Fernmeldebunker mit erotischer Ausstrahlung

Berlin entwickelt sich immer mehr zu einem internationalen Hotspot für private, aber öffentlich zugängliche Kunstsammlungen, die in alten Fabrikanlagen, Tankstellen oder Bunkern neue Formen der Präsentation von Kunst an unverwechselbaren Orten wagen. Den Anfang machte 1997 die Sammlung von Erika und Rolf Hoffmann in ihrer luftigen Wohngalerie in den Sophie-Gips-Höfen. Die erst diesen Oktober eröffnete Feuerle Collection wagt nun dagegen ein Crossover klassischer Asiatica mit zeitgenössischer Kunst in einem exquisit illuminierten Weltkriegsbunker.

Von Claus Käpplinger

Gottverloren und verkehrsumtost ist der Ort der jüngst eröffneten Feuerle Collection, hinter der sich immer noch jene bizarre Brachenwildnis finden lässt, die das Bild Berlins so lange nach dem Zweiten Weltkrieg prägte. Inmitten der Stadt und doch zugleich in einer ihrer Peripherien, nämlich auf dem ausgedehnten Bahngelände des ehemaligen Anhalter-Bahnhofs, fand 2012 der frühere Galerist und Kurator Desiré Feuerle genau jenen ersehnten Ort absoluter Kontemplation, den er zuvor in Istanbul, Venedig und China vergeblich für seine Kunstsammlung zu finden versucht hatte: einen 6.500 Quadratmeter großen Weltkriegsbunkerzwilling entlang des stark befahrenen Halleschen Ufers, der völlig zugewachsen selbst Einheimischen kaum bekannt war.


„Der Kontrast meiner Sammlung mit dem jungen,
etwas schroffen, aber sehr offenen Berlin war das,
was mich an diesem Standort besonders reizte.“
Desiré Feuerle



Desiré Feuerle, der heute an einem unbekannten Ort in Asien lebt, begann als junger Kunsthistoriker bei der Galeristen-Legende Michael Werner, bevor er in von 1990 bis 1998 seine eigene Galerie in Köln eröffnete. Schon damals kombinierte er dort zeitgenössische Kunst mit Asiatica, wie etwa Werke Eduardo Chillidas mit Nackenstützen der Ming- und Song-Dynastie, was den jungen Galeristen rasch international bekannt machte. Und diese Mischung zeichnet nun auch in Berlin seine Feuerle Collection aus, die über gewaltige Zeiten und Kulturräume hinweg synästhetisch erweiternde Kunsterfahrungen vermitteln will. Nicht trockene, allzu beredte Kunstwissenschaft, sondern eine höchst sensuelle, ja fast erotische Gesamtschau künstlerischer Objekte, die überaus intim mit ihrem Raum in Dialog treten.

Sammlung Feuerle – Untere Ausstellungsebene © Foto: Gilbert McCarragher
Sammlung Feuerle – Untere Ausstellungsebene / © Foto: Gilbert McCarragher
 

UNSCHEINBARER FERNMELDEBUNKER MIT PERFEKTER INSZENIERUNG

Nach einem Jahr der Suche fand er in dem britischen Minimalisten John Pawson genau jenen, auch von Asiens Kultur geprägten Architekten, der ihm für den Umbau des früheren Fernmeldebunkers der Reichsbahn ideal geeignet schien. Gemeinsam entwickelten beide ein extrem reduziertes Programm an Eingriffen in die bestehende Substanz: wenige neue Raumteilungen und eine unauffällige Verwaltungs- und Gästezimmerbox auf dem Dach des von der Straße zurückgesetzten Bunkervolumens.

Oder wie es John Pawson ausdrückt: „Von Anfang an, als ich diesen Ort das erste Mal besichtigte, und eine viszerale Präsenz von Masse wahrnahm, wusste ich, dass ich daran möglichst wenig ändern wollte. Es hätte sich niemals angemessen angefühlt, sich hier auf die Gestaltung makelloser Oberflächen zu konzentrieren. Stattdessen war es ein langsamer, wohlüberlegter Prozess – eine Reihe subtiler Verfeinerungen und Eingriffe, die die Qualität des Raumes intensivieren.“ Unerwähnt lässt er dabei eine seiner größten Leistungen, dass es ihm in Zusammenarbeit mit dem Berliner Architekturbüro realarchitektur gelang, alle technischen Einbauten, wie Stromkabel, Entfeuchtungsanlage und Heizung unsichtbar in den Bunker zu integrieren.


„Von Anfang an, als ich diesen Ort das erste Mal besichtigte, und eine viszerale Präsenz von Masse wahrnahm, wusste ich, dass ich daran möglichst wenig ändern wollte. Es hätte sich niemals angemessen angefühlt, sich hier auf die Gestaltung makelloser Oberflächen zu konzentrieren. Stattdessen war es ein langsamer, wohlüberlegter Prozess – eine Reihe subtiler Verfeinerungen und Eingriffe, die die Qualität des Raumes intensivieren.“
Architekt John Pawson


Sammlung Feuerle – Aussenansicht © Fotos: def image ©The Feuerle Collection
Sammlung Feuerle – Aussenansicht © Fotos: def image ©The Feuerle Collection
 

Was also geschah mit dem Bunker? Welche Kunst und Raumerfahrungen werden seinen Besuchern geboten? – Zu allererst eine perfekte Inszenierung, die weit über Kunst und Architektur hinausgeht. Von dem unscheinbaren Äußeren des Bunkers, der nur an seiner Stirnseite mit einem zarten, roten Schriftzug „Feuerle Collection“ auf die neue Nutzung aufmerksam macht, geht es in eine ganz eigene, völlig zurückgezogene Unterwelt. Elegant schwarz gekleidetes Personal, Asiaten und Farbige, die in ihrem Habitus und Auftreten eher nach London oder New York als Berlin passen würden, geleiten die Besucher in einen leicht verdunkelten Warteraum mit Counter und Vorhängen und schaffen so bereits eine erste effektvolle Dislozierung zum realen Ort Berlin. Zwischen den Welten mit gedämpftem Licht werden die Besucher eingestimmt auf das, was folgen wird. Nur allmählich lernen ihre Pupillen die Dunkelheit zu lesen, wo die weitgehend unverändert erhaltenen Wände und Decken des Bunkers von früheren Bränden oder mit zarten Stalaktiten von Zeiten großer Feuchtigkeit zeugen.

Doch der Abstieg in Charons Welt führt erst einmal über eine alte Treppe ein Geschoss tiefer, zu einem Klangraum in völlige Dunkelheit gehüllt, in dem man mehrere Minuten verweilen wird, um den minimalistischen Geräuschskulpturen des amerikanischen Komponisten John Cage zu lauschen. Erst dann geht es mit unsicheren Schritten tastend an einer dunklen Glasscheibe vorbei in die erste Ausstellungsetage, einen grandios weiten, von 27 Stützen getragenen Raum, dessen beständiger Wechsel zwischen großer Dunkelheit und wenigen, auf die Objekte fokussierten Punktstrahler die Dimensionen des Raums erst nach und nach zu entdecken erlaubt.

Sammlung Feuerle 02 © Fotos: def image © The Feuerle Collection

Sammlung Feuerle 03 ©Fotos: def image ©The Feuerle Collection

Auratisch präsentiert werden die Exponate auf der unteren Ausstellungsebene, die geheimnisvoll aus der Dunkelheit des Raums hervorgehoben werden. Wo Fotografien von Nobuyoshi Araki mit antiken chinesischen Sitzbänken in Dialog treten oder sich Figuren der Khmer-Kultur nicht weniger geheimnisvoll auf den Außenseiten des eingestellten Duftraums spiegeln. / Fotos: def image ©The Feuerle Collection
 

Verschwenderisch viel Raum wird dort den Kunstwerken geschenkt, erlesenen figurativen Plastiken der Khmer-Kultur (7.–13. Jahrhundert) und kostbaren chinesischen Steinbänken aus der Han- bis zur Qing-Dynastie (200 v.Chr. –18. Jahrhundert). „Direkt in eine andere Welt führen“ wollte Feuerle die Besucher und eine fremde Welt entfaltet sich tatsächlich westlichen Besuchern ohne große Kenntnisse zu Asiens Kunst. Was auf den ersten Blick eklektisch und zusammenhanglos wirkt, ist klug durchdacht und effektvoll geplant, um die Sensualität und Wahrnehmung der Besucher für eine erweiterte Gesamtschau von Kunst zu wecken und assoziativ zu erweitern.


So steigert nun betont hartes Streiflicht die sehr sinnliche Körperlichkeit der Objekte im Raum, von Tänzerinnen, Buddhas oder den auch nur auf den ersten Blick einfachen Steinbänken, deren feinste Flächenzeichnungen hervortreten, um die „coincidentia oppositorum“ – den neuplatonischen Zusammenfall der Gegensätze – in den nur vermeintlich so unterschiedlichen Objekten zu entdecken. Alle Objekte wollen als Facetten eines alle Disziplinen übergreifenden Kunstwillens verstanden werden, als eine kosmologische Einheit in der Vielfalt der Teile.



Dafür zelebriert der Kunstsammler Desiré Feuerle ein subtiles Spiel mit Präsenzen und Abwesenheiten, Situationen und Dislozierungen, indem er bewusst Gegensätzliches verknüpft, nämlich alte asiatische Objekte unterschiedlichster Kulturräume mit zeitgenössischen Kunstwerken als auch der bizarren Präsenz des Bunkers. Vor den brutal groben, gefurchten Betonkonstruktionen der Stützen und Wände erscheinen die sanft lächelnden Khmer-Figurinen so noch entrückter, die sich mit ihren harten Schattenwürfen auf den Boden noch stärker von der physischen Präsenz des Raumes abheben ...

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Titelbild: Der Kunstsammler Désiré Feuerle vor einem Relief des britischen Künstlers Anish Kapoor auf der unteren Ausstellungsebene seiner Feuerle Collection.