Der Unermüdliche

Pritzker-Preis für Shigeru Ban

Gebäude aus Papier, Stoff oder Bambus, mit unterschiedlichen Konzepten, Formen und Bauweisen. Der japanische Architekt ist für seine eleganten und innovativen Bauten bekannt und erhält nun den Pritzker-Preis, die renommierteste Auszeichnung für Architekten.

von JENNIFER LYNN KARSTEN

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© The Hyatt Foundation / Pritzker Architecture Prize

Shigeru Ban ist mit seinen Papierarchitekturen bekannt geworden – Gebäude, die mit Hohlrundstützen aus verleimtem Papier gebaut sind. In Kombination mit Holz entstehen sehr leichte Kon­struktionen, die vollständig demontierbar, vorgefertigt, notfalls auf dem Kompost zu entsorgen, haltbar oder CO2-neutral sind.

In verschiedenen Testserien hat Ban die Belastbarkeit des Materials geprüft und verbessert sowie die Widerstandsfähigkeit gegen eindringende Feuchtigkeit durch verschiedene Lackierungen erprobt.

Bans Faszination für Papier begann Mitte der 1980er Jahre. Für eine Ausstellung in New York wechselte er für die Konstruktion der Wände aus Kostengründen von Holz zu Kartonröhren. Die Belastbarkeit und Vielseitigkeit des Materials begeisterte ihn. Zudem war Papier überall verfügbar und sehr günstig.

Paper Refugee Shelters for Rwanda, 1999, Byumba Refugee Camp, Rwanda ©Shigeru Ban Architects
Paper Refugee Shelters for Rwanda, 1999, Byumba Refugee Camp, Rwanda ©Shigeru Ban Architects

Bauten für Krisengebiete
Es ist die geradezu kreative Verwendung unkonventioneller Materialien bei vielen Hilfsaktionen in Krisengebieten, die Shigeru Bans Arbeiten auszeichnet, begründet die Pritzker-Stiftung ihre Entscheidung.

Seine humanitäre Arbeit begann 1994, ausgelöst durch den Ruanda-Konflikt, als zwei Millionen Menschen auf der Flucht und somit obdachlos waren. Zu der Zeit entwickelte Ban die Papierrohrhäuser und stellte sie dem Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen vor. Es folgten Arbeiten für Notunterkünfte in Haiti, auf den Philippinen und in Japan nach dem Tohoko-Erdbeben im Jahr 2011.  Er verwendete Materialien wie Bambus, Sperrholz, Textilien oder Stroh.

Seine Motivation für die temporären Bauten in Krisengebieten habe mit dem falschen Berufsverständnis der Architekten zu tun, erklärte Ban 2013 bei einem Vortrag in Tokio.

Shigeru Ban - Curtain-Wall-House ©Foto: Hiroyuki Hirai
Shigeru Ban - Curtain-Wall-House ©Foto: Hiroyuki Hirai

Naked House, 2000, Saitama, Japan ©Hiroyuki Hirai
Naked House, 2000, Saitama, Japan ©Hiroyuki Hirai

„Menschen sterben nicht wegen Erdbeben, sie sterben wegen einstürzenden Gebäuden. Oder werden obdachlos. Und Gebäude liegen in der Verantwortung der Architekten. Aber wenn es darum geht, temporäre Unterkünfte für diese Menschen zu suchen, arbeiten keine Architekten mit, weil wir zu beschäftigt sind, für privilegierte Personen zu arbeiten“, so Shigeru Ban.

Seine Gebäude basieren auf den unterschiedlichsten Konzepten. Das zeigen Projekte wie das „Naked House“, das „Curtain Wall House“ oder der japanische Pavillon für die Expo in Hannover.

Wände aus transparentem Kunststoff, Vorhängen und Papier
Die Außenhaut des „Naked House“ in Saitama, Japan, besteht aus transparentem Kunststoff. Das langgestreckte Wohnhaus umfasst nur einen einzigen hohen Raum, in dem vier mobile Raumelemente platziert sind.

Das „Curtain Wall House“ in Tokio hat Außenwände, die teilweise nur aus einem Vorhang bestehen. Die Räume können dadurch nach außen hin geöffnet oder geschlossen werden, geben Einblicke frei oder verformen sich gar, wenn der Wind die Vorhänge bauscht.
Der japanische Expo-Pavillon besteht überwiegend aus Papier: Die Gitterschale der Haupthalle ist aus verschnürten Pappröhren konstruiert, die Giebelseiten aus seilverspannten Kartonwabengittern und die Dachhaut aus einer brand- und wasserdichten Papiermembran. Shigeru Ban errichtete den Pavillon in Zusammenarbeit mit Frei Otto.

Centre Pompidou-Metz, 2010, Frankreich ©Didier Boy de la Tour

Centre Pompidou-Metz, 2010, Frankreich ©Didier Boy de la Tour
Centre Pompidou-Metz, 2010, Frankreich ©Didier Boy de la Tour (2)

Holzkonstruktion für Zürcher Medienhaus
Im vergangenen Jahr hat Ban mit einem innovativen Bürobau aus Holz für Aufsehen gesorgt. Für die Tamedia-­Mediengruppe im Zürcher Quartier Aussersihl wurden 2.000 Kubikmeter Fichtenholz aus der Steiermark verbaut. Die Holzkonstruktion kommt dabei, wie es bei der japanischen Zimmermannskunst üblich ist, ganz ohne Schrauben, Nägel und Leim aus. Die tragenden Holzelemente sind miteinander verzahnt. Wegen der hohen Brandschutzanforderungen mussten die Träger und Stützen so großzügig dimensioniert werden, dass der tragende Kern im Brandfall nicht beschädigt wird und nur die äußere Schicht verkohlt.

Centre Pompidou Metz
Mit dem Franzosen Jean de Gastines baute er 2010 das Kulturzentrum „Centre Pompidou-Metz“, ein Zentrum für alle Formen zeitgenössischer Kunst. Das wellenförmige Dach der Kunsthalle hat ihr schon eine Reihe an Spitznamen eingetragen: Auster, Muschel, Rochen, Zirkuszelt oder  umgestülptes Vogelnest wurde die Dependance des Pariser Centre Georges Pompidou schon bezeichnet. Shigeru Ban hat sich bei dem Entwurf, seinen eigenen Worten zufolge, in der Struktur von traditionellen chinesischen, aus Reisstroh geflochtenen Hüten inspirieren lassen.

Bürobau für Tamedia Mediengruppe, 2013, Zürich, Schweiz ©Didier Boy de la Tour Bürobau für Tamedia Mediengruppe, 2013, Zürich, Schweiz ©Shigeru Ban Architects Europe
Bürobau für Tamedia Mediengruppe, 2013, Zürich, Schweiz ©Bilder: Shigeru Ban Architects Europe, Didier Boy de la Tour

Firmenzentrale für Schweizer Uhrenkonzern
Zurzeit plant Ban die neue Firmenzentrale des Schweizer Uhrenkonzerns Swatch in Biel. Er hatte sich mit seinem Entwurf, der aus der Vogelperspektive an eine überdimensionale Schlangenhaut erinnert, in einem Architekturwettbewerb gegen vier internationale Konkurrenten durchgesetzt. Der Neubau besteht aus einer langgezogenen halbrunden Holzfachwerkkonstruktion.

„Sein großes Wissen über Struktur und seine Wertschätzung für Meister wie Mies van der Rohe und Frei Otto haben zur Entwicklung und Klarheit seiner Bauten beigetragen“, schreibt die Pritzker-Stiftung. „Seine eigene Architektur ist direkt und ehrlich. Sie ist nie gewöhnlich und jedes neue Projekt hat eine inspirierende Frische. Die elegante Schlichtheit und scheinbare Mühelosigkeit seiner Arbeiten sind das Ergebnis von jahrelanger Praxis und einer Liebe zur Architektur.“

Shigeru Ban sei ein unermüdlicher Architekt, dessen Werk Optimismus ausstrahle. „Wo andere unüberwindliche Herausforderungen sehen, sieht Ban einen Aufruf zum Handeln. Wo andere einen erprobten Weg wählen könnten, sieht er eine Möglichkeit zur Innovation“, so das Gremium.

Auf die Ehrung angesprochen, sagte Ban der Onlineausgabe der japanischen Tageszeitung „Asahi Shimbun“: „Ich denke, dass dies bedeutet, dass ich das, was ich bisher gemacht habe, fortsetzen soll.“

Nach Toyo Ito im vergangenen Jahr ist Shigeru Ban der siebte japanische Architekt, der die Auszeichnung erhält. Frühere Gewinner waren auch Stararchitekten wie Hans Hollein, Frank Gehry, Renzo Piano oder Oscar Niemeyer.

Am 13. Juni wird Shigeru Ban der Pritzker-Preis in Amsterdam überreicht. Die Auszeichnung ist mit 100.000 US Dollar dotiert.

Shigeru Ban ©Shigeru Ban Architects Europe
Shigeru Ban ©Shigeru Ban Architects Europe

Shigeru Ban
1957 in Tokyo geboren
1977 – 1980 studiert am Southern
California Institute of Architecture
1980 – 1984 studiert an der Cooper Union School of Architecture, wo er
1984 sein Studium mit dem Bachelor abschließt.
1982 – 1983 arbeitet er als Praktikant im Büro von Arata Isozaki
1985 Gründung seines Büros in Tokio
1995 Hochkommissar der Vereinten ­Nationen für Flüchtlinge (UNHCR),
Gründung der Nichtsstaatlichen O­rganisation (NGO) Voluntary
Architects Network (VAN)