Die Quintessenz des Architekten

Das Bürohaus von Baumschlager Eberle (BE) im Vorarlberger Lustenau ist vielleicht das inno- vativste Bauprojekt Europas und weit darüber hinaus. Die Voraussetzungen für ein Haus ohne Technik werden mit Ziegel von Wienerberger  ermöglicht. Das Gebäude kommt ohne Heizung, Lüftung und Kühlung aus, der Firmensitz der Architekten braucht wenig graue Energie. Nicht technische Umwelt soll Natur ersetzen, sondern ganz im Gegenteil sollen für den Nutzer sinnvolle Zusammenhänge hergestellt werden.

Von Doris Lippitsch

HAUS OHNE TECHNIK

Der Firmensitz der international tätigen Architektengruppe BE steht in Lustenau am Bodensee, das Grundstück wurde vor acht Jahren gekauft. Eine finanzielle Anlage und Zukunftssicherung, so der Bauherr und Architekt Dietmar Eberle. Ein Bürohaus mit zweischaligen, 76 Zentimeter starken Ziegelwänden von Wienerberger, ein Haus mit sehr hohen Wänden. Wohlproportioniert. Das Gebäude wirkt im Zusammenhang, also wie ein Organismus. Die Innen- und Außenwände sowie die Decken sind wichtig, daher die eingesetzten Baustoffe reduziert und aufeinander abgestimmt. Schnittstellen und mögliche Mängel, aber auch Ausgaben können so verringert werden. Materialien und Schnittstellen kosten, wie die unzähligen Verklebungen beim derzeitigen Bauen das veranschaulichen. Selbst über das Verhältnis zur Umwelt bestimmen zu können, das ist für Eberle ein enormes Anliegen. Sein Credo: Dinge möglichst einfach zu machen! Und das bedeutet: Nachdenken beim Planen und hohes handwerkliches Wissen sowie Können. Dazu braucht man viel Erfahrung.


ENTSPANNTES KLIMA VS. AUFGEREGTE ANGESTRENGTHEIT

Die Voraussetzungen für ein Haus ohne Technik werden mit Ziegel und hohen Räumen ermöglicht. Die Raumhöhe von bis zu 4,30 Metern ist beachtlich. Eberle dazu befragt, ob dies auch wirtschaftlich sei, setzt bei der angenehmen Lichtverteilung im Raum an, die zugunsten ökonomischer Optimierung im 20. Jahrhundert aufgegeben worden sei. Daraus resultierende Defizite wurden mit Technik kompensiert. Eberle will so bauen, dass sich das auch Menschen mit normalem Einkommen noch leisten können. Die Vergeudung öffentlicher Gelder durch Energie-Plus-Wunderhäuser hält er in diesen Dimensionen für nicht verantwortbar, denn Gebäude seien nicht für technische Systeme sondern für den Nutzer da. Schon vor 35 Jahren hat Eberle mit seinen Initiativen erste Schritte für ökologisches Bauen gesetzt, lange bevor Nachhaltigkeit gebrandet wurde: das Passivhaus mit kontrollierter Lüftung. Dabei setze er beim besseren Raumverhältnis an. Und gerade in diesem höchst sensiblen und komplexen Bereich verfügt die Firma mit dem Sitz in Lustenau über Architekten mit jahrzehntelanger Erfahrung und technischem Gespür für Machbarkeit und Effizienz.

Bürohaus Lustenau BE-Architekten © Norbert Prommer

 

HERZSTÜCK MAUERWERK AUS ZIEGEL

Die Fassade ist eine imposante monolithische Wand aus einem zweischaligen Wandaufbau, jeweils 38 Zentimeter dicke Ziegel. Sorgt die innere Schicht für Druckfestigkeit, isoliert die zweite effizient. Diese Konstruktion ist absolut schadstofffrei und langlebig. Sie balanciert die Dämm-, Speicher- und Tragqualitäten aus und schafft die Voraussetzungen für solide mineralische Putze mit gelöschtem Kalk. Dach und Decken sind aus Betonfertigteilen, die vor Ort vergossen werden. Verweist das Gebäude auf den Weg zurück zu alten Bautraditionen? Das Ergebnis ist ein angenehmes, konstantes Raumklima, ein klarer Vorteil der Ziegelbauweise. Die meisten Energieberechnungen seien problematisch, so Eberle, weil nicht dynamisch. Erfahrungsgemäß klaffen gerade bei diesem heiklen Punkt Theorie und Praxis auseinander.


EINE WOHLFÜHL-ARCHITEKTUR

Bauten aus dem 19. Jahrhundert erzielen europaweit die höchste Akzeptanz, wie die große Bereitschaft, mehr für solche Gebäude zu bezahlen, zeigt. Altbauten verfügen, so Eberle überzeugt, über deutlich besser gemessene als berechnete Energiewerte. Werden sie auch noch als angenehmer wahrgenommen, sollte man sich fragen, warum dieses Wissen nicht besser genützt wird. Anders in Lustenau. Die Räume funktionieren selbsterklärend, Raumproportion, Materialität, Licht und Verhältnismäßigkeit wie maßvolle Befensterung mit fast menschlichem Maß spielen eine entscheidende Rolle in einer Architektur, die Wohlbefinden mit Atmosphäre schafft. Verteilung und Proportion, ein Haus ohne Technik eben. Für sich selbst und seine Mitarbeiter.

 

Bürohaus Lustenau BE-Architekten © Norbert Prommer


WIE ABER LÄSST SICH WOHLBEFINDEN DEFINIEREN?

Meist spiegelt es subjektives Befinden wider und ist folglich schwer zu quantifizieren. Jedenfalls spielt dabei das Strahlungsverhalten von Dingen einen wichtigen Part. Der Baustoff Ziegel ermöglicht ausgewogene Temperaturdifferenzen zwischen Raumluft und Oberflächen sowie Oberflächen untereinander. Grundüberlegung für das energetische Konzept war, welche Spuren der Nutzer im Gebäude hinterlässt, denn davon wird die Fensterlüftung gesteuert. Das bedeutet, wann wie viele Leute sich in dem Gebäude befinden. Das kommt in herkömmlichen Berechnungen und Steuerungen nicht vor. Tiefe Fensterlaibungen verringern den Wärmeeintrag, Lüftungsflügel innen werden für optimales Raumklima über Sensoren gesteuert, können aber auch von Hand bedient werden. Im Vorfeld wurden komplexe Simulationen über Strömungsverhältnisse durchgeführt, um die exakte Form der Lüftungsöffnungen für die Steuerung zu finden. Im Winter sorgt Abwärme von Rechnern für hohen Energieeintrag, im Sommer öffnen sich die Flügel nachts und kühlen mit Zuluft. Sensoren unterstützen die Tätigkeit der Nutzer. Das ist dann schon der ganze Technikapparat, resümiert Eberle.


HAUS OHNE TECHNIK © Fotograf: Eduard Hueber HAUS OHNE TECHNIK © - Fotograf: Eduard Hueber
© Fotograf: Eduard Hueber

 

DER MENSCH, DIE WICHTIGSTE RESSOURCE

Mit der Energiewende werden Gebäude hüllen optimiert und brauchen weniger Energie. Das Postulat der Moderne, das Haus als Kraftwerk, scheint eingelöst. Was damit aber ständig steigt, ist der technische Aufwand für Wartung und laufenden Betrieb. Immer mehr Systeme müssen aufeinander abgestimmt werden, oft sind sie redundant. Die Feinjustierung zwischen Wärmedämmverbundsystem und Gebäudeautomation wird dabei immer schwieriger. Wir verlieren mehr und mehr den Kontakt zum Außenraum, stellt Eberle entschieden klar. Anders formuliert: Der Mensch beeinträchtigt die theoretische Effizienz und wird quasi zum Störfaktor für technische Systeme. Dieser Eingriff zeigt sich in der Steuerung der Energieströme. Und diese habe man im Haus ohne Technik leicht im Griff, so Eberle. Mit den Ressourcen in Lustenau – Außentemperatur, Licht, Luftqualität in der Umgebung, Fenster und Räume – könne man so umgehen, dass ihr Nutzwert langfristig besser und höher werde. Die wichtigste Ressource aber: natürlich der Mensch.

 

Ziegel ©Ziegel

Dem Traum von steuerbaren Gebäuden und Autos kann er nicht folgen. Sein Umfeld möchte er einfach selbst bestimmen können, davon ist Eberle unverändert überzeugt. In Vorarlberg soll das Gebäudekonzept mit Ziegel nun auch im sozialen Wohnbau Anwendung finden. Zwei Projekte starten schon nächstes Jahr. In Zusammenarbeit mit Wienerberger