Ideenlabor gegen Trägheit

Prototyp Freizeitbereich für Raumstation NASA ©David Nixon

Ein Gespräch mit Architekt David Nixon

Jede Weltraummission ist ein extremes Unterfangen. In jeder Hinsicht, deshalb werden dort neue Technologien getestet.

Von DAVID PASEK

Die Raumfahrt entwickelte sich aus einer langen Verkettung von Versuch und Irrtum, einer Reihe technischer Misserfolge, die einmal perfektioniert schließlich zu neuen bahnbrechenden Entwicklungen führten. Kaum, dass die ersten riskanten Missionen geglückt waren und die ersten Lebewesen in den Orbit katapultiert wurden, waren die ersten Weltraumpioniere in winzigen Kapseln - eher für Stunden als für Tage - im Weltraum. Ein höchst riskantes Unternehmen. Diese Phase kam noch ohne Architekten aus. Doch gegen Ende der 1960er Jahre, als es aber darum ging, die Aufenthalte der Crews im Weltraum auszubauen und Raumkapseln schon als Habitate bezeichnet werden konnten, schien es an der Zeit, Architekten für das Rauminnere zu engagieren. Bei ernsthafter Reflexion darüber, was Menschen benötigen, um auf engstem Raum unter höchster Anstrengung im Zustand der Mikrogravität über einen längeren Zeitraum hinweg arbeiten und leben zu können, wird der Architekt oder die Architektin vor herausfordernde Aufgaben gestellt, vor allem, wenn die benötigten Test-, Infra- und Entwicklungsstrukturen auf der Erde hinzu gezählt werden.

Future Systems von Jan Kaplicky und David Nixon

Ende der 1970er gründeten die Architekten Jan Kaplicky und David Nixon in London das Architekturbüro Future Systemsund setzten Hightech der Architektur um, indem sie den Ansatz neuester Technologien bis in das kleinste Detail durchdachten. Sie definierten sich als Ideenlabor für Technologietransfer als radikaler Kontrapunkt wider die Trägheit in der Architektur.

Die ersten Projekte, die Titel wie Cockpit und Cabine tragen, zeichneten die beiden noch ohne jeden Auftrag. Es handelte sich um verschiedenartige Kapseln für den Aufenthalt abseits und jenseits jeder Zivilisation, die sich technisch an der Bauart von Autos oder Flugzeugen orientieren.

Anfang der 1980er zog David Nixon nach Kalifornien, um am Southern California Institute of Architecture (SCI-Arc) an der University of California in Los Angeles Architektur zu unterrichten, wo er eher zufällig mit der NASA in Kontakt kam. Future Systemswar infolge das erste, nicht in den USA ansässige Architekturbüro, das Forschungsaufträge von der NASA erhielt.

Ideenlabor gegen die Trägheit ©David Nixon

Wohnzelle für Raumstation

Kaplicky und Nixon starteten noch vor der ISS mit dem Entwurf einer Wohnzelle für eine Raumstation, die bis zu sechs Astronauten private Bereiche bieten sollte. Die fächerartige Anordnung ermöglichte, dass die Wände aufeinander geklappt werden konnten, sollten sich weniger Astronauten an Bord befinden. Jedem Astronauten stand so mehr privater Raum zur Verfügung, und das Modul blieb trotz des Einbaus durchquerbar, da die Mitte des Fächers als Tunnel geplant war.

Aus der Beschäftigung mit dem Alltagsleben der Astronauten wurden ein faltbarer Tisch und eine stabilisierende Liege entwickelt, die der veränderten Haltung des menschlichen Körpers im All angepasst sind. Diese Vorhaben waren bereits sehr weit entwickelt, wurden aber letztlich aus Kostengründen nicht umgesetzt. Das Frustrationspotenzial dürfte in der Weltraumarchitektur erheblich höher sein - liegt doch die Realisierungsrate auf der Erde klar um einiges höher.

Träger für Solarmodule und Laboratorien

Ein eher unauffälliges Projekt, dass die Art der Raumstationen grundlegend verändert hätte, ist auch heute unverändert interessant: Future Systems entwickelte selbstentfaltende Träger als Rückgrat für Solarmodule und Laboratorien. Der Vorteil des Ansatzes ist, dass der Bauteil beim Abflug sehr kompakt ist und sich dann im All - ohne riskante Weltraumspaziergänge - einbauen lässt. Bei der ISS jedoch kam noch eine klassischere Bauweise zum Einsatz, die vorgefertigte, voluminöse Bauteile im All zusammensetzt, was zur Folge hatte, dass diese mit großem Aufwand in den Orbit transportiert werden mussten.

Das Entwerfen zwischen London und Kalifornien gestaltete sich in diesen Jahren zunehmend komplizierter, da die einzelnen Entwurfszüge postalisch hin und her gespielt werden mussten. Im Gegensatz zu Kaplicky verlor Nixon jedes Interesse daran, sich weiter mit terrestrischen Projekten abzumühen. So gründete er sein eigenes Unternehmen in Kalifornien, das sich nur noch auf Raumfahrtarchitektur spezialisierte. Er ist davon überzeugt, dass "die ISS das erste Stück bedeutender Architektur im Weltraum" darstellt, obwohl er tief unglücklich darüber ist, dass die Besatzung ohne adäquate Aufenthaltsbereiche auskommen muss. Diese waren durchaus geplant, doch infolge der allgemeinen Kostenexplosion wurde auch dieser Bereich eingespart. Die ISS, das teuerste Unternehmen, das die Menschheit je finanziert hat, faszinierte ihn aber doch so, dass er eine umfassende Publikation über den Gestaltungsprozess zusammengestellt hat. Hier stellt er auch Überlegungen an, wie die Lebensdauer der vorhandenen ISS-Module im Orbit verlängert werden kann bzw. wie diese im All erneuert werden könnten.

Astrocourier

Das Ende des Space-Shuttle Programms der NASA und die restriktive Legislative nach 9/11 veränderten die Rahmenbedingungen der gesamten Industrie: Für die verbleibenden Flüge der Fähren wurden strenge Prioritätenlisten erstellt, die alle privaten Anbieter und Initiativen ausschloss. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center verabschiedete die amerikanische Regierung Gesetze, die den Export von Raumfahrttechnologie streng regelten. Diese Beschränkungen und die irischen Steuervorteile bewegten Nixon dazu, die neue Firma Astrocourier zu gründen und Kalifornien den Rücken zu kehren. Astrocourier hat zum Ziel, Studierenden und kleinen Unternehmen den direkten Zugang zum All näher zu bringen. Dafür entwickelte David Nixon ein System, das den kostengünstigen Transport von Mikroexperimenten – in der Größe eines Mobiltelefons – ermöglichen soll. Wie die gesamte Weltraumszene wartet auch er auf die neue Generation von Raumfahrzeugen mit effizienteren Antrieben.

Konzentration auf das Wesentliche – auch auf der Erde

"Die terrestrische Architektur muss von der extraterrestrischen lernen", betont Nixon nachdrücklich, "denn Architektur konsumiert reine Produkte und hinterlässt Müll." Im Weltall müssen Ressourcen äußerst sorgsam gehandhabt werden, da jede Verschwendung dort schlicht nicht leistbar ist.

Von den Architekten fordert Nixon, sich auf die Grundbedürfnisse des Menschen zu konzentrieren: auf den Wohnbau und Einrichtungen, die in Katastrophengebieten innerhalb weniger Stunden umgesetzt werden könnten - jede formale Spielerei lehnt er entschieden ab.

In diesem Sinne versuchte er mit Kaplicky im Forschungsprojekt "Coexistence -Tower" schon Mitte der 80er Jahre die Möglichkeiten der Versorgungsautonomie zu ergründen, die auch heute ungebrochen aktuell ist.

Bilder: ©David Nixon