Eine Glücksnovelle

Es war einmal ein kleiner Zwergstaat. Alle Bürger hatten ein angenehmes Zuhause, ein kleines oder großes Haus, eine kleine oder große Wohnung, einen kleinen oder großen Garten, kleine oder große Kinder oder beides und ein kleines oder großes Einkommen. Zumindest ein ausreichendes Einkommen.

Von Silvia Gredenberg

Der Zwergstaat war ein Königreich und sehr wohlhabend, weil alle Bürger Steuern bezahlten, mit denen man die gesamte Infrastruktur zum Wohle der Bürger ausbauen und erhalten konnte. Der kleine Staat verfügte über ein ausgedehntes Autobahnnetz, gut ausgelastete öffentliche Verkehrsmittel, über gut ausgestattete Spitäler, moderne Schulen und berühmte Universitäten. Ja sogar eine eigene Fluglinie wurde unterhalten. Die Bürger waren sehr stolz auf ihren kleinen Staat und bezahlten gerne Steuern, um diesen Wohlstand aufrechterhalten zu können. 

Nur der König war unzufrieden und wollte immer höhere Einnahmen, um die Gelder in Dinge zu investieren, die keiner wirklich brauchte, die nur dazu da waren, um das Ansehen des Königs nach außen hin zu verbessern.

Er ließ seine hellsten Köpfe aufmarschieren, um mit ihnen zu beraten, wie die Staatseinnahmen erhöht werden könnten, ohne die Zufriedenheit der Bürger zu beeinträchtigen.

„Wir können unmöglich höhere Steuern vorschreiben“, meinte der Finanzminister „das würde zu einem ausgeprägten Steuerwiderstand führen und die Einnahmen würden trotz Steuererhöhung vielleicht sogar sinken.“

Der König schüttelte missbilligend den Kopf. Er wollte unbedingt höhere Staatseinnahmen. Der Finanzminister rang verzweifelt die Hände. Er wusste genau, dass alle Bürger in diesem Land sehr glücklich waren mit der Situation, wie sie war. 

„Wenn unsere Bürger so glücklich sind und gern in diesem Land leben und wenn es gefährlich ist, die Steuern auf Einkommen zu erhöhen, dann erfinden wir eine neue Steuer.“

„Noch eine?“, fragte ein Minister.

„Nein, nicht noch eine – eine andere. Wir führen eine Glückssteuer ein.“

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