Echoes

Berlin. In Kurt Hentschlägers audiovisueller Installation SOL wird unser offensichtlichstes Sinnesorgan zur Halluzination. Eine Momentaufnahme von der Halle am Berghain.

Von Luise Wolf 

Der übernatürlich intensive Kontrast zwischen Dunkelheit und Licht macht die Arbeit SOL zu einer transzendenten Erfahrung. Man tappt in einer unwirklichen Allschwärze durch den Raum, als wäre alles Licht aus der Welt gesogen. Dann Blitze, in gleißender Helligkeit erscheinen geometrische Figuren und Lichtfeder wie aus dem Nichts, wie Emanationen. Wenn der Raum in die Dunkelheit zurückfällt, bleiben die Formen auf der Netzhaut sichtbar. In unseren Augen – offen oder geschlossen – entfalten sie ein tiefgestaffeltes Echo. Sie brennen sich förmlich in das Sehorgan ein. Unser sonst so aufschließendes Sehen wird zur Halluzination über unsere Sinne.

Die Dunkelheit in der Installation ist so negativ, dass sie als Leere empfunden wird, als Entzug gewohnter Wahrnehmungen. Mit den ersten Schritten in dieser Welt verliert man die Orientierung in Raum und Zeit, den festen Boden unter den Füßen, das Gefühl für Zeit. Einzig ein rumorendes Dröhnen schafft hier eine gewisse Atmosphäre, ein Anwesendes. Im Licht wird der Körper gebannt. In der Dunkelheit taumelt er. Das LED-Licht der Installation leuchtet die Umgebung nicht aus, bringt nichts zur Evidenz, zur Erkenntnis, außer sich selbst und die Grenze unserer Wahrnehmung. Es ist so blendend-hell, dass wir kaum mehr sehen können und so schnell, dass es unser Auge erfasst, bevor die Pupille reagieren kann. Die Sekunden zwischen den Bildern werden zur drastischen Selbstkonfrontation. Man zieht sich in sich selbst zurück, das Körpergebäude, das als durchlässig und manipulierbar empfunden wird – an seinen Oberflächen und nicht erst im stillen Kämmerchen psychologischer Selbstreflexion.

Diese Erfahrung elektrisiert. Was zeigt mir mein offensichtlichstes Sinnesorgan, mein Fenster in die Welt? Echos vergangener Momente? Ab Oktober ist SOL im OK in Linz zu sehen.

Kurt Hentschläger: Der österreichische Künstler lebt in Chicago. Seine  raumgreifenden, immersiven exhibition records wurden in den renommiertesten Museen der Welt gezeigt, u. a. bei der Biennale Venedig, im MOMA, N.Y., Nationalen Museum für zeitgenössische Kunst Seoul sowie im MAK Wien.

Titelbild: Berghain, Berlin – World premiere of ‚SOL‘. Immersive Audiovisual Installation, kuratiert von Isabelle Meifert, CTM-Festival Berlin, Februar 2017. Ab Oktober ist ‚SOL‘ im OK in Linz zu sehen.