Übergänge aufspüren

Luxemburgs Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig – Grün, ja fast idyllisch ist Luxemburg, dessen Bewohner sich oft schon nach wenigen Tagen Aufenthalt in den großen Metropolen der Welt vor allem nach ihren Kleinstädten, Dörfern oder Einfamilienhäusern nahe der Natur zurücksehnen.

Von Claus Käpplinger

Eine Insel des Finanzkapitals ist hingegen Luxemburg Stadt, ein ähnlich prosperierender Hotspot globaler Ökonomie, wie es auch die Emirate am Golf sind. Eine Stadt, die ebenfalls immer mehr in die Höhe und Breite wächst, wo die Zahl der so genannten „Expats“, der ausländischen Fachkräfte schon fast die Zahl der Einheimischen erreicht hat – was hier wie dort recht skurrile Blüten treibt: ganz alltäglich hoch mobile Nomadenströme, die jeden Werktag von weit her in die Stadt ein- und ausfahren. Oder das faszinierende Opernhaus des französischen Stararchitekten Christian de Portzamparc, das wohl als einziges Opernhaus in Europa an Wochenenden nicht bespielt wird, da dann sein bürgerliches Publikum zumeist auf dem Lande, außerhalb der Stadt oder sogar der Landesgrenzen verweilt.

Luxemburg Architekturbiennale © Foto: Matteo De Fina

LUXEMBURGER, EUROPÄER PAR EXCELLENCE

Luxemburg ist eine Postkartenidylle, aber auch ein wirtschaftlicher Magnet inmitten verarmter Nachbarn. Nachbarn wie Lothringen, Saarland oder Wallonien, die nach dem Niedergang ihrer alten Industrien weit weniger erfolgreich waren und nun zumindest indirekt von den unterschiedlichen Steuersätzen und Preisgefällen dies- und jenseits der Luxemburger Grenzen profitieren. Sehr amerikanisch anmutende Strip-Architekturen, seltsam unwirtliche Tankstellen-, Einkaufscenter- und Wohnanlagen-Cluster sind so heute sichtbar eine der vielen Kehrseiten von Luxemburgs Erfolg, die ihren Teil dazu beitragen, dass man hier gern und oft mit dem Auto über die Grenzen wechselt. Wer als Luxemburger nicht von der Finanzwelt profitiert, findet nicht selten sein erträgliches Auskommen als Besitzer einereinträglichen Verkaufslizenz für Benzin, Tabak oder andere Produkte. Bodenständig und sehr mobil, gesellschaftlich konservativ und zugleich wirtschaftsliberal sind Luxemburger heute Europäer par excellence, weltoffen und zumeist mindestens dreisprachig. Denn in Luxemburg spricht man Letzeburgisch, Französisch oder Deutsch, wobei letztere mit der Zahl eingebürgerter „Expats“ aus allen Herren Länder deutlich im Rückgang begriffen ist.

FOLGEN DES TAGTÄGLICHEN NOMADISMUS

Vor diesem Hintergrund erscheint der diesjährige Luxemburger Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig sehr bemerkenswert, der selbstkritisch die Entwicklung Luxemburgs und seiner Grenzgebiete zur Diskussion stellt, aber sich damit keineswegs erschöpft, sondern auch Alternativen aufzeigen will. Die Ausstellung „Tracing Transitions“ des Luxembourg Center for Architecture (LCA) zeigt ein Land im Umbruch. Ein Land, dessen Bevölkerung heute zu 45 Prozent nicht im Land geboren ist oder eine andere Nationalität besitzt. Ein geografischer Raum, der weit über Luxemburgs Grenzen hinaus geht und längst schon zu einer interdependenten Großregion zusammengewachsen ist, obwohl sich ihre Bevölkerung dies- und jenseits der Grenzen weiterhin eher national definiert. Ganz alltäglich überschreiten heute 167.000 Menschen Luxemburgs Grenzen, um von ihrem Wohnort zur Arbeit zu wechseln. Was auf den ersten Blick nicht besonders viel erscheinen mag, wird gewichtig in Relation zu nur 576.000 Luxemburgern. Welche Folgen dieser tagtägliche Nomadismus in den engen Fluss- und Waldtälern der Großregion hat, führt die Ausstellung nun eindrücklich vor Augen, mit Raum gewordenen Mapping-Installationen und wunderbaren Fotodokumentationen einer unwirtlichen, urban-mobilen Realität.


Auch in Luxemburg fehlen erschwingliche Wohnungen, wo lange Zeit Wohnungsbau allein dem freien Markt überlassen blieb. 35.000 Wohnungen sollen so heute nach einer Erhebung der Caritas in Luxemburg fehlen, wo Sozialwohnungen eine Seltenheit und genossenschaftliche Projekte bis vor kurzem nahezu unbekannt waren.


REURBANISIERUNG STILL GELEGTER INDUSTRIEBRACHEN

Damit nicht genug, begnügten sich die vier jungen Kuratoren der Ausstellung, die ArchitektenClaude Ballini, Daniel Grünkranz, Panajota Panotopoulou sowie der Künstler Serge Ecker nicht mit dem Ist-Zustand Luxemburgs, sondern wandten sich mit Bedacht den eigenen Flächenreserven, den zahlreichen still gelegten Industriearealen des Landes zu, deren Reurbanisierung viele Möglichkeiten bieten könnte, eine nachhaltigere urbane Zukunft einzuleiten. Denn auch Luxemburg war ursprünglich ein Land vieler Industriebetriebe, insbesondere der Stahl- und Rüstungsindustrie, deren Areale nach einer neuen Verwendung verlangen. Am Beispiel von Dudelange/Düdelingen steht eines dieser Areale im Fokus der Ausstellung, ein 40 Hektar großes Gelände, wo eine interdisziplinäre Gruppe, das „Kollektiv D“ eine andere Entwicklung von Bottom-up und nicht wie gewohnt von Top-down zu initiieren versucht und aktuell als erstes Pionierprojekt der Reurbanisierung ein Flüchtlingsheim entstand. Als eine Step-by-Step Utopia bezeichnet das „Kollektiv D“ seine Vorschläge zu mehr graduellen Interventionen, die prozesshaft der Eintönigkeit gewohnter Wohnmodelle, den so geliebten Reihen- und Einfamilienhäusern der Luxemburger, eine neue Vielfalt von Wohnformen gerade auch in urbaner Verdichtung entgegensetzen will. Damit untrennbar verbunden, wird hier auch die neue soziale Frage thematisiert, die heute bei weitem nicht nur Luxemburg bewegt.

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© Fotos: Matteo Di Fina