Pritzker-Preis für Alejandro Aravena

Halbfertige Gebäude, die später von den Bewohnern selbst fertig gebaut werden können – für genau dieses inkrementelle Bauen setzt sich der 48-jährige chilenische Architekt Alejandro Aravena ein und erhält nun den Pritzker-Preis, die renommierteste Auszeichnung für Architekten. In diesem Jahr kuratiert er außerdem die Architektur-Biennale in Venedig.

Jennifer Lynn Karsten

In einer Zeit, die von massiven Migrationsströmen beherrscht wird und in denen versucht wird, Ghettobildungen in den Städten und Verslumungen an den Stadträndern zu verhindern, kommen viele Fragen zum Bauen und Planen auf.
Das Nachdenken über soziale Problemlösungen rutscht gerade jetzt in den Fokus von Städtebauern und Architekten. Der Architekt Alejandro Aravena praktiziert dies schon seit Jahren. Mit seinem Büro „Elemental“ ein „Do-Tank“ hat Aravena mittlerweile über 2.500 Sozialwohnungen in Favela-artigen Quartieren realisiert. Dabei nutzt der Chilene die soziale Wohnbauförderung, die Häuser nur bis zu einer Fläche von 30 Quadratmetern fördert, um sie doppelt so groß zu bauen. Das öffentliche Förderbudget sieht 7.500 US-Dollar pro Wohnung für Baugrund, Infrastruktur und Rohbau vor. Aravenas Architekturbüro plant mit der Förderung die eine Hälfte des Hauses, sodass es sofort bewohnbar ist – also mit Dach, Leitungen, Küche und Bad. Die andere Hälfte kann durch die Bewohner – je nach Bedarf und finanziellen Möglichkeiten – mit der Zeit später selbst fertig gebaut werden. Er sieht diese Art zu Bauen „als Werkzeug, um Armut zu überwinden.“ In der Siedlung „Quinta Monroy“ in der nordchilenischen Stadt Iquique ist ihm das gelungen. Dort hat er für 100 Familien, die 30 Jahre lang illegal auf einem 5.000 qm großen Areal in der Mitte der Stadt lebten, Wohnraum in Form von Wohneigentum geschaffen. Um Kosten zu sparen, besteht die Siedlung aus Reihenhäusern mit zwei übereinandergelagerten Wohnungen. Auf dem Sockelgeschoss befinden sich jeweils ein halbes Gebäude und eine Freifläche, dadurch wird die Erweiterung des Hauses durch Eigeninitiative ermöglicht.
Durch die Freiheit der Bewohner ihren Außenraum und Anbau selbst zu gestalten, ist eine Vielfalt an Farben, Formen und Materialien entstanden.
Dies zeigt, dass für Aravena Architektur nicht nur die Gestaltung von Räumen und Oberflächen ist, sondern Steuerung von sozialen Prozessen.

Quinta Monroy Housing ©Cristobal Palma

Der Newcomer

Der Pritzker-Preis, der als „Nobelpreis für Architekten“ gilt und 1979 von Jay A. Pritzker, dem Besitzer der Hyatt-Hotelkette, ins Leben gerufen wurde, galt bisher als Würdigung des Gesamtwerks eines Architekten. Bisherige Preisträger waren vorwiegend weiße alte Männer: Philip Johnson war 73, Kenzo Tange 74, Oscar Niemeyer über 80 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt der Preisträger lag bei über 60 Jahren. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass Wolf D. Prix, der Amerikaner Peter Eisenmann und der Niederländer Wolf Gehl als diesjährige Favoriten galten. Alejandor Aravena nimmt sich mit seinen 48 Jahren neben ihnen wie ein Newcomer aus. Doch wir leben in einer Zeit, in der unsere bisherige Vorstellungswelt ins Wanken gerät. Dies muss auch die Jury so gesehen haben, bei ihrer Entscheidung den Preis einer jüngeren Generation zu widmen.
Aravenas Werk „verkörpert das Wiederaufleben einer sozial engagierten Architektur“, kommentierte Stiftungspräsident Tom Pritzker die Entscheidung der Jury. „Seine Arbeit verschafft den weniger Privilegierten wirtschaftliche Chancen, lindert die Auswirkungen von Naturkatastrophen, verringert den Energieverbrauch und bietet einladenden öffentlichen Raum.“ Tom Pritzker
Dass Alejandro Aravena neben seiner Tätigkeit als Bau-Aktivist auch Architektur im engeren Sinne des Wortes produzieren kann, zeigt sein „UC Innovation Center“. Das Gebäude liegt auf dem Campus der katholischen Universität von Chile in Santiago, an der er selbst studierte. Normalerweise werden dort Gebäude aus Beton und Glasfassade gebaut, mit Klimaanlagen die gegen die Hitze arbeiten. Um dies zu umgehen, krempelte Aravena das Konzept kurzerhand um.
„Der aus der Ferne kraftvolle Bau ist bemerkenswert und menschlich einladend. Durch eine Umdrehung des Herkömmlichen ist das Gebäude außen eine blickdichte Zementstruktur und hat innen einen lichtdurchfluteten Hof“, urteilte die Jury. Die Außenfassade besteht aus gigantischen kältespeichernden Scheiben. Dadurch konnten die Energiekosten um zwei Drittel verringert werden.
Auch Aravenas Siamesische Türme und Gebäude der Fakultäten für Architektur und Mathematik sind energieeffizient gebaut.

Architektur Biennale 2016

Alejandro Aravena ist der erste Chilene, der den Pritzker-Preis erhält. Anfang April wird der Preis in New York im UN-Hauptquartier überreicht. Die Auszeichnung ist mit 100.000 US-Dollar dotiert.
Zudem ist Aravena künstlerischer Leiter der internationalen Architekturausstellung der Biennale Venedig, die vom 28. Mai bis zum 27. November 2016 unter dem Titel „Reporting from the front“ (engl. Frontberichterstattung) stattfindet.
Dort kann der frischgebackene Pritzker-Preisträger ausführen, wie er sich „den Architekten als universelle Figur, der wahrhaft kollektive Lösungen für die gebaute Umwelt finden kann“, vorstellt. Seiner Meinung nach sollen Architekten „geeignete Entwurfs-Werkzeuge finden, um die Kräfte zu unterwandern, die individuellen Nutzen über die gemeinschaftlichen zu stellen.“ Dies hört sich ganz schön ideologisch an, doch das darf ein Architektur-Aktivist auch sein.