Menschen in Betrieb

Von süßen kleinen Katzen als Agenten künstlicher Intelligenz über 3D-gedruckte Dildos – die Ausstellung Alien Matter im Haus der Kulturen der Welt in Berlin zeigt uns die mediale Welt von morgen, die längst schon begonnen hat. Sie ist smart, mobil, allgegenwärtig, aber schwer begreiflich. Ein Rundgang durch die Transmediale – keine dystopische Ausstellung. Eine Frage der Perspektive.

Von Luise Wolf

Transmediale, Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Am Eingang zu Alien Matter schauen wir in einen Raum aus Glas und Beton. Dabei werden wir direkt von einem riesigen, schwarzen, monolithischen Block – einem Raum im Raum – aus zigtausend ausgedienten VHS-Kassetten übermannt. Zu seiner Rechten wuchert eine ebenso überdimensionale wurmartige Skulptur aus kilometerlangem Glasfaserkabel, die in Form einer Acht, vielmehr des Unendlichkeitszeichens, gelegt und geschichtet ist. In einer spärlich beleuchteten Ecke neben dem Eingang sindmetallische, blinkende Kästen und wild verkabelte Leiterplatten angebracht. Jedes Leuchten weist auf eine Wifi-Aktivität in den verkabelten Räumen hin. Man steht hier wie in einem Serverraum.

Installationsansicht "Alien Matter", Haus der Kulturen der Welt, Berlin ©Luca Girardini

Protekto.x.x. 5.5.5.1.pcp‘ by Johannes Paul Raether / Foto: © Luca Girardini

 

Keine dystopische Schau

„Dies ist keine dystopische Ausstellung!“ Mit diesen Worten beginnt  Kuratorin Inke Arns ihren Rundgang. Ist das tatsächlich so? Und weshalb musste das gesagt werden? Die Transmediale, früher ein Nischenfestival für Medienexperten und -nerds, kann uns vor Augen führen, wie weit wir bereits in einer medialen Welt leben, die wir in der Zukunft wähnten. Wenn man so will, könnte man sie als Frühwarnsystem medialer und technologischer Phänomene verstehen.

Doch auch die Perspektive vieler junger Künstler hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt – vom distanzierten Beobachter zum Mitspieler und Medienagenten. Alien Matter eröffnet uns die verfrühte Gegenwart nun in Hinblick auf die materielle Seite der Technik, die Hardware, die mehr und mehr im Unsichtbaren oder in blendend-elegantem Design oder hinter der Wall, der Mauer, verschwindet.

Das monolithische Monument von Joep van Liefland wirkt – hat man es einmal umrundet – bald schon harmlos und beinahe sentimental. Die Video-Kassetten erinnern an glückliche, rührselige Familienmomente vor dem Fernseher. Heute türmen sich die überflüssig gewordenen Datenträger zu Müllhalden; hier schichten sie sich zu einem dysfunktionalen Archiv – unbeschriftet, vergessen, veraltet. Die Haptik der Hardware hat sich rasch verändert und scheint heute rundum ästhetisch. Sie verbirgt widerständige Materialität. Deshalb spricht der Künstler Johannes Paul Raether auch davon, die mediale Welt zu „entsperren“, wenn er Metalle wie Gallium oder Lanthan, die in Smartphones und anderen Hightech-Geräten verbaut sind, schmilzt. Er lässt sie wie Lava über die glänzenden Apple-Geräte fluten und verhärten.


Die ebenfalls silber-glänzenden Oberflächen der Materialien sehen genauso schön und elegant aus wie die Macs und iPads selbst, eben nur organischer. Digitale Geräte und Mediennutzung haben unsere Wahrnehmung vom Schönen und Natürlichen längst geformt. Wir nehmen sie nicht mehr als gemacht wahr, sondern zunehmend als gegeben.


Installationsansicht "Alien Matter", Haus der Kulturen der Welt, Berlin ©Luca Girardini

‚HFT The Gardener I‘ by Suzanne Treister
Foto: © transmediale // design akademie berlin, SRH Hochschule für Kommunikation und Design

 

Internet der Dinge, spielerisch und affirmativ

Lassen wir uns durch die Ausstellung treiben – unvoreingenommen, offen und medienaffin – zeigt sie sich uns spielerisch und affirmativ. Allerlei bewegliche, witzige, luftige Dinge und Prozesse sind hier im Gange. Wir swipen durch ein „Kochbuch“ für 3D-gedruckte Objekte, versenken den Blick in ihre feinziselierten Strukturen – vom menschlichen Schädel bis zum Dildo. Auf dem Boden wuseln Service-Roboter, Staubsauger, die hier auch als mobile Wifi-Störsender und als Tor-Router ins Darknet fungieren. Auf ihrem Rücken umkreisen sie herkömmliche Haushaltsgegenstände, etwa Topfpflanzen, und stellen so das Internet der Dinge humoristisch aus. Auf Bildschirmen sprechen künstliche Intelligenzen, und Menschen rezitieren Texte, die von Menschen geschrieben wurden. Alles so schön bunt, schwer fasslich, doch allgegenwärtig.


Medien, vormals Gebrauchsgegenstände, haben sichzu autonomen Agenten unserer Lebensorganisation entwickelt – zu smarten Geräten, die uns informieren und navigieren, die sich automatisch miteinander vernetzen und lernen. Unsere persönlichen Gefühle, Gedanken und Handlungen haben sie genauso durchdrungen wie politische Entscheidungsprozesse oder die kommunale Infrastruktur.


Kunstwerke, die uns Digital Natives unmittelbar und affektiv in den Bann ziehen, sind eher immersive Arbeiten, solche, die uns innerhalb des Netzwerks verorten, die uns nicht in Distanz zum Medium setzen – eine Distanz, die es vielleicht schon gar nicht mehr gibt. Weshalb nicht die Welt aus der Perspektive eines smarten Kühlschranks erfahren? Samsung bewirbt solch ein Gerät als ein „ganzes Kommunikationszentrum“, das Lebensmittel „organisiert“ und wo „Voice Messages mit der Familie ausgetauscht“ werden.

Sehr eigen ist beispielsweise die Arbeit des Künstlers Mark Leckey: In einem Video sehen und hören wir ihm zu, wie er über seine Betriebsabläufe sinniert, via Kamera einen Blick in die Küche wirft, in der er steht, und wie er das Netz auf der Suche nach „Freunden“ durchforstet, die ihm ähnlich zu sein scheinen. Er findet: ebenfalls schwarze, monolithische Kästen wie Limousinen, Smartphones, Computergehäuse, aber auch die Kaaba in Mekka. Man findet den Samsung bald schon irgendwie reizend.

Installationsansicht "Alien Matter", Haus der Kulturen der Welt, Berlin ©Luca Girardini

Artifcial Intelligence for Governance, ‚The Kitty AI‘ by Pinar Yoldas / Foto: © Luca Girardini

 

2039, eine digital gesteuerte Welt

Ähnlich reizend ist auch The Kitty AI, die künstliche Intelligenz im Video der türkischen Künstlerin Pinar Yoldas. Sie präsentiert uns die Welt 2039 nach einer verheerenden Katastrophe, in der nun alles reibungslos, alles digital funktioniert und gesteuert wird, von digitalen Agenten wie Kitty: Politik, Logistik, Transport, Bauen, Beziehungen … Und obwohl Kittys grelle Audio-Vocoder-Stimme leicht nervt, wirken ihr süßer Dreiecks-Mund, der sich öffnet und schließt, und das algorithmische Wippen ihres Katzenkopfes bald meditativ.


Die Kulturgeschichte, die sie uns mit ihrer egalitär-digitalen Selbstverständlichkeit auftischt, lässt allerdings schlucken – sie erzählt von der Ungeeignetheit der Menschen für Politik und komplexe Infrastrukturen und ihrer eigenen Überlegenheit, ihrer Fehlerlosigkeit.


Installationsansicht "Alien Matter", Haus der Kulturen der Welt, Berlin ©Luca Girardini

‚An Internet‘ by Jeroen van Loon / Foto: © Luca Girardini
 

Erst aus der Mitte dieser technologisierten Umwelt, unmittelbar „in und im Betrieb“, können wir die Situation erfassen – und Angst bekommen; vor der digitalen Steuerung kultureller Prozesse, dem kommerziellen Wirken der sozialen Plattformen und Suchmaschinen, die wir ständig benutzen, dem unhinterfragten Annehmen digitaler Architekturen aus reiner Bequemlichkeit. Wir geben die Illusion auf, aus einer herausgehobenen, distanzierten Position über Medien sprechen zu können. Dies ist der Ausgangspunkt. Wir müssen lernen, Maschinen sozialen und politischen Werten zu unterstellen. Definiert man Dystopie als eine nicht-funktionierende, anti-utopische Zukunft, muss man auch sagen: Die Zukunft ist nicht dystopisch, sie wird ganz bestimmt funktionieren, und wie! Aber werden wir es auch?

Titelbild: ‚alien matter‘, transmediale special exhibition 2017 / Foto: © Luca Girardini