sich als eine sehr effiziente Methode erwiesen, betont Projektleiter Lackner. Nach dem Transport waren somit alle neuen Standorte des neuen Lagers in Haringsee in der Datenbank erfasst.
 

Sein Nachfolger war der Steyr Puch, besser als Puch 500 bekannt. Heute erzielen beide Automobile hohe Liebhaberpreise. Frauen waren in Österreich übrigens ab 1926 befugt, gewerblich ein Auto lenken bzw. als Taxilenkerin zu arbeiten, ab 1932 wurden sie auch offiziell in den Österreichischen Automobilclub (heute ÖAMTC) aufgenommen.

Bert Brecht war der bekannteste Werbetexter für die Steyr-Daimler-Puch AG, das Gedicht wurde vom Autohersteller Steyr-Daimler-Puch allerdings nie verwendet:

Wir stammen aus einer Waffenfabrik
Unser kleiner Bruder ist der Manlicher Stutzen
Unsere Mutter eine Steyrische Erzgrube
Wir liegen in der Kurve wie Klebestreifen
Unser Motor ist ein denkendes Erz. Mensch, fahre uns!

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