Die Eingeweihten

Paris, Les Initiés – Die Eingeweihten, so lautete der Titel der Sommer-Schau über moderne afrikanische Kunst aus der privaten Sammlung von Jean Pigozzi in der Stiftung Louis Vuitton in Paris. Eine herausragende Ausstellung, und das in vielerlei Hinsicht: Das Flanieren durch die Sammlung fühlte sich so an, als betrete man eine Kathedrale für eine noch nicht erdachte Religion, einen Ort spiritueller Entdeckung mit Malereien, Fotografien und Skulpturen, die direkt mit dem Herz kommunizieren, was heute eher selten in Kunstgalerien und Museen anzutreffen ist.

Von Mark Kidel

Afrika wird meist als ein Ort abgetan, der noch so manches im Vergleich zu den Vorteilen in der westlichen Welt aufzuholen hat, und als ein Kontinent dargestellt, der intellektuell, politisch und wirtschaftlich noch zu entwickeln ist. Dennoch, die Kunstwerke der Sammlung Jean Pigozzi zeugen von großer Kultiviertheit, Originalität und zugleich Freude. Sie berufen sich auf komplexe Traditionen, in denen Philosophie und „die Art und Weise, in der Welt zu sein“ einen Reichtum besitzen und über ein moralisches Gewicht verfügen, die aus unserer überzivilisierten Welt de facto verschwunden sind.

Abu Bakarr Mansaray. Allien Resurrection. 150 × 205 cm. 2004. ©Werk: © Abu Bakarr Mansaray © Courtesy CAAC –The Pigozzi Collection

Abu Bakarr Mansaray. Allien Resurrection. 150 × 205 cm. 2004 /
Werk: © Abu Bakarr Mansaray © Courtesy CAAC –The Pigozzi Collection
 

Die meisten in der Stiftung Louis Vuitton gezeigten Werke stammen von autodidaktischen Künstlern, die einengende Horizonte und allgemeine Vorstellungen herkömmlicher Kunsterziehung ignorieren. Die vertretenen Künstler, insgesamt 15 aus acht Ländern, sagen, von unsichtbaren Meistern geleitet zu werden, und nicht von Kunstprofessoren oder vom Kunstmarkt. Was sie inspiriert und nährt, sind Träume, Rituale und Bräuche. Das ist für Menschen mit kartesianischer Weltanschauung oft wunderlich, naiv und nicht immer einfach zu verstehen.

Bodys Isek Kingelez. Papillon de mer, 1990. Cardboard, wood, plastic, yarn and pins. 69 × 113 × 113 cm. ©Werk: © Bodys Isek Kingelez, Photo Maurice Aeschimann/ Courtesy CAAC - The Pigozzi Collection

Bodys Isek Kingelez. Papillon de mer, 1990. Cardboard, wood, plastic, yarn and pins. 69 × 113 × 113 cm.
Werk: © Bodys Isek Kingelez, Photo Maurice Aeschimann/ Courtesy CAAC - The Pigozzi Collection
 

Jean Pigozzi, Erbe des riesigen Simca Automanufaktur-Vermögens, ist kein gewöhnlicher Kunstsammler. Begonnen hatte alles 1989, als er von der bis heute viel zitierten Pariser Expo Les magiciens de la terre (dtsch: Die Zauberer der Erde) im Centre Pompidou schlicht hingerissen war. Die breitgefächerte und zugleich bahnbrechende Schau versammelte Künstler aus allen Kontinenten. Pigozzi erzählt, dass diese Ausstellung sein Leben radikal verändert hat. Er kontaktierte den Co-Kurator der Ausstellung, André Magnin. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Pigozzi und Magnin sollte folgen, während der Magnin auf der Suche nach eigenständigen Talenten nach Afrika entsendet wurde. Schnell entschieden sie in der Folge, sich ausschließlich auf Künstler, die in Afrika arbeiten und leben, zu konzentrieren. Zu diesem Zeitpunkt wurden die meisten dieser Künstler in ihren Herkunftsländern so gut wie nicht ausgestellt, und waren meist auch den lokalen oder neuen Kunsteinrichtungen gänzlich unbekannt. Die meisten arbeiteten unter äußerst schwierigen Bedingungen. Magnin folgte also seiner Spürnase und ging dabei durchaus gerne auch Risiko ein. Zurück in Europa, wurden die ausgewählten Arbeiten angekauft und über die Jahre gesammelt. Damit Geld zu verdienen, war zu keinem Zeitpunkt Pigozzis Ziel: „Hätte ich mit dieser Sammlung mein Vermögen vergrößern wollen, wäre das mit trendiger, zeitgenössischer Kunst bestimmt um einiges einfacher gewesen.“ Für ihn war die Sammlung einer modernen, afrikanischen Kunst ein Vergnügen, das von Intuition und vom Abenteuer ins Unbekannte gestützt war. Bald schon waren beide von der Idee begeistert, etwas von dem Reichtum des schwarzen Kontinents mit der großen, weiten Welt teilen zu können.


„Hätte ich mit dieser Sammlung mein Vermögen vergrößern wollen, wäre das mit trendiger, zeitgenössischer Kunst bestimmt um einiges einfacher gewesen.“
Jean Pigozzi


Die Ausstellung in der Stiftung Louis Vuitton wurde aus Werken zusammengestellt, die zwischen 1989–2009 gesammelt worden sind. Was alle Künstler gemeinsam haben, ist, dass alle stark in der eigenen Kultur verwurzelt sind, selbst wenn die Arbeit aktuelle soziale und/oder politische Themen aufnimmt und folglich zugleich in die Zukunft wie in die Vergangenheit Afrikas schaut. Ein großer Teil der Lebendigkeit und des Reizes der Sammlung rührt vom großen Einfallsreichtum afrikanischer Traditionen, die stark von religiösem Glauben geprägt ist, und sich im Kontakt mit der modernen, weit materialistischeren Welt verändern.

Romuald Hazoumè. Ear Splitting. 42 × 22 × 16 cm. 1999 ©Werk: © ADAGP, Paris 2017 © Courtesy CAAC – The Pigozzi Collection

Romuald Hazoumè. Ear Splitting. 42 × 22 × 16 cm. 1999.
Werk: © ADAGP, Paris 2017 © Courtesy CAAC – The Pigozzi Collection
 

Von Vodun-Riten über Masken zu Fruchtbarkeitssymbolen

Romuald Hazoumé (aus dem Benin mit seiner reichen Tradition kostümierter Vodun-Riten) fertigt Masken aus recycelten Materialien, insbesondere Ölkanistern, an. Diese Objekte aus bescheidenen Materialien haben einen starken politischen Bezug; sie beziehen sich auf die Ausbeutung afrikanischer Ressourcen durch multinationale Konzerne, wenngleich diese und andere Objekte, wie massive Ölfässer, über den schöpferischen Akt wieder verzaubert und neu gedeutet werden. Hazoumés Masken sind Objekte von unbestreitbarer Strahlkraft: erfindungsreich, humorvoll, aber vor allem erzählen sie von den verborgenen Kräften, die schon immer über afrikanische Masken aufgezeigt worden sind...

Lesen Sie mehr in der Printausgabe!

Titelbild: Seydou Keïtas Fotogra en haben einen besonderen Sinn für eine gewisse Vornehmheit und sprechen mit Stolz von einer Tradition, die weit mehr als einen simplen Kult physischer Schönheit vor Augen hat. / © Seydou Keïta / SKPEAC © Courtesy CAAC – The Pigozzi Collection