Genozid-Gedenkstätte Erevan
Bild oben: Zizernakaberd, Genozid-Gedenkstätte auf gleichnamigem Hügel über dem Fluss Hrasdan mit Blick auf den Ararat, Heiliger Berg der Armenier, der sich auf türkischem Boden befindet, aber nur wenige Kilometer von Erevan entfernt ist. Das Genozid-Mahnmal wurde erst nach Ende des Sowjetregimes möglich, die UdSSR hatte den Völkermord an den Armeniern im Jahre 1915 offiziell verschwiegen. Das Siegerprojekt mit 12 Pylonen um die ewige Flamme und einem 44 Meter hohen Obelisken wurde von den Architekten Saschur Kalaschjan, Artur Tarkanjan und dem Künstler Hovhannes Khatschatrjan entworfen (1966-1968). Das unterirdische Museum und die Gedenkmauer mit allen Dorf- und Städtenamen, in denen Armenier massakriert worden sind, wurden in den 1990ern ergänzt und Nadelbäume für die Opfer von fast allen Nationen gepflanzt. Nicht vertreten sind die USA und die Türkei, die sich bis heute nicht zum Völkermord an den Armeniern bekannt hat.
Auf dem Weg nach Erevan
Wir haben einen langen Weg vor uns, es sind hunderte Kilometer bis zur armenischen Hauptstadt. Noch in Georgien, kurz vor der armenischen Grenze halten wir in einem alteingesessenen Restaurant in den Bergen. Je wichtiger der Gast, desto traditioneller die Tafel, betont Shota lächelnd. Die georgische Küche ist einfach, aber raffiniert. Die Vorspeisen mit frischen Kräutern und Walnüssen sind intensiv. Hier gibt es Fisch, georgische Bergforellen. Die Gäste sitzen hier getrennt, jeder Tisch befindet sich in einem anderen Seitenraum, die Türen bleiben offen, Blicke werden an der Bar ausgetauscht. Das Forellenbecken befindet sich im Eingangsbereich zwischen Bar und Eingangstüre. Vor dem Essen werden – wie überall im Kaukasus – frische Kräuter serviert, die hier fast das ganze Jahr wachsen und stets frisch geerntet werden: Koriander, Petersilie, Pfefferminze und Jungzwiebel. Die Forelle in Granatapfelsauce schmeckt dann himmlisch. Essen wird hier zelebriert und dauert meist lange. Irgendwann fahren wir weiter, den restlichen Tag verbringen wir ohnedies im Auto. Wir hören armenische und georgische, kaukasische – durch und durch orientalische Musik. Das beflügelt mich, ich schieße hunderte Fotos von der vorbeiziehenden Landschaft. Spätnachts erreichen wir die armenische Hauptstadt, eine der ältesten Städte, die es gibt.
Ninotsminda, Grenzübergang von Georgien nach Armenien, auf dem Weg nach Erevan
Erevan bedeutet „sichtbar sein, gesehen werden“. Hier, in der armenischen Provinz Kotaik, soll das erste trockene Land nach der Sintflut von Noah erblickt worden sein. Wahrscheinlicher ist, dass sich der Name vom urartäischen „Erebuni“ ableitet. Schon im 8. Jhdt.v.Chr. wurde hier eine Befestigungsanlage errichtet, um so die fruchtbare Ebene am Araks bzw. Araxes zu überwachen, früh war Erevan eine wichtige Verwaltungs- und Residenzstadt. Der Versuch der Araber, die Stadt zu belagern, misslingt, schon seit dem 7. Jhdt.n.Chr. breitet sich die Stadt über der Schlucht des Hrasdan aus. Erevan erlebt ebenfalls eine Blütezeit unter den Bagratiden, die Grenzlage zwischen dem persischen und osmanischen Reich ist strategisch wichtig. 1554 wird die Bevölkerung Erevans erstmals von Osmanen massakriert, Perser drängen diese genau 50 Jahre später zurück, brennen die Stadt aber vollständig nieder. Die Bewohner werden in den Iran verschleppt. Über hundert Jahre später (1735) wird Erevan Hauptstadt des ostarmenischen Khanats und zu einer persisch-orientalischen Stadt. Die Sirdar, das persische Herrschergeschlecht, errichten einen prunkvollen Palast, der dem in Isfahan um nichts nachstehen sollte. 1827 erobern russische Truppen im Russisch-Persischen Krieg die Stadt, die nur 11.000 Einwohner zählt. Um 1900 ist Erevan eine geteilte Stadt: im Westen das armenische Viertel mit seinen Kirchen, im Osten das „Tartarenviertel“ mit den Moscheen. 1915–1920 werden unzählige Flüchtlinge aufgenommen, die den Genozid überleben. Die Stadt wird weiter von Türken angegriffen.
©ETH Zürich
Ab 1920 beginnt die sowjetrussische Herrschaft, bis heute sind russische Soldaten nicht aus dem Stadtbild wegzudenken. Fast alle sprechen hier Russisch. Die Stadt wird ausgebaut, nach Stalins Tod im Jahre 1953 beginnt ein zweiter kultureller und wirtschaftlicher Aufschwung. Viele Armenier kehren aus dem Nahen Osten, den USA oder Westeuropa zurück, womit sie Erevan in eine Industriemetropole verwandeln. Heute hat Erevan die Millionengrenze (1,2 Mio. Einwohner) überschritten. Nach den ersten Eindrücken von dieser Stadt sitzen wir in der Hotelbar, Shota lauscht russischen Nachrichten, die Spannungen in der Ukraine beschäftigen hier alle. Die ersten Toten lassen niemanden kalt. Putins Reden werden aufmerksam verfolgt. Shota schaltet um auf westliche Sender. Alle wesentlichen Aussagen werden im Westen zensuriert, jede Nachricht ist manipuliert, moniert Shota. Es entbrennt eine lange Diskussion über die eskalierende Situation in der Ukraine und mögliche Auswirkungen auf den gesamten Kaukasus. Es ist schon spät. Frau Konsul ist längst in ihrem Zimmer und liest Franz Werfels Die 40 Tage des Musa Dagh, die literarische Verarbeitung des Völkermords an den Armeniern (1933). Am nächsten Morgen geht es Richtung Bergkarabach an der aserbaidschanischen Grenze. Auch dort ist die Lage angespannt.
Weihrauchgetränkte Messe in Sisian
Bergkarabach, Sisian
Von Tatew bis Goris am Bergkarabach
Wir machen uns auf Richtung Tatew im gebirgigen „schwarzen Garten“, so der eigentliche Name für den Bergkarabach, vorbei am Sevansee, mit seinem himmelblauen Wasser und seinen 28 Zuflüssen der größte Süßwassersee und einziges Wasserreservoir im Südkaukasus. Ab 1936 für große Bewässerungsmaßnahmen ausgebeutet, droht der Hochgebirgssee seit den 1980ern aus seinem ökologischen Gleichgewicht zu geraten. Sewanawank, das majestätische Kloster, thront über dem See. Verlassene Betonbunker ragen am anderen Ufer aus der weiten Landschaft. Sowjetische Störsender, erklärt Shota: „Nachrichten aus dem Westen wurden hier jahrzehntelang gefiltert.“ Die Straßen werden zunehmend schlechter, vor uns sind nur Soldaten in der offenen Laderampe eines Transporters auf dem Weg nach Bergkarabach. Ich halte sie mit einer Momentaufnahme fest. Irgendwann kommt uns ein giftgrüner Moskwitsch, das legendäre Sowjet-Auto, auf der steil ansteigenden Straße entgegen. Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan währt schon seit einem Jahrhundert, seit der Oktoberrevolution 1917 ist das Gebiet umkämpft, die Schuschi-Blutbäder an Armeniern (Massaker von Khaibalikend, 1919) bewirken, dass die Sowjetunion beide Staaten 1921 kurzerhand annektiert. Nach Ende der Sowjetunion 1991 eskaliert der Konflikt, Bergkarabach, das von Armeniern bewohnt ist, erklärt sich unabhängig. Aserbaidschan beansprucht das Gebiet weiter für sich. Die Kämpfe fordern unzählige Todesopfer, die Gedenkstätte in Sisian erinnert an die Helden von Bergkarabach. Bis heute ist jeder internationale Vermittlungsversuch gescheitert.
In allen Dörfern patrouillieren Soldaten. Über die halsbrecherische Serpentinenstraße im Bergbaugebiet Sangesur – zu 60 Prozent in Besitz der deutschen Cronimet Mining AG, größter Steuerzahler Armeniens – erreichen wir Tatew mit Blick zum schwarzen Garten, Bergkarabach.
Ein orthodoxer Priester taucht im Klosterinnenhof auf, er hat sich gut hinter seinem langen Bart versteckt. Sein observierender Blick folgt jedem unserer Schritte. Tatew ist eines der bedeutendsten Architekturdenkmäler Armeniens: Sitz des Metropolitan und Klosteruniversität, die Vardapet-Schule mit ihren Illuminatoren, und schon seit dem 9. Jahrhundert als Eremitage belegt. Schwere Kämpfe tobten hier nach der Machtübernahme der Sowjets im Jahre 1920, bis heute ist das Gebiet ein Zentrum armenischer Nationalisten. Wir verbringen eine Nacht im nahen Goris, Frösche quaken auffallend laut, und es riecht hier stark nach Benzin. Wir sind die einzigen Gäste, wohl in der ganzen Stadt. Am nächsten Morgen taucht ein Militärfahrzeug auf, zwei Soldaten stehen vor dem Hotel. Shota ist schon beim Wagen, die Soldaten starren mich an, ich gehe langsam an ihnen vorbei, sie sagen kein Wort, die Luft ist spannungsgeladen, die Frösche sind verstummt, ich sage kein Wort, sie beobachten jede Bewegung. Wir steigen schließlich wortlos in unseren Wagen und fahren zurück in die armenische Hauptstadt.
Mein ausdrücklicher Dank geht an Bruno Baumgartner, Shota Elisashvili und Erik Würger, ohne die diese Reise niemals zustande gekommen wäre