Hunziker-Areal Zürich
Nach Urbanität sucht man heute in vielen neuen Stadtquartieren Europas vergebens, die immer mehr in die Höhe streben, aber selten wirklich Raum für urbanes Leben bieten. Das Hunziker-Areal, ein neues kleines Stadtquartier in Zürich, ist da eine große Ausnahme, wo nun nicht nur 1.400 Menschen wohnen, sondern auch 150 Arbeitsplätze entstanden sind. Denn hier baute eine Baugenossenschaft mit dem programmatischen Namen „mehr als wohnen“ wirklich Stadt.
Von Claus Käpplinger
Europas Großstädte wachsen wieder und so auch Zürich, dessen Einwohnerzahl sich von 2006 mit 347.000 bis 2016 auf 410.000 erhöhte. Allerorten entstanden hier im letzten Jahrzehnt neue Quartiere in Affoltern, Manegg, Glattpark oder Oerlikon, die trotz bemerkenswerter Architektur vor allem nur Wohnungen unterschiedlich dicht und hoch stapeln. Viel Grün, aber nur wenige urbane Räume und Funktionsmischungen gingen daraus hervor, viel Siedlungsbau, aber kaum Stadt jenseits vieler Schulbauten mit oft recht faszinierenden Freiflächen. Und obwohl viele Mietwohnungen neu gebaut wurden, ist heute bezahlbarer Wohnraum in Zürich Mangelware, wo im Neubau oft 1.000 Franken pro Zimmer zu zahlen sind. Die Stadt am Zürisee ist begehrt und teuer.
Dabei ist Zürich, ähnlich wie Wien, eine Stadt mit einer großen Tradition gemeinnützigen Wohnbaus, der hier anders als in vielen deutschen Städten kontinuierlich fortgesetzt wurde. Das 100-jährige Jubiläum des gemeinnützigen Zürcher Wohnbaus im Jahre 2007 war denn auch der Anlass für eine sehr ungewöhnliche Initiative von 50 Baugenossenschaften, die sich mit jungen Stadtaktivisten neuer Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens zusammengetan haben, um gemeinsam die neue Baugenossenschaft „mehr als wohnen“ zu gründen. Bewusst wollte man sich nicht mit einer Rückschau auf das bereits Geleistete begnügen, sondern neue Wege wagen, um Antworten auf die Frage „Wie wohnen wir morgen“ zu finden. Wozu man zwei internationale Wettbewerbe, 2007 erst einen Ideen- und dann 2009 einen Architekturwettbewerb ausschrieb, die auf einer vier Hektar großen Industriebrache, dem Hunziker-Areal in Leutschenbach,ein neues Stadtquartier entlang einer Bahntrasse zwischen Messe Zürich und dem Kehrichtheizkraftwerk hervorbrachten. Ein Quartier, das sich als eine Innovations- und Lernplattform für weit mehr als nur Wohnbau versteht.
Monotonie stellt sich im Quartier nicht ein. Jedes Haus ist hier ein überraschendes Individuum. Besonders stark dies um den zentralen Platz des Hunziker-Areals zu erkennen, wo die Architekten herausgefordert waren, repräsentative Platzfassaden zu schaffen, die sich deutlich von den anderen Hausseiten abheben. / Fotos: © Johannes Marburg
Die vielen Prozesse zu seinem Entstehen waren dabei nicht weniger bemerkenswert als die Architektur des Quartiers mit seinen 13 Häusern, 406 Wohnungen und vielen belebten Einrichtungen in den Erdgeschossen. Mit so genannten „Märkten der Ideen“ und „Echoräumen“ sammelte und diskutierte man intensiv mit den zukünftigen Bewohnern und Fachleuten die verschiedensten Aspekte des Projekts wie etwa Organisationsstrukturen, Inklusion, Nachhaltigkeit, soziale und funktionale Mischungen bis hin zu Urban Gardening oder sogar eine eigene Quartierswährung. Jüngere Gründer von neuen Baugenossenschaften wie etwa die 1994 gegründete Kraftwerk1 brachten ihre Erfahrungen in das Projekt ein, die bereits ungewöhnliche Funktionsmischungen und Wohnungszuschnitte mit sehr hohen wie tiefen Räumen realisiert hatten.
„Wir wollten zeigen, dass Dichte nicht einen Verlust bedeutet, sondern ein Gewinn sein kann.“
Andreas Hofer, Kraftwerk1
Während Hans Widmer, der 1983 unter dem Pseudonym P.M. die in viele Sprachen übersetzte Sozialutopie „bolo’bolo“ schrieb, in ganz anderen Bereichen als Vordenker
wirkte und viele Ideen einbrachte, wie Nachbarschaft über die Architektur hinaus gefördert werden kann.„Allmendräume“ für Feste und Treffen, eine Tauschhalle, ein Gästehaus mit 20 Zimmern sowie viele gemeinschaftliche Waschküchen und Gärten, aber auch ein Asyl-Restaurant und eine eigene Internetplattform der Bewohner sind nur einzelne Bausteine, die aus den Diskussionsprozessen hervorgingen.
Restaurant und Sportplatz / Fotos: © Johannes Marburg
Nachbarschaft ist hier nun ganz alltäglich erfahrbar, wo die Bewohner sich problemlos Werkzeuge von ihren Nachbarn leihen oder andere Dinge regeln können wie etwa die Aufsicht über ein krankes Kind. Obwohl das letzte Haus erst im Mai 2015 bezogen worden ist, haben die Bewohner des Hunziker-Areals mit „Meh als Gmües“ sogar schon eine Gemüsegenossenschaft bei Affoltern gegründet, um ökologisches und faires Gemüse gemeinschaftlich anzubauen und zu verbreiten. Ganz programmatisch bezeichnen sich seine Genossenschaftler als „Prosumenten“, also als Produzenten und Konsumenten.
Forsetzung im nächsten Artikel: "Cluster House Zürich"