Moses oder Charon?
Aleksandr, 44, tuckert vermutlich gerade mit seiner Motorsegeljacht durch das Mittelmeer, blaues Meer, viel Sonne. Wahrscheinlich trägt er Sonnenbrille, Shorts und Flip-Flops, quasi Berufskleidung für einen Skipper, ein Traum. Auf seinem Boot haben gemütlich fünf Touristen Platz oder aber, wenn die Fahrt etwas ausgebuchter ist, passen auch 31 Flüchtlinge rauf. Das ist nicht so gemütlich, aber lukrativ, für viele!
Aleksandr ist Schlepper in einem System, dessen Umsätze nur von den Drogenkartellen übertroffen wird, und dessen Struktur so genial einfach ist, dass der erste den zweiten, der zweite den dritten, aber der dritte schon nicht mehr den ersten kennt. Er ist Teil eines Systems, das flexibel und unzerschlagbar ist, und mit Menschen handelt.
Andrea Di Nicola und Giampaolo Musumeci haben dieses Phänomen in ihrem Buch „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“ über zwei Jahre recherchiert und räumen mit Vorurteilen auf. Hinter den Skippern, den Schleppern, den Fußsoldaten steckt eine globale Organisation, die von Männern in Anzügen und Krawatten geführt wird, von harten, toughen, streng kalkulierenden Geschäftsleuten. In dem Buch wird diese Parallelwelt erklärt, um unseren Blickwinkel zu erweitern und von politischer Instrumentalisierung zu lösen, der die „Meinungsbildung schon zu lange bestimmt.“ Wenn die beiden Autoren von dem Mann berichten, der in Istanbul einen Geldkoffer mit den jüngsten Einnahmen bei einem Juwelier abgeben soll, dann liest sich diese Passage wie bei Thomas Mann und seinem Gustav von Aschenbach, als dieser durch Venedig wandelt – „vor der großen Moschee hält er einen Moment inne, dreht sich dann um und setzt seinen Weg fort und betritt den großen Basar durch ein Tor.“ Es sind keine gehörten Erzählungen von denen sie berichten, sie waren dabei. Andere Episoden werden in der Ich-Form ihrer Gesprächspartner geschildert, wodurch die Fakten den Charakter einer Erzählung am Lagerfeuer erhalten, Horrorgeschichten von verängstigten Kindern und verlorenen Erwachsenen.
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