Museo Casa Enzo Ferrari

Ferrari ©David Pasek

Gelbe Wölbung für eine

Gelbe Wölbung für eine Legende

Der Winter 1898 war hart: Modena lag unter einer dicken Schneedecke begraben. Tage vergingen, bis Alberto Ferrari es von seiner Schlosserei in der Vorstadt zum Standesamt in der Modenaer Innenstadt schaffte, um dort seinen Sohn Enzo registrieren zu lassen. Die Werkstatt, in der die Familie auch wohnte, wurde zum Spielplatz des kleinen Buben. Er sog das Handwerk förmlich in sich auf. Als die Familie schließlich ein Auto kaufte, einen Einzylinder-De-Dion Bouton, wurde in Enzo ein Feuer entfacht, das einen Fixstern am Automobilhimmel hervorbringen sollte: Heute ist Enzo Ferrari nicht nur in Italien ein Mythos.

Der Weg zur eigenen Automarke war kein geradliniger: Enzo Ferrari versuchte sich erst als Journalist, sinnierte schon über eine Karriere als Operntenor – aber der Erste Weltkrieg holte ihn jäh aus diesen Träumen. Enzo war als Soldat angehalten, Esel zu beschlagen – er überlebte den Krieg, nicht aber sein Bruder und Vater. Über Umwege wurde er nach dem Krieg Test- und Rennfahrer bei Alfa Romeo – eine Periode, die er später als eine glorreiche darstellte. Mit der Geburt seines Sohnes im Jahre 1929 hängte er den Helm an den Nagel und gründete in Modena die Società Anonima Scuderia Ferrari, einen Rennstall, der Autos, aber auch Motorräder der Mitglieder für den Rennbetrieb vorbereitete, meist Alfa Romeos.
    Als Hintergrund für sein Logo wählte Enzo Ferrari das Gelb aus dem Wappen seiner Geburtsstadt Modena. Die Legende besagt, dass ihm die Mutter des Fliegerasses Francesco Baracca sein Erkennungszeichen – das springende Pferd – nach dessen Tod als Glücksbringer anbot.
    Die Scuderia war sehr erfolgreich, infolge finanzieller Schräglage nun Alfa Romeos offizielle Rennabteilung. Bald leitete Ferrari die hausinterne Rennabteilung, die Alfa Corse. Als er aber merkte, dass es Alfa Romeo darum ging, sich sein ganzes Team einzuverleiben, kündigte er und akzeptierte die vertragliche Auflage, dass sein Name vier Jahre lang nicht im Rennsport oder in Verbindung mit Rennautos aufscheinen dürfe.


Pilgerstätte Schlosserei Ferrari


Während des Zweiten Weltkriegs florierte die Schlosserei Ferrari als Zulieferer für Piaggio und die italienische Flugzeugindustrie. Enzo überzeugte seine Mutter, die Werkstatt, sein Geburtshaus, zu verkaufen, um den Firmensitz ins nahe gelegene Maranello zu verlegen. Schon 1947 fuhr der 125S durch das Werkstor der neuen Fabrik, der erste reinrassige Ferrari, der die Basis für vieles legte, was seither nicht nur schnell, sondern auch meist rot ist.
    Ferrari, Il Commendatore, wie er gerne genannt wurde, war dank seiner Visionen, seiner unternehmerischen Fähigkeiten, seiner ausgeprägten Dickköpfigkeit und Egomanie schon zu Lebzeiten eine Legende. Seine Autos nennt Ferrari „Schöpfungen“ und seine Leidenschaft für den Motorsport beschreibt er als „eine Art Liebe, die ich fast als sinnliches, ja sexuelles Gefühl meines Unterbewusstseins bezeichnen kann“. Er verlangt seinen Piloten übermenschliche Leistungen und hohe Risikobereitschaft ab – auf Begräbnissen nicht zu weniger Piloten hingegen war er selten bis nie.
    Die verkaufte Werkstatt wurde zu einem Geheimtipp und zu einer inoffiziellen Pilgerstätte der Ferraristi – der bauliche Zustand des Hauses aber war schlecht. Was sollte mit diesem Gebäude geschehen?
    2003 wurde die Casa Natale Enzo Ferrari Foundation von der Region, der Stadt und der Handelskammer in Modena, dem Autoklub Italiens und Ferrari S.p.A. mit dem Ziel gegründet, das Leben von Enzo Ferrari zu erforschen, zu dokumentieren und in den Kontext der Automobilgeschichte Italiens zu stellen.


Jan Kaplickys Future Systems


Mit dem Bilbao-Effekt im Hinterkopf wurde ein geladener Architekturwettbewerb veranstaltet, das britische Büro des tschechischen Architekten Jan Kaplicky ging daraus siegreich hervor.
    Im Jahre 1968 verließ Kaplicky Prag – dem politischen Frühling folgte ein langer Winter. Seine Familie hatte schlechte Erfahrungen mit dem kommunistischen Regime gemacht. Er beschloss, sein Glück in London zu suchen, und fand Anschluss an die gerade beginnende Welle der High-Tech-Architektur – an Richard Rogers und Norman Foster. Kaplicky wirkte an wichtigen Bauten dieser Periode mit, Beispiele sind das Centre Georges Pompidou in Paris oder die Hong Kong Bank in Shanghai. Mit David Nixon gründete er das Büro Future Systems, das konsequent den Technologietransfer aus dem Flugzeug- und Autobau in die Architektur propagierte, der allerdings noch nicht umsetzbar war. Erst mit Amanda Levete gelang es, Projekte auch zu realisieren. Beispiele sind das Medien-Center am Lords Cricketground oder das Kaufhaus Selfridges in Birmingham, heute sind sie Architektur-Ikonen.
    Mit dem Wettbewerbssieg im Jahr 2004 war Kaplicky noch lange nicht am Ziel. Die Finanzierung des Projekts war eine Odyssee. In London wurde diese Zeit intensiv genutzt, um die Konstruktion des Gebäudes technisch in den Griff zu bekommen. Ein entscheidender Beitrag dazu kommt aus Österreich: In bewährter Future Systems-Manier fand man im Schiffsbau eine Technologie, mit der die Umsetzung des frei geformten Daches gelingen konnte. Es ist ein von Theodor Eder entwickeltes System, das aus räumlich vorgeformten und im Verbund wasserdichten Aluplanken besteht und auch farblich viel Freiheit zulässt.


Perfekte Details unter der Motorhaube


In Modena, einer Stadt, deren Kern das Prädikat Weltkulturerbe trägt, aber in ein industrielles Umfeld eingebettet ist, wird das Museum einserseits vom Respekt vor dem Werkstattgebäude getragen und andererseits von der Idee, Formen des Autobaus in den Maßstab eines Gebäudes zu übersetzen. Das prägende Element ist ein organisch gewölbtes Dach – die Motorhaube –, das an drei Seiten direkt in die Landschaft eingebunden ist und sich zum Geburtshaus hin mit einer präzise geschwungenen und nach innen geneigten Glasfassade öffnet. Ein großer Teil des Gebäudevolumens befindet sich unter der Erde, wodurch ein verträgliches Verhältnis zwischen Alt und Neu resultiert. Die beiden Bauteile stehen über der besonderen Platzsituation in einem positiven Dialog, der durch die Spiegelungen der Glasfassade und das Schattenspiel intensiv und offen ist.
    Zu dem Zeitpunkt, als die Finanzierung endlich gesichert war, verstarb Jan Kaplicky Anfang 2009 in Prag, kurz nachdem er noch seine neugeborene Tochter Johanka im Krankenhaus gesehen hatte. Die Bauherren beschlossen, das Vorhaben nun mit dem jungen Architekten Andrea Morgante auszuführen: Der langjährige Kaplicky -Mitarbeiter hat das Museum maßgeblich mitentwickelt. Die Anforderungen an die Ausstellungsgestaltung wurden erst später definiert, und so entwarf er diese mit seinem Büro shiro studio: Im Altbau sind persönliche Erinnerungsstücke in einer technisch einfachen, aber räumlich komplexen Ausstellungsstruktur zu sehen, unter anderem die berühmte Sonnenbrille, die Enzo Ferrari wegen seines Augenleidens getragen hatte, die ihm aber auch half, Menschen auf Distanz zu halten. Es gelang shiro studio auch, namhafte Hersteller zu überzeugen, gemeinsam Ausstattungsgegenstände für das Museo Casa Enzo Ferrari zu entwickeln. Perfekte Details, wie etwa Waschbecken und Türdrücker, unterstreichen das Gesamtkonzept.
    Dank des Enthusiasmus aller Beteiligten war es überhaupt erst möglich, diese Art von Gebäude in dieser Qualität und im Kostenrahmen von 18 Millionen Euro zu bauen. Als Andrea Morgante im April 2009 zur ersten Baubesprechung kam, wurde er positiv überrascht: Die Arbeiter kamen in eigens entworfenen Overalls, und in den Baucontainern hingen statt der üblichen Kalender die Visualisierungen des Museums.
    Die Ausstellung wird periodisch neu gestaltet, denn die Fahrzeuge sind Leihgaben kleiner Museen und verschiedener Sammler.
    Das Museum wurde Anfang März feierlich eröffnet. Modena hat der Legende Enzo Ferrari mit geschmückten Auslagen und Fenstern, endlosen Besucherströmen und Autokorsos ein großes Fest gewidmet…

Text: DAVID PASEK