ZAC(K)!

Action concrète

      Ein Kraftakt

Sozialer Wohnbau in Frankreich gegen gesellschaftlichen Notstand

Von David Pasek

Paris. Die Franzosen suchen den Weg aus der Krise und haben so einiges vor: jährlich 500.000 neue Wohnungen, davon 120.000 Sozialwohnungen (HLM- hébergement à loyer modéré) und davon wiederum ein Fünftel für sozial besonders Bedürftige. Den tatsächlichen Bedarf deckt das aber nicht – 1,2 Millionen Anfragen sind auf den Wartelisten registriert, prekäre Wohnverhältnisse erfassen immer weitere Gesellschaftsgruppen. Obdachlosigkeit gehört in den französischen Metropolen zum vertrauten Stadtbild. Nach Erhebungen der international bekannten Fondation Abbé Pierre waren alleine im vergangenen Jahr rund 10 Millionen Franzosen mit erheblichen Wohnproblemen konfrontiert. Die Notrufnummer der Fondation ist überlastet, in 78 Prozent der vorgetragenen Fälle kann ohnedies nicht geholfen werden, weil die Ressourcen völlig ausgeschöpft sind. In Ausnahmefällen werden kostspielig Hotelzimmer angemietet. Natürlich befristet, à durée déterminée.

 

FRANKREICH SUCHT NEUE WEGE

Ein Dach über dem Kopf zu haben, ist ein Grundrecht, das für viele Menschen nicht selbstverständlich ist und zunehmend ein existenzielles Problem in der französischen Gesellschaft darstellt. Ein eigenes Ministerium ist für Wohnen zuständig: das Ministère de l´Égalité de Territoires et du Logement, dem aktuell Cécile Duflot vorsteht. Um die Rahmenbedinungen für Neubauten anzupassen, wurde schon von ihren Vorgängern unter dem Titel Plan d´actions pour l´accès au logement auf allen Ebenen reformiert und verbessert. Die Verfahren im Baurecht und in der Stadtplanung wurden vereinfacht, die Finanzierungsformen vereinheitlicht, die Mittel aufgestockt, verfügbare Bauflächen laufend erweitert und staatliche Flächen zweckgebunden an Gemeinden, Départements, günstig veräußert.

 

MIETRECHTSGESETZ NEU

Wer Paris kennt, weiß, wie unkontrolliert und hochpreisig der Immobiliensektor dort ist. Die jüngste Änderung des Mietrechts von Duflot aber lässt aufhorchen: Um die dramatische Steigerungsrate bei Neuvermietungen in den Griff zu bekommen, muss sich der Mietzins ab 2014 dem Preisniveau der Umgebung anpassen. Das ist neu, die Objekte werden nach und nach in Datenbanken erfasst. Zusätzlich werden Investitionen in Mietobjekte steuerlich begünstigt, um das Angebot am Markt zu erhöhen. Dies soll die fortschreitende Gentrifizierung der Innenstädte eindämmen, aber auch dazu beitragen, Substandard-Wohnungen langfristig aufzuwerten. Obwohl es im französischen Wohnbau ausgezeichnete Konversionsmodelle aus der Nachkriegsmoderne gibt, wie etwa die sensible und kostengünstige Metamorphose des „Tour Bois le Prêtre“ von Druot, Lacaton & Vassal in Paris, werden mit politischem Druck erstaunlich viele Wohnbauten demoliert, wie der Architekt Frédéric Druot auf der Wohnbaubiennale 2013 an der Technischen Universität Wien bedauerte.

„In Paris oder generell in Frankreich haben wir großartigen Wohnbau gesehen und wir müssen uns sehr anstrengen, diesem Niveau überhaupt gerecht werden zu können.“ Jakob Dunkl, querkraft-Architekten

 

WIENER QUERKRAFT- ARCHITEKTEN MIT WOHNBAU IN PARIS-BATIGNOLLES

Das international tätige Wiener Architekturbüro querkraft ist mit einem Wohnbauprojekt in Clichy-Batignolles dabei. Eine große Motivation für sie ist der triste Wettbewerbsalltag in Österreich: Architekten leisten in Wettbewerben eine wertvolle und zeitaufwendige Arbeit, „bringen dem Auslober einen gigantischen Mehrwert, die Preisgelder oder Aufwandsentschädigungen sind hingegen lachhaft“, so Architekt Jakob Dunkl von querkraft. Die Franzosen verfolgen eine ganz andere Strategie und wählten fünf Teams, bestehend aus je zwei Architekturbüros und einem Landschaftsplaner, die eine Wettbewerbsphase gemeinsam bestreiten und dafür auch angemessen bezahlt werden: „Man gibt für einen Teilnehmer dann so viel aus wie hierzulande für das gesamte Teilnehmerfeld“, betont Dunkl. „Der österreichische Wohnbaumarkt ist ein schwieriger. In Wien glaubt man, den radikalsten und qualitätsvollsten Wohnbau weltweit zu machen, wir zweifeln das an … in Paris oder generell in Frankreich haben wir großartigen Wohnbau gesehen und wir müssen uns sehr anstrengen, diesem Niveau überhaupt gerecht werden zu können.“ Den Wettbewerb bestritt querkraft gemeinsam mit dem französischen Büro SAM, das der deutsche Architekt Boris Schneider leitet. Das Projekt umfasst ganz verschiedene Funktionen, neben einer Ecolé maternelle, der französischen Spielart des Kindergartens und der Kinderkrippe, natürlich Wohnungen und auch kompakte Wohneinheiten für Wochenpendler. Das Vorhaben ist Teil einer ZAC, einer zone d’aménagement concertée, einem Stadtsanierungsareal und Vorzeigeprojekt, das besondere Rahmenbedienungen genießt. Großer Wert wird auf die Kommunikation gelegt und so treffen sich alle Projektbeteiligten – Stadtplaner, Investoren, Architekten und Landschaftsplaner – in regelmäßigen Abständen für bevorstehende Planungs- und Gestaltungsschritte.

Die technischen und gesetzlichen Spielregeln in der Planung sind zwischen Frankreich und dem deutschsprachigen Raum vergleichbar. Sind in Westeuropa viel engere und platzsparendere Stiegenhäuser zulässig, muss der Architekt in Frankreich darauf achten, dass kein Einblick vom öffentlichen Raum in Kinder betreuungseinrichtungen möglich ist. Spannende Zeiten in den großen französischen Städten! Aber in ländlichen Gebieten sieht das etwas anders aus. Dort werden Aufträge für Wohnbauten nicht selten direkt an Baufirmen vergeben, die Architekten als Subunternehmer mit der Vorgabe engagieren, die Errichtungskosten möglichst niedrig zu halten. Ein Ziel des französischen Wohnbaus ist es, die Eigentumsquote zu erhöhen. Der in Paris tätige Boris Schneider, SAM-Architekt, räumt ein, dass mit der Perspektive einer Privatisierung die Erhaltungs- und Betriebskosten eine geringere Rolle spielen als bei Genossenschaften, die Gebäude langfristig selbst vermieten. Aber auch sie ziehen sich nach und nach aus der Planungs- und Bauphase zurück und übernehmen die Gebäude oft erst schlüsselfertig von Generalunternehmern, ergänzt Architekt Schneider. Damit verliert die Architektenschaft und damit die Gesellschaft die Möglichkeit, an Planungsprozessen genau dann mitzuwirken, wenn nachhaltige, langfristige Konzepte implementiert werden müssten. Dies kann zu einer teuren Sackgasse für die Gesellschaft und zu einer Kostenfalle für Haus- und Wohnungsbesitzer werden.

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