„We are inside a large revolution“
Design, ein Name – Carlotta de Bevilacqua ist Vize-Präsidentin von Artemide und leitet das Designstudio Danese in Milano. Sie ist eine der internationalen Schlüsselfiguren in der Welt des Designs und der Architektur. Sie studierte Architektur am Polytechnikum in Milano, war Art Director der Memphis-Gruppe und lehrt als Universitätsdozentin. Sie arbeitet weltweit mit den renommiertesten Designern, Wissenschaftlern und Architekten zusammen.
Photonik ist die Zukunft der Lichttechnologien und der richtungsweisende Schlüsselbegriff für die jüngste Lichtforschung, betont Carlotta de Bevilacqua, Vize-Präsidentin und Chefdesignerin von Artemide, einer der weltweit führenden Hersteller von Designleuchten mit Sitz in Milano. Wissenschaft und Forschung entwickeln sich immer schneller, die Kommunikation wird in den kommenden Jahren revolutioniert. Zeit bedeutet Geschwindigkeit, mit der Photonik öffnen sich neue Fenster für die Lichttechnologie. QUER-Chefredakteurin Doris Lippitsch verbrachte einen Tag im Studio Danese in Milano, um mit Carlotta de Bevilacqua über aktuelle Entwicklungen im Lichtdesign und die gewaltige Umwälzung, in der wir uns heute befinden, zu sprechen.
„Wenn wir uns daran erinnern, dass die ersten Rechner noch nicht dazu in der Lage waren, Bilder zu generieren, sehen wir heute, wie schnell sich die Informationstechnologien entwickelt haben. Avantgarde braucht immer Zeit um landen zu können. Heute ist das anders. Zeit bedeutet Geschwindigkeit. Wissenschaft und Forschung entwickeln sich sehr rasch. Hard- und Software werden anders erfasst. Ein Update von Software bedeutet, neue Wege im Design gehen zu können, also andere Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. Unsere Aufgabe ist es, unsere Umwelt zu schonen und bewusst mit unserer Kultur und Geschichte umzugehen. Um1900 war Licht gleichbedeutend mit Glühkörper. Dazwischen liegt ein Jahrhundert. Wir befinden uns in einer ungeheuren Revolution, die – wir wissen es nicht – auch auf militante Art ausgetragen werden könnte. Daher ist es umso wichtiger, Bewusstsein für Räume, Lichträume, Raumarchitektur – unsere Umgebung – zu schaffen: Landschaften, die unsere ästhetische Wahrnehmung und Emotionen prägen werden. Wir werden mit der Bionik und biomimetischen Architektur (biomimicry) völlig neue Raumerfahrungen machen. We will face a great extasy in esthetics! Dabei sollen wir aber nie vergessen, von der Natur zu lernen! Die Reduktion ist eine Erfahrung, Qualität mit neuer Qualität zu ergänzen und die Interaktionen mit unserer Umgebung zu verbessern. Damit werden neue Beziehungen und Formen des Bewusstseins geschaffen! Das ist ein heikles Thema: Wir müssen darauf achten, wie wir es angehen, um dabei nicht die menschliche und emotive Seite zu vergessen, unsere Ansprüche als Individuen! Das steht im Mittelpunkt unserer aktuellen Forschungen. Wir arbeiten derzeit mit jungen Designern wie Daan Roosegaarde und Tapio Rosenius.“ Carlotta de Bevilacqua
Begonnen hatte alles mit der Erfindung des Glühfadens im Jahre 1878, der beim Durchgang von elektrischem Strom zu glühen beginnt. Im selben Jahr gründet sein Erfinder, Thomas Alva Edison, die Edison Electric Light Company in New York, ein Jahr später werden die ersten Glühbirnen im Menlo Park installiert. 1880 patentiert Edison die elektrische Glühbirne. Nur zwei Jahre später verwirklicht er mit 110 Volt Gleichstrom an 59 Benutzer in Lower Manhattan das erste Stromversorgungssystem der Welt. Die klassische Physik stößt um 1900 bei der Beschreibung des Lichts oder des Aufbaus der Materie an ihre Grenzen. Viele Umwälzungen und Neuerungen setzen gleichzeitig ein.
Die moderne Physik wird geboren, ihre Grundpfeiler sind die Quanten- und Relativitätstheorie, die Unterschiede zur klassischen Physik liegen im mikroskopisch Kleinen. Die Quantenmechanik von Albert Einstein, Max Planck, Niels Bohr und Werner Heisenberg hat mit der Überwindung der newtonschen Physik, seinen Gesetzen der Bewegung, das Fundament der klassischen Mechanik, „eine regelrechte Revolution ausgelöst und definiert heute unsere Zukunft“, beginnt Carlotta de Bevilacqua, Vizepräsidentin von Artemide und Geschäftsführerin des Designstudios Danese, ihre Exkursion über ihre leidenschaftliche, jahrzehntelange Auseinandersetzung mit Licht und Design. „Die Quantistik hat die newtonsche Physik quasi umgekehrt, und eine neue Interpretation der Realität ermöglicht, ohne auf eine absolute Wahrheit pochen zu wollen“, so Carlotta de Bevilacqua.
Die Quantenphysik beweist, dass sich Lichtenergie und die Energie der Elektronen in den Atomen in Quanten oder Energiepaketen artikuliert. Mit ihr wurde das Wissen um die doppelte Natur des Lichts – Wellen und Teilchen – eingeführt. Die Quantenmechanik untersucht das Verhalten der Elementarteilchen und beschreibt die Realität in Bezug auf Interaktionen. Dies ist für das menschliche intuitive Verständnis von Dingen nicht einfach, wenngleich die Folgen für die Technologie aber höchst nützlich sind.
Von der Relativitätstheorie zur Avantgarde im frühen 20. Jahrhundert
Mit Einsteins Relativitätstheorie, den wissenschaftlichen Abhandlungen über die vierte Dimension des französischen Physikers und Mathematikers Henri Poincaré, der den Philosophen Gaston de Pawlowski 1911 zu seiner prophetischen Science-Fiction Novelle Reise ins Land der vierten Dimension inspiriert und Grundlage für Marcel Duchamps viel zitiertes Meisterwerk, das Große Glas in den 1920er Jahren ist, mit der Geburt der Psychoanalyse von Sigmund Freud in Wien und der großen Unbekannten, dem Unterbewusstsein in der Kunst im Dadaismus und Surrealismus, der Avantgarde in der bildenden Kunst, dem Bruch mit der Perspektive seit Paul Cézanne und in der historischen Malerei, den Édouard Manet vollzieht, indem er subjektive Wahrnehmung und nicht mehr die analytische Betrachtung in den Mittelpunkt rückt, werden bahnbrechende neue Visionen eingeleitet. Der irische Schriftsteller James Joyce revolutioniert mit seinem Werk Finnegans Wake, an dem er über 17 Jahre lang in Paris schreibt, die Sprache und gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der literarischen Moderne. Mit dem Abstrakten Expressionismus und dem Drip Painting, dem ersten künstlerischen Phänomen in den USA, wird mit seinem Hauptvertreter Jackson Pollock nach dem Zweiten Weltkrieg die Kunsthauptstadt von Paris nach New York verlegt. Anarchische Rebellion steht mit befreiter Geste und unterbewusster Malerei im Raum.
Licht, Luft, Öffnung
Auch in der Architektur wird Wohnraum und -empfinden mit einer großen säkularisierenden Geste umgewälzt. Der deutsch-jüdische Philosoph Walter Benjamin schwärmt im Passagenwerk vom neuen Baustoff Glas. Das Leitmotiv der Avantgarde lautet: Licht, Luft, Öffnung, das mit den Baustoffen Beton und Stahl ausgelotet wird. Das Empire State Building, das höchste Gebäude der Welt, wird in Rekordzeit errichtet (Anm.: bis zur Errichtung des World Trade Center im Jahre 1961 und erneut nach 9/11 im Jahre 2001), und am 1. Mai 1931 feierlich in New York eröffnet. Es ist der erste Wolkenkratzer, der über 100 Stockwerke verfügt. Schnell wird das Empire State Building zum Wahrzeichen von New York und bald von ganz Amerika. Überliefert ist, dass das Licht per Funkverbindung über das Weiße Haus in Washington angeschaltet worden war. Im 85. Stockwerk geht das „höchste Essen der Welt“ in illustrer Gesellschaft mit dem damaligen US-Präsidenten Herbert Hoover, Jimmy Walker, Gouverneur des Staates New York und Franklin D. Roosevelt, Präsident der Empire State Building Corporation Alfred Smith, über die Bühne und in die Geschichte ein ...
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