Obenauf in Unternalb
„OBENauf“ heißt das neue Bed & Breakfast am Bauernhof. In Unternalb, NÖ, betreibt die Caritas eine Landwirtschaft, in der Menschen mit Behinderung arbeiten. In ihren denkmalgeschützten Dreikanthof bauten 25 Studierende des design.build-Studio der TU Wien fünf komplett möblierte, schöne Doppelzimmer und einen Gemeinschaftsraum ein. Die Rezeption und die große Tafel, an der Behinderte das Frühstück servieren, liegen im Erdgeschoß.
Von Isabella Marboe
Unternalb im Weinviertel wirkt, als ob es aus der Zeit gefallen wäre. Gras bewachsene, alte Weinkeller säumen die Ränder der Bundesstraße, die von Retz in die kleine Ortschaft führt. Rund zwei Kilometer vom dortigen Bahnhof entfernt, reihen sich mitten von schnurgerade parzellierten Feldern ein paar schmale, niedere, lange Häuser zu den zwei Hauptstraßen aneinander, die linsenförmig den zentralen Anger bilden. Die Dorfstraße geht unmittelbar in die Kirchfeldstraße über. Hier liegt der ehemalige Gutshof von Stift Göttweig, eine imposante, fast schlossartig anmutende Anlage mit mehreren Trakten und einer barocken Kirche. Sobald man die breite, torlose Auffahrt zwischen zwei pastellgelben Mauerpfeilern an der Kirchfeldstraße passiert hat, betritt man eine andere Welt. Der Pfarrhof fasst einen wohlproportionierten, ruhigen Platz ein. In seiner Mitte steht eine mächtige, alte Weide hinter einem hüfthohen Pflanztrog aus Sichtbeton: In seine Schalung wurde der markante Schriftzug „OBENauf“ eingelegt – und hält sich hier nun für alle Ewigkeit.
Social-Business-Projekt
„OBENauf“ nennt sich das neue Social-Business Projekt der Caritas, die in diesem Gutshof in Unternalb schon ein Vierteljahrhundert Werkstätten für Menschen mit Behinderung betreibt. Im ersten Stock vom Westflügel des denkmalgeschützten Pfarrhofes bauten rund 25 Studierende des design.build Studio der TU Wien ein Jahr lang gemeinsam fünf voll möblierte Doppelzimmer mit eigenem Bad und eine Art Bibliothek mit Sitzstufen für die Gemeinschaft in den ersten Stock des Bestands ein. Selbstverständlich barrierefrei auch mit Lift erreichbar. Das war alles andere als einfach im denkmalgeschützten Pfarrhaus. Außerdem installierten die Studierenden im Erdgeschoß eine Rezeption und einen Frühstücksraum mit einer großen Tafel, die alle teilen.
Die Arbeitsplatte in der Küche haben sie selbst aus Sichtbeton gegossen. Außerdem stellten sie eine Pergola mit Grillplatz im Garten hinter dem Schlaftrakt auf, entwarfen alle Möbel, den charakteristischen Schriftzug und betonierten die kleine Mauer mit Hochbeet und Bank im Hof.
Urlaub am Bauernhof
Begonnen hatte alles im Oktober 2014. „Wir haben schon oft erfolgreich mit der Caritas zusammengearbeitet“, so Peter Fattinger, der seit dem Jahr 2000 das design.build Studio am Institut für Wohnbau und Entwerfen der TU Wien betreibt. Es gibt Studierenden die Möglichkeit, gemeinsam einen Entwurf bis zur Baureife zu entwickeln, um ihn dann selbst im Maßstab 1:1 realisieren zu können. Von der ersten Idee über viele Diskussionsrunden hinweg zum Einreichplan bis zur Fertigstellung. Für die Caritas hatte das design.build Studio schon 2007 ein Gemeinschaftshaus für ein Waisenheim auf der indonesischen Insel Nias errichtet und 2011 einen vielseitigen Veranstaltungs- und Erfahrungsraum für sozial Engagierte in den zehn Meter hohen Wiener Gürtelbogen Nr. 353 eingebaut. Das Vorhaben in Unternalb war besonders kompliziert, steht der Pfarrhof doch unter Denkmalschutz. Im Stiegenhaus mit dem alten Steinboden, dem schwarzen Metallgeländer und den schönen Kapitellen auf den Säulen hängt eine steinerne Inschrift mit Wappen, auf dem steht: 1613 – 1843. Eine wesentlich jüngere Gedenktafel der Stadt Retz verweist auf ein anderes Stück Geschichte: „Geburtshaus der Brüder Ranzoni“, Emmerich Ranzoni, 1823–1898 Dichter und Kunstschriftsteller, Gustav Ranzoni, 1826 – 1900, Tier- und Landschaftsmaler. Außerdem wollten sowohl die Studierenden, als auch die Caritas die Menschen mit Behinderung, denen das Bed & Breakfast neue Betätigungsfelder erschließt, in das Projekt einbinden: Sie waren auf der Baustelle dabei. „Es ist schon ein Potenzial, mit Menschen mit Behinderungen in Kontakt zu treten“, so Peter Fattinger. Das andere Potenzial ist die Einmaligkeit des Ortes: Ein Bauernhof mit vielen Werkstätten, in denen insgesamt an die 60 Behinderte beschäftigt sind. Sie malen, tischlern, schweißen, reparieren hier und anderswo in Niederösterreich, einige arbeiten in der Landwirtschaft: Tiere und Pflanzen gedeihen unter ihrer gewissenhaft-bedächtigen Obhut prächtig. Sogar das Schweinchen aus der ,ja, natürlichʻ-Werbung verbringt hier seinen Lebensabend.
Hinter dem ersten Hof steht am Rand eines barocken Gartens ein relativ moderner Zubau aus dem Ende der 1990er Jahre, in dem 39 Behinderte wohnen. Andere Trakte werden als Werkstätten und Ställe genutzt. Bis hin zum Fischteich mit den Karpfen und Hechten im Süden erstreckt sich ein großer Bauernhof über das Areal. Hier laufen Hähne, Hühner und Küken frei in ihrem Gehege auf der abschüssigen Wiese herum und stehen weiße, wollige Schafe mit dunklen Ohren und ihre schwarzen Jungen auf hohen, wackeligen Beinen mit braunen Bergschafen und Ziegen unter weiß gekalkten Gewölben tief im Heu. Im Stall daneben sind Alpakas zu Hause. In der Wasserfläche des Fischteichs spiegeln sich der Himmel und die Wolken, malerisch schaukelt ein rot-weißes Ruderboot auf den Wellen. Es ist absolut idyllisch. Diese weltentrückte Ruhe hat viel Potenzial für Erholungsbedürftige und der Bauernhof ist nicht nur für Kinder ein Erlebnis.
design.build Studio TU Wien
„Es ist ganz toll, wenn man ausnahmsweise nicht für die Schublade arbeitet“, so Max Hofmann, ein 26-jähriger Student, der am design.build Studio in Unternalb federführend beteiligt war. „Wir hatten eine sehr intensive Workshop-Phase. In der ersten Woche waren alle Akteure vor Ort, alles war möglich und erlaubt.“ Aus dieser Anfangszeit hat die Gruppe viel Input mitgenommen. „Das war sehr wichtig für den Teamgeist“, meint Rosi Kranzinger. Jeden Tag gingen die Studierenden zu Fuß vom Bahnhof Retz nach Unternalb – sie arbeiteten oben im Seminarraum und begannen mit der Bauaufnahme. „Wir haben Naturmaße genommen und alle technologischen Geschütze aufgefahren, um zuverlässige Pläne zu erstellen“, erinnert sich Max Hofmann. „Dass das Gewölbe nur 14 cm stark war, konnten wir kaum glauben“, so Jan Enzlberger, der auch dabei war. „Es war extrem viel Arbeit.“ Die Entscheidung für den besten Entwurf fiel demokratisch. „Wichtig ist, dass man im Grundkonzept wieder die Ideen finden kann, die man gemeinsam diskutiert hat“, so Peter Fattinger. In jedem wöchentlichen Jour fixe der Gruppe fiel die Entscheidung für den nächsten Schritt. „Das oberste Prinzip lautet: Jeder bringt sich ein.“ Man einigte sich darauf, alle Doppelzimmer und den Gemeinschaftsraum in den ersten Stock zu verlegen, außerdem wollte man die großzügige Raumhöhe von 4,50 Metern spürbar machen. Das bedeutete: Eine Galerie für den Gemeinschaftsraum mit Bibliothek, die sich bis über den Gang zieht und Galerien über den Badboxen einiger Doppelzimmer. Sie sind indirekt beleuchtet, mit Sitzwürfeln ausgestattet und ermöglichen ein besonders aufmerksames Studium der Deckenfresken. Jedes Zimmer ist anders und optimal an den Bestand angepasst, einige der Bäder sind sogar rollstuhlgerecht.
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