Von Stadtplanung, Google und Disney

Building Information Modeling, kurz BIM genannt, blitzt immer öfter als Begriff in der Bauwirtschaft auf und wird zusehends als neuer Maßstab für Planungsprozesse diskutiert und bereits von der Deutschen Bundesregierung als neue Richtlinie adaptiert. Die digitale, prozessorientierte Arbeitsmethode wurde internationalen Journalisten im Headquarter der Siemens Building Technologies (BT) in Zug bei Zürich präsentiert und mit Laborbesuchen arrondiert.

Von Doris Lippitsch

Zug, Schweiz. Building Information Modeling, prozessgesteuertes Entwerfen und Planen, soll in den nächsten Jahren die Bauwirtschaft und Stadtplanung auf den Kopf stellen und Entstehungs- sowie Erhaltungskosten eines Gebäudes reduzieren und künftig auch in der Stadtplanung angewandt werden. Die computergestützte Methodik zeigt mit dreidimensionalen Modellen die virtuelle Planungsphase vor Baubeginn. BIM verspricht, Bauen künftig schneller, sicherer, günstiger und auch umweltverträglicher zu machen. Mögliche Planungsfehler sollen so schon in der Planungsphase entdeckt und beseitigt werden können. Ja, sogar revolutionieren werde die Methodik die Bauwirtschaft, versprechen die Siemens-Experten Mario Kahlert, Leiter für Brandschutz, Rob Yates, Christian Frey und Leonhard Füsser, der neue Lösungsansätze und Produkte für Brandschutz in der Bauwirtschaft vorstellig machte. Die neue Kampagne setzt auf große Emotionen. We all begin our lives in a perfect place, ist vor dem Hintergrund ergreifender Ultraschallbilder von Ungeborenen zu lesen. Der Mutterleib als der perfekt geschützte Ort mit maximalem Schutz, so das Credo der taufrischen Kampagne. In die Welt gestoßen, sieht die Realität dann meist anders aus.

Weithin bekannt ist, dass die Weltbevölkerung rasant wächst und folglich auch unsere Städte mit ihr. Den Vereinten Nationen zufolge werden bis zum Jahre 2050 weltweit 66 Prozent aller Menschen in Städten und urbanen Agglomerationen leben, wo sich das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben konzentriert und sich Menschen auf der Suche nach Arbeit ein besseres Leben erhoffen. Sind unsere Städte, die der industrialisierten Welt, zu alt, zu beengt, zu laut und nicht entsprechend darauf vorbereitet? Ist die nötige Infrastruktur für das Wachstum vorbereitet und wie kann diese gewährleistet werden? Wie werden unsere Ressourcen verteilt werden, wie lange werden sie reichen und wie verschwenderisch gehen wir heute mit ihnen um? Und wie sieht das eigentlich in den vielen Megastädten von Schwellen- und Entwicklungsländern aus? In Städten, die seit Jahrtausenden auf natürliche Weise gewachsen sind und die nie über eine nennenswerte Stadtplanung verfügten? Letztere werden vorerst nachrangig gehandelt, denn, die Anschaffungskosten für das Building Information Modeling liegen derweil recht hoch und sind für viele schlicht nicht leistbar.
 

SOFTWAREENTWICKLER UND BAUUNTERNEHMER ENTDECKEN DEN MARKT FÜR SICH

Längst findet BIM im Schiffbau und in der Automobilindustrie Anwendung. Softwareentwickler und Generalunternehmer haben den Markt seit rund zehn Jahren für sich entdeckt. Weltweit finden Konferenzen zum Thema statt, die USA und die EU treiben BIM derweil politisch voran und wollen diese Methodik in den kommenden Jahren für Infrastruktur- und Bauprojekte, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, als Standard einführen. Künftig sollen damit im Bestfall alle Aspekte eines Gebäudes samt Energiehaushalt, Müll und Brandschutz vollständig virtuell geplant werden, noch bevor die Konstruktion beginnt.


„Wir brauchen BIM, damit wir mit den kommenden
Herausforderungen Schritt halten können.“
Wolfgang Hass, Programm-Manager BIM-Technologies, Siemens



Mit den Daten sollen auch Betrieb und Wartung über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes geplant werden. Konkrete Bauprojekte von Siemens BT illustrieren, wie die Bauwelt mit mehr als 100 Mio. weltweit verkauften Detektoren und neuen Installationen, wie etwa Desigo CC,  aufgerüstet und sicherer gemacht werden soll. „Wir sind jetzt international so weit, dass wir beginnen, die Planung von Gebäuden gesamtheitlich zu verstehen“, kündigt Programm-Manager Wolfgang Hass von BIM-Technologies bei Siemens an. Seit Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Energieeffizienz von Gebäuden, mit intelligenten Gebäuden. „Wir brauchen BIM, damit wir mit den kommenden Herausforderungen Schritt halten können“, so das Hass-Credo. Der Fokus wird dabei auf den Altbestand in Stadtzentren gelegt. Viele Gebäude werden in Zukunft abgerissen oder modernisiert werden. BIM verspricht eine optimierte Bauzeit, um logistische Probleme, die Großbaustellen für eine Stadt bedeuten, besser in den Griff zu bekommen und damit Kosten zu senken. Für Hass lässt sich Stadtplanung, also eine Stadt gesamtheitlich zu denken, nur mit BIM bewerkstelligen. In Europa gibt es viel alte Bausubstanz und unerforschten Baugrund, aber zahlreiche Daten über Kabelkanäle oder Abwassersysteme, wird BIM-Projektleiter Hass weiter zitiert, der betont, dass diese Daten nicht nachträglich erfasst werden können. Wie unsicher ist der europäische Boden, auf dem wir uns bewegen? Weit weniger drastisch sieht das Erik Würger, der sich seit Jahrzehnten vertiefend mit dem Wiener Untergrund auseinandersetzt. Würger ist der Wiener Bodengutachter für Großbaustellen und Kenner des Wiener Untergrunds wie kaum ein anderer: „In Wien liegen relativ umfangreiche Kenntnisse über die Untergrund- und Grundwasserverhältnisse vor. Es gibt einen eigenen Baugrundkataster der Stadt Wien, in dem seit mindestens 50 Jahren alle der Stadt bekannten Bodenaufschlüsse dokumentiert und auch Privatpersonen jederzeit via Internet zugänglich sind.“
 


„In Wien liegen relativ umfangreiche Kenntnisse über die Untergrund- und Grundwasserverhältnisse vor. Es gibt einen eigenen Baugrundkataster der Stadt Wien, in dem seit mindestens 50 Jahren alle der Stadt bekannten Bodenaufschlüsse dokumentiert und auch Privatpersonen jederzeit via Internet zugänglich sind.“
Erik Würger, Bodengutachter Wien



GOOGLE UND DISNEY – DER NEUE MARKT VERHEIßT MILLIARDEN

Wie viel wollen und können Städte in BIM investieren? Beispielsweise Singapur investiert in BIM, das laut Hass als „überlebenswichtig“ für diese Stadt gilt, weil sie sich de facto nicht ausdehnen kann und über nur begrenzten Raum für Stadtentwicklung verfügt. Planung erfolgt in diesem Stadtstaat folglich äußerst effizient und Bauherren sowie Auftragnehmer sind dazu angehalten, Gebäudedaten an einen Stadtserver zu liefern. Auch der Datensammelgigant Google bekundet indes Interesse. Flux, ein Spin-Off des Innovationszentrums von Google X, hat eine Software entwickelt, mit der Architekten und Bauplaner über 3D-Modelle bautechnische Daten austauschen können. Diese Stadtmodelle können auch als Marketing-Plattform genutzt werden. Dieser neue Markt verheißt Milliarden. Auch Disney forscht mit renommierten Universitäten an der Entwicklung von BIM. „Disney könnte mit einer effizienteren Planung des komplexen Energie- oder Wassermanagements in seinen Themenparks viel Geld einsparen“, so Martin E. Fischer von der Stanford Universität. Er gilt weltweit als einer der bedeutendsten BIM-Forscher. Fischer betont die Bedeutung einer gemeinsamen Informationsbasis, den Datenaustausch zwischen den Gebäudeverwaltungen und städtischen Behörden. Auch untereinander, wiewohl er, besser als andere, genauestens um den Vertrauensfaktor Bescheid weiß. „BIM“, so Fischer, kann nur gelingen, wenn man sich austauscht und miteinander kooperiert.“
 

BIM steckt also noch in den Kinderschuhen. Dennoch wird die Methodik mehr und mehr als Werkzeug in der digitalen Stadtplanung eingesetzt. Bedeutet Building Information Modeling für Bauunternehmen, die schlüsselfertige Großprojekte umsetzen, langfristig auch, eine beträchtliche Kosten- und Arbeitserleichterung? Alar Jost ist Chef-Entwickler für BIM bei Implenia, dem führenden Bau- und Baudienstleistungsunternehmen in der Schweiz und davon überzeugt, dass künftig „noch umfassendere und komplexere Anforderungen von Auftraggebern an uns herangetragen werden. Man wird nicht nur die Art von BIM-Modell fordern, mit der man ein Gebäude klassisch planen kann, sondern ein Modell, in dem auch alle relevanten städtebau- lichen und infrastrukturellen Aspekte erfasst werden können – vom Investitions- bis zum Betriebsmodell.“ Diese Entwicklung werde schneller erfolgen als man sich das vorstellen könne, davon ist Jost überzeugt: „Diese komplexe digitale Verzahnung wird Standard werden.“ Vorangetrieben von Unternehmen und privaten Bauherren, die sich davon eine höhere Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz versprechen.


„Man wird nicht nur die Art von BIM-Modell
fordern, mit der man ein Gebäude klassisch planen kann, sondern ein Modell, in dem auch alle relevanten städtebaulichen und infrastrukturellen Aspekte erfasst werden können – vom Investitions- hin zum Betriebsmodell.“
AlarJost, BIMChef-Entwickler, Implenia, führendes SchweizerBau-und Baudienstleistungsunternehmen



Noch ist man bei BIM weit von einer gängigen Praxis entfernt, bei einem Bauprojekt bestimmte Aspekte der stadträumlichen und infrastrukturellen Umgebung simulieren zu können. Vorausgesetzt, diese digitale Verzahnung wird Standard und Generalplaner builden, modelen und legen, gemeinsam mit dem Auftraggeber, auch den künftigen Gebäudestandard unserer Städte fest: Was vermag Architektur dann noch auszurichten?

Titelbild: Building Information Modeling, BIM © Siemens AG, Building Technologies