Vom irischen Landhaus zum Stapelhaus

Architekten bauen ungern für sich selbst. Wenn sie es aber tun, dann kommen dabei meist sehr innovative Häuser heraus. Das Besondere am Stacked House der irischen Architektin Michelle Howard ist die Ehrlichkeit, mit der das Haus von sich selbst erzählt. Eine Wand sollte dort nicht – wie bei so vielen Großprojekten üblich – aus mehreren unterschiedlichen Schichten bestehen, sondern aus einer einzigen mit Ziegeln von Wienerberger. Dadurch offenbart das Haus eine ganz eigene erzählerische Tiefe.

Von Jennifer Lynn Karsten

Stacked House

Berlin. "Wenn ich in Berlin bin, denke ich an Wien, wenn ich in Wien bin, denke ich an Berlin", so Architektin Michelle Howard, die an der Akademie der Bildenden Künste Wien lehrt. Siehatte eigentlich nicht vor, vom Berliner Bezirk Prenzlauer Berg nach Weißensee zu ziehen. Dort ist es eher ruhig, die Häuser sind nicht mehr sechs Geschoße hoch, sondern grade mal vier.Es gibt viele kleine Werkstätten. Oft wohnen die Besitzer direkt darüber.

Durch eine Baustelle, die sie dort betreute, wurde sie auf eine aufgelassene Seifenfabrik aufmerksam. Diese Fabrik erinnerte sie an ein typisch irisches Haus. Ein glückliches Zusammenspiel von Zufällen ermöglichte es ihr, das Grundstück zu erwerben. Erst wollte sie das Gebäude sanieren und umbauen. Dabei stellte sich heraus, dass die Bausubstanz durch in der Fabrik verwendete Chemikalien zu stark beschädigt war. Daraufhin verhandelte sie zwei Jahre lang mit dem Bauamt. Ihr Entwurf sah vor, den ursprünglichen Grundriss des Gebäudes zu bewahren, um auch den Garten erhalten zu können. Das neue Zweifamilienhaus sollte so wie die angrenzenden Gebäude aus vier Geschoßen bestehen.Das Bauamt verlangte allerdings, dass die vorhandenen Obstbäume – diese stehen nicht unter Baumschutz –gefällt und dort zwei Pavillons errichten würden, um die alte Gebäudehöhe von nur zwei Stockwerken nicht zu verändern.Howard setzte sich schließlich durch. Während die Fabrik abgerissen wurde, sammelte sie alle Materialien, die sie finden konnte, darunter Steine, Ziegel, Bretter, Grabsteine, Möbel, sogar alte Trabantdächer, und schichtete sie zu hohen Stapeln auf.

Stapel haben viel mit dem neuen Zweifamilienhaus zu tun: Es besteht aus aufgestapelten Ziegeln. Beide Häuser, auch die einzelnen Räume, sind auf- und ineinander gestapelt. Es ist durch und durch ein Stapelhaus, die Architektin gab ihm den Namen "Stacked House".

Raue Feinheit

Die Fassade besteht aus 36,5 cm starken Poroton-Ziegeln mit integrierter Dämmung von Wienerberger. Außen haben sie einen dünnen hellbraunen Anstrich, der abdichtet, aber atmet. Die Oberfläche der Steine ist rau. "Oft sehe ich Passanten, die unser Haus streicheln und unbedingt die Oberfläche der Ziegel fühlen wollen", sagt Howard begeistert. "So einfach kann man Neugier wecken. Das freut mich ungemein."

Innen besteht die Brandwand aus Ziegeln, die eine feinere Oberfläche, dafür aber tiefe Reliefs haben. Hier war die Farbe der Ziegel wichtig. Die rohen, orangefarbenen Ziegel sollen durch ihren warmen Farbton Behaglichkeit vermitteln und Wärme ausstrahlen. Die Ziegel weisen leichte farbliche Unterschiede auf. "Daran merkt man, dass ein Industrieprodukt, wie es der Ziegel ja ist, eigentlich doch kein Industrieprodukt ist, sondern ein Naturprodukt", erläutert die Architektin. Glatte Betonwände bilden den Kontrast zu den strukturierten Ziegelwänden. Abzeichnungen von Rost oder der Schalung wurden bewusst nicht entfernt, denn man sollte sehen, wie das Haus tatsächlich gebaut wurde. Je mehr man sich im Stacked House umsieht, desto mehr lernt man über den Bauprozess.Selbst die Wandfliesen in der Küche und in den Bädern sind nur lasiert und lassen den roten Teint der Keramik darunter erahnen.

Einen weiteren Kontrast zu den Ziegelsteinen bilden die Aluminiumfenster. Die breiten Laibungen haben gleich mehrere Funktionen: Sie verschließen die Kanten der geschnittenen Porotonblöcke auf sehr elegante Weise, und werden gleichzeitig als Sitzbänke und Regale genutzt. Vor allem aber verstärken sie durch Reflexion den Lichteinfall.

Ein irisches Country Haus

Das Raumkonzept orientiert sich an dem eines irischen Landhauses. Man tritt durch die Tür und ist unmittelbar im Herzen des Hauses. Je höher man hinaufsteigt, desto privater wird es. Das Erdgeschoß besteht aus einem großzügigen Wohn- und Esszimmer mit einer Höhe von 3,20 Metern. Auf den folgenden drei Etagen befinden sich Schlaf- und Gästezimmer sowie ein Atelier.

Die Schlafzimmer haben jeweils einen kleinen Erker. Während der eine den Blick stadtauswärts lenkt, öffnet der andere den Blick zur Stadt. "Wenn uns die Sehnsucht nach Urbanität packt", scherzt die Architektin, "nein, inzwischen sind wir zu richtigen Vorstadtmenschen geworden."

Hier sind die Ziegelwände auch mal in einem kräftigen Grasgrün gestrichen. Obwohl das Haus schon im Februar bezogen wurde, nehmen manche Dinge erst nach und nach Gestalt an. Im Sommer stellte die Sonneneinstrahlung besonders in den Schlafzimmern ein zunehmendes Problem dar.Daraufhin nähte die Architektin eigens Vorhänge, die auf einer Seite eine aluminiumartige High-Tech-Beschichtung haben. Dadurch verdunkeln die Vorhänge den Raum nicht nur, sondern wirken gleichzeitig der Hitze entgegen. "Man kann mit ganz einfachen Mitteln das Raumklima regulieren", sagt Howard. Ihr ist es wichtig, dass ein Raum selbstregulierend geplant und dabei sowenig wie möglich Technikeingesetzt wird.

Das Sammelsurium

Der Garten ist ein wichtiger Bestandteil des Hauses. Öffnet man die großen Glastüren, so hat man das Gefühl, als würde er über die Schwelle mit ins Haus eintreten. "Er ist wie ein Tier, das einfach mitkommt", lacht die Architektin.

Lange Holzbretter sind dort zu mehreren Stapeln geschichtet, ein Berg von Steinen ist aufeinander geschüttet, überall liegt oder steht etwas und dazwischen wachsen hohe Obstbäume, Gras und Pflanzen. Der Garten wirkt gleichzeitig wild und kultiviert.

Eine Tür führt vom Garten aus direkt nach vorne zum straßenseitigen Eingangsbereich. Dort sind die Außenwände, aber auch die Decke größtenteils mit Aluminium verkleidet. "Kühlschrank" nennen die Bewohner deshalb diesen Bereich, der wie ein kleiner offener Vorhof zum Haus ist.

Hier treffen zwei unterschiedliche Ziegelgenerationen aufeinander. Der Boden ist mit den alten Ziegeln der Seifenfabrik gepflastert, die Brandwand wiederum mit Ziegel von Wienerberger. Kein Stein ist wie der andere. Selbst lasiert behält er immer seine eigene Struktur.

Das Stacked House zeigt auf ungemein ästhetische Weise, wie unterschiedlich Ziegel eingesetzt und wirken können, und wie sie einem Haus einen ganz individuellen Charakter verleihen.

In Zusammenarbeit mit Wienerberger

Fotos: Wienerberger, Frank Korte, Michelle Howard