Licht an, Stadt aus!

Da bist du wieder, du schöne, besinnliche Zeit! Hallo Touristen, guten Abend Weihnachtsbeleuchtung. Schön dich wieder hängen zu sehen, ganz ehrlich, Wien hat dich vermisst.


von MAX BRUSTBAUER

Schon im Juli hab ich deine ersten Anzeichen gesehen, Gospelchor in der Votivkirche, natürlich das Original. Gelb auf schwarzem Grund auf dem Humana-Container, die Habsburgfarben‚ Schwarz und Gold, schon vor fast hundert Jahren untergegangen, funktionieren noch immer. Heut' aber in Neon, damit es sich wieder abhebt und hervorsticht in den Straßen. "Das fängt auch jedes Jahr immer früher an", hab' ich vor einiger Zeit schon beim Eintreten in den Supermarkt des Vertrauens aufgeschnappt.

Du süße Gewohnheit, auf dich ist Verlass.

Aber, Schokoschirmchen im Oktober sind schon zu spät, weil dann die Karotten von Ostern vielleicht schon ihr Haltbarkeitsdatum überschritten hätten. Drama pur an der Kasse. Kindergeschrei und Elternaugen, aneinander vorbei und die Dritten kriegen es ab. Deshalb: Sonderangebot für alle, gleich im September! Bitte nur fein verpackt, ein bisschen Nachhaltigkeit muss sein. Besinnung auf die Besinnlichkeit! Weil, eben jedes Jahr fängt die Weihnachtsandacht früher an und das seit zwanzig Jahren. Mensch, ist das früh! Wo kommen wir denn sonst da hin, so überhaupt und generell woher?
Hat sich was verändert? Ja, nein, vielleicht, ich weiß es doch auch nicht. Leb' hier und bin hier, doch schon alles mal gewesen und werd's noch gewesen sein. Wien ist nicht mehr Blues, wie in der 90er Donaustadt, auch nicht wie Schrammel oder Strauss, musste sich selbst neu erfinden. Tat es dann auch, also irgendwie. Der Kommissar Rex war groß, 47 Länder haben gestrahlt, wie der Roth'sche Trotta in der Gruft. Soho, mein Kaiser, Wien ist jetzt London, kennen wir schon, Ghetto eh auch. Gab's da nicht mal eine Serie drüber? Nur im TV, da verfolgen wir alle die Realität, die war aber nicht lang auf Sendung, glaub' ich. Angeblich tat sie zu sehr weh, den Menschen, der Intelligenz, den Stereotypen, schade, so ungerecht die Wahrheit. Und eigentlich, ja, doch, ein bisschen, also, wenn ich's denn sagen müsst, na gut, dann sag ich's: Wien ist dann typisch da wieder, wie immer, weil Wien ist Weihnachtsbeleuchtung, weil jede Stadt sie hat, kann sich Wien der Erleuchtung nicht erwehren. Ehrlich, wir probieren es doch alle, hilft nur halt leider nichts. Dann aber doch lieber immer früher. Normalerweise geht die Welt mal unter, komm' nach Wien, dort passiert alles fünfzig Jahre später. Danke, Herr Mahler, du "Einahgschmeckta" (Anm.: Zugereister, wie wir alle), nur ein echter Wiener versteht dieses Wien. Naja, er halt, in Böhmen geboren. Stopp, wer der echte Wiener ist, sagt wer?

Also, wir sind wir und wir brauchen das bisschen Glimmer, so am Kohlmarkt, einen goldenen Dauerregen.

Lichtsmog, was ist das?! Auf alle Fälle, mir egal, du weinerliche Weihnachtszeit, willkommen in meiner Stadt. Mit dir hast du die Rückblicke gebracht.

Überschwemmungen, wo anders, aber schon schlimm, nicht wahr, diese vielen Katastrophen, die armen Menschen. Bei uns ist auch gar nichts los. Aber das dafür das ganze Jahr über, bestimmt.

Das alles, endlich, erscheint jetzt also in goldenen, weißen und in der Josefstadt sogar blauen LEDs, wo gäb's denn sowas heut noch, 60 Watt Glühbirnen. Pfui Teufel, wir wollen zurück, was wir in den Retroperspektiven nicht durchschauen, sammeln wir uns also zur Andacht. Wieder, hoch der Nachhaltigkeit! Liegt es an den Lichtern oder nur am Licht, das die Straßen schon ab halb fünf Uhr am Nachmittag vom Nebelgrau des Tages erlöst? Zum Glück können wir den nicht in der Nacht sehen. Ha, also Vorteil, nicht bedacht, der Nebel umschmiegt dann wieder so schön diese Lichtlein, passt hier viel besser dazu, als am Tag der Stadt als Kleid. Zum Dahinschmelzen, so warm wird einer/m jeder/m ums Herzlein, dass wir uns alle am liebsten selbstumarmen möchten.
Bei *querstadt wien* haben wir unsere Mitbewohner bei den Adventszeitinterviews, war immer auch so eine kleine Andacht, direkt auf den Rückblick angesprochen, vielleicht liegt's wirklich an der Jahreszeit. Wieso nimmt sich nicht mal ein Wissenschaftler dieser Frage an, die Hypothese geht auf's Haus. Eine Referenz wäre aber nett, Sie wissen schon, zwecks retro und Verweis. Frau Knöbl-Kerschbaumer also, unbekannt alt und von Beruf her Pensionistin, wurde schon in Margareten geboren. Schön muss das damals gewesen sein, angeblich hat's nicht mal Radfahrer in der Stadt gegeben, nicht wahr? Das Viertel hieß auch noch nicht Klein-Anatolien, gut, lag vielleicht daran, dass Frau Knöbl-Kerschbaumer noch ein Fräulein oder Mäderl war, wer weiß das schon. Auf alle Fälle, erster Beleg für "Früher war alles besser", gefallen tut's nicht mehr so, eh kloa, aber weil Advent ist: "Mir tun's ja nix." Schön und zum Glück. Diese Ausländer übrigens, sitzen auch im Park, da ist dann "viel Lärm im Sommer", Frechheit, Moscheen wurden auch in Wien gebaut, wie dreist, aber endlich wieder die der Zeit entsprechende Stimmung: "Warum denn nicht, ich bin ja keine Rassistin." Kurve gekratzt, das versöhnt, nur vielleicht nicht alle. Toleranz versus Akzeptanz, schlimmer nur wär' Ignoranz. In der Inneren Stadt, noch viel schlimmer. Für Frau Haag, quasi eine selbsternannte Allrounderin, ist ihr Bezirk "eine schöne, harmlose Welt, ohne Gewalt, ohne Verbrechen, richtig beschützt", ... Moment, echt jetzt? ... "von der Kindheit her!" Ahhh, jetzt stimmt's wieder. Die Kotzstraßen, die die Jugendlichen hinterlassen und die Bettler, das ist für sie unschön und unangenehm, weil, "man kommt damit in Berührung, aber wo sollen sie Geldbetteln? Dort, wo reiche Leute sind und das ist hier möglich." Zwar auch noch keine Ignoranz, aber ich mach kurz Andacht in mir drin.
Pause.
Einen Versuch noch, ein letzter, ich brauch' jetzt etwas Aufheiterndes. Muss jetzt aber kein Glühwein oder Punsch sein. Eher was für's Wiener Herz. Was sagt denn einer von den Einahgschmecktn, die wir alle am besten nicht einah glassn hätten? Wäre uns viel erspart geblieben, so ohne Mahler, ganz bestimmt, ohne die Hörbiger-Brüder und wahrscheinlich auch ohne Robert del Picchia. Ein Parlamentarier in Paris, der die Auslandsfranzosen vertritt, also ein Ausländer, der andere Ausländer vertritt und der in Wien lebt, klingt wie ein Weihnachtsmärchen.
Also, er lebt zwei Tage pro Woche in Paris, den Rest in Wien und "immer, jedes Mal, wenn wir von Paris zurückkommen, sagen wir, endlich sind wir in Wien." Nein, er sagt, dass er hier in der Stadt drinnen, ja, Teil davon ist, von uns etwa? Fühlt sich angekommen, wie jetzt? Der? Hier, wirklich? Was erlaubt der sich eigentlich, es besser zu wissen, wie wo wir selbst? Und leuchtet uns dann auch noch tief, von innen rein, bis dahin, wo der Dritte Mann schon war: "Dem typischen Wiener ist ES wurscht, er hat Zeit für sein Gulasch, hat ein Stammlokal. Der weiß, was er will, kann gut leben, arbeiten tut er auch, aber er hat seinen Wiener Schmäh!" Schon schlimm, wenn ein Zuagroaster das sagen muss. Dass wir gerne grantln, erkennt er auch noch. So grau wie der Nebel will man werden, kein Geheimnis können wir bewahren, Frechheit.
Was bleibt also, so am Ende des Jahres, wenn wir das Licht über unseren Köpfen nur noch künstlich befeuern können? Vielleicht, weil keine Stadt sich gerne so gar nicht verändern möcht wie Wien? Erkennen wir das nicht jedes Jahr auf's Neue nicht wieder? Jetzt, erst im richtigen Licht, dieser ach so stillen unstillen Zeit, wenn das Leben auf den Straßen pulsiert, wie das Wasser in der Hochquellleitung und das Donnern der Geldkassen, das das Klacken des Riesenrads zu unterbrechen versucht. Wir sind jetzt also besinnlich, ein wenig andächtig, vielleicht sogar versöhnlich, weil, das einzige, was uns gerade wirklich stört, ist die Adventsbeleuchtung ab der zweiten Woche. Dann leben wir wieder im Stress der Weihnachtsstadt, einer anderen, nicht der unseren, weil unsere kann das doch nicht sein. Wir wüssten es ja besser, wenn wir uns nur fragen würden. Bloß, ein bisschen Ehrlichkeit würd' uns nicht weh tun. Denk' schon heut an den Jänner, so ab dem 10., dann ist wieder alles vorbei, dauert nicht mehr lang bis dahin, zum Glück, kaum zu erwarten. Nur dann, ja, dann sind die Lichter wieder weg. In welchem Kellerabteil die wohl liegen, wo sind sie bloß hin? Wo nur? Verdammt, irgendwie haben sie ja doch unsere Stimmung, wenn schon nicht bei allen erheitert, dann doch sicher bei jeder und jedem bewegt. Nur zugeben würde das wieder niemand, weil, wenn doch, wir kennen die Antwort, aber es liest sich so schön - dann wären wir nicht in Wien.