Der Fenstergucker
Der etwas abgehobene Onkel David steht auf seinem Balkon, sein Blick schweift in die Ferne. Sein Geschoß wurde aufgestockt, das ist noch nicht lange her. Für das Penthouse gilt eine andere Hausordnung als für den Rest des Hauses. Das ist seit Thatcher so. In den letzten Jahren wurde immer wieder zugebaut. Das Haus hat seinen Preis und darum geht es, um die Statik, immer der alte Hut. Treten Sie ein!
Das, woran der Balkon hängt, ist das Haus, oder eben der Rest, das kommt immer auf den Betrachtungswinkel an. Da gibt es jede Menge Zimmer, einige groß und andere klein, die einen besser ausgestattet, anderen steht noch eine kleine Renovierung bevor und bei einem Zimmer fragst du dich: „Das ist so klein, was soll das sein?“ Das ist für den Facility-Manager Juncker groß genug. In der Mitte ist übrigens ein Loch – ein Lichthof – die Schweiz. Das ist auch so eine Sache, ohne Haus herum kein Lichthof, das sieht der Lichthof aber anders.
Als die Ideengeber 1950 mit den Entwürfen für das Haus begannen, da hatten sie zwar große Vorstellungen und ebenso große Pläne, allerdings ging sich von all den schier grenzenlosen Visionen erst nur ein kleiner, mit Kohle beheizter Schuppen aus. Noch dazu hatten die Bauherren Schumann, Adenauer und Monnet ein weiteres Problem: Der halbe Grund gehörte dem Nachbarn, der wollte partout nicht verkaufen, weil er ein eigenes Haus geplant und einen Zaun herum gebaut hatte. Macht nix, dachten sie sich, irgendwann wird er schon verkaufen, bauen wir halt vorerst bis zu seinem Eisernen Vorhang hin. Einige Jahre später wurde der noch stellenweise durch eine Mauer verstärkt. Hat aber auch nicht geholfen, es war eher ein witzloses Gebäude, dort drüben, weil der Wirt ständig alle Bewohner belauscht hat. Und den Kiebitz will wirklich keiner.
Wieder im Heute sehen wir das vereinte Haus schon voll ausgebaut. Aber nicht jeder hat einen Schlüssel und die Gegensprechanlage ist auch schon ziemlich desolat. Sogar einen Preis hat das Haus bekommen, für Frieden und Zusammenleben. Zu Recht, nur wenn du genauer hinhörst, dann hörst du die vielen Bewohner manchmal schon auch streiten. Da gibt es zum Beispiel den Victor im rechten Gebäudetrakt, er philosophiert in letzter Zeit über die Todesstrafe und glaubt, dass das eine prima Idee ist. Die anderen sind sich da aber einig, dass das ein Blödsinn ist, dann schmollt er wieder. Unten, im südlichen Trakt, waren früher immer abwechselnd zwei Familien drinnen, die haben es nicht so genau genommen mit der Rechnung und jetzt muss der neue, Alexis, die ganze Zettelwirtschaft in Ordnung bringen. Im südseitigen Mitteltrakt, da hat bis vor Kurzem auch ein anderer gewohnt, ein älterer Herr, Silvio, der war immer für einen Spaß zu haben und ich sage Ihnen, der konnte Partys feiern wie im alten Rom. Sie wollen das gar nicht genauer wissen!
In der zentralen Wohnküche gibt Mutti den Ton an. Sie kocht nicht immer gut, die Suppe löffeln sie dann aber doch alle in der großen Gemeinschaftsküche. François, der Pariser Spross, liebt feines Essen und hat eine ausgeprägte Vorliebe für schwere Weine aus dem Burgund.
Mutti hat es gern etwas Deftiger, bevorzugt den Weißen und ist sonst sehr ordentlich. François kann es nicht ausstehen, wenn Mutti ihn Franz nennt.
Im jüngsten Teil des Hauses, also in dem, der früher dem Nachbar gehört hat, da sind jetzt zwar auch alle froh, dass sie hier wohnen, aber wenn jemand von den Großen aus der Wohnküche etwas rüber ruft, dann klingt das gleich nach Kinderzimmeraufräumen und das ist nicht wirklich lustig, weil jedes Kind hat noch immer seinen eigenen Weg gefunden, der gut ist, wie er eben so ist, nur finden musst du ihn, aber das braucht Zeit und gute Vorbilder. Das sollten auch die Bewohner nicht vergessen, die schon länger dort wohnen. Deswegen hat es letztens auch schon wieder eine Hausversammlung gegeben, aber David, der britische Onkel, hat irgendwie das Thema nicht verstanden und nur davon geredet, wie ihm auf dem Balkon der Wind um die Ohren bläst.
Das Haus wurde zwar standsicher geplant, ist aber vor seiner Zeit in die Jahre gekommen. Hier ist nun Draghis Hausverwaltung gefordert.
Von Doris Lippitsch & Max Brustbauer