Bücherspiegel


ANDRÉ HELLER 
DAS BUCH VOM SÜDEN


Andre Heller – Das Buch vom Süden ©Zsolnay Verlag

Roman

Deutsch, 335 Seiten

Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2016

ISBN 978 -3-552-05775-3

EUR 24,90 (D), 25,60 (A)
 

„Hereinspaziert, Damen und Herren, hereinspaziert! Schauen Sie, staunen Sie!“ – André Heller, Wiener Ausnahme- und Universalkünstler, neigte immer schon dazu, Menschen staunen zu machen. Ob als Radio-DJ, Sänger, Filmemacher, Zirkus-Zampano, Kreateur sonderbarer Ballonfahrten Feuerwerke oder als Gartengestalterund Wortemaler außerhalb der österreichischen Norm.

Wer war Andre Heller?fragte er in einem Film 1972 (den ihm der Gottseibeiuns aller damaligen Linken im Lande, ORF-General Gerd Bacher, ermöglichte). Wer also ist Heller, der eben mit seinem Wundergarten Anima in Marokko Staunen macht?

Sein Roman ist – für mich als Zeitgenossen – eine wunderbare Sprachreise in eine im Vergehen befindliche Welt. Ein Wien, das es (fast) nicht mehr gibt, ein „Süden“ als Projektionsraum für Sehnsüchte.

Julian Passauer istder Protagonist in diesem Sprachparadies (es ist bezeichnend, dass sich die österreichische Literatur-Kritik gelegentlich hämisch bis abfällig äußert, deutsche hingegen mit zurückhaltender Bewunderung für wienerisches Sprachgefühl).

Heller zeichnet einen Lebensweg („Entwicklungsroman“ scheint mir etwas hoch gegriffen) eines Menschen, den er wohl so gut kennt wie sich selbst.

Hellers Zeitgenossen werden die plastisch dargestellte Atmosphäre ihrer Jugend wohl bestätigend nachempfinden, Jüngere mögen sich dabei etwas schwerer tun. Beklemmend ist, wie Heller zwischen amüsanten Episoden Berichte aus der Hölle des Holocaust einfließen lässt. Der – neben Wien – zentrale Ort des Romans ist ein Garten im Süden, Julians Vorstellung vom Glück die baldige Auffindung des „vollkommenen Südens“. Wohl nicht ohne eigene Erfahrungen beschreibt er Passauers Verhältnis zu und dessen Umgang mit Frauen. Und wem widmete er sein Buch? Seiner schönen, wundersamen Mutter Elisabeth Heller.

Mag es auch verpönt sein, Klappentexte zu zitieren: „Ein Lobgesang auf eine Welt, die es nicht mehr gibt, und auf eine, die es geben könnte. Heller hat einen blenden Roman geschrieben und ein Lehrbuch des Lebens und der Sinne.“

Von Lothar Fischmann


 

DIE KUNST DER RICHTIGEN DISTANZ:
ARCHITEKTURKRITIK IM SPIEGEL DES WERKES DER ARCHITEKTEN VON GERKAN, MARG UND PARTNER

 

Die Kunst der richtigen Distanz ©niggli Verlag

von Michael Kuhn (Hg.), Dirk Meyhöfer (Autor), Marcus Bredt (Foto)

geb. Ausgabe, 240 Seiten

niggli Verlag 2016,

ISBN 978 3721209495

49,00 €
 

Das inzwischen international agierende Architekturbüro gmp – Gerkan, Marg und Partner – hat vor 50 Jahren als Senkrechtstarter in der deutschen Architekturszene begonnen. Im Alter vonknapp 40 Jahren konnten sie ihren ersten Flughafen eröffnen: Berlin Tegel. Seither wurden über 400 Projekte realisiert – viele große Infrastrukturprojekte, Kulturbauten, aber auch eine ganze Stadt in China.

Ein halbes Jahrhundert Architekturtätigkeit ist natürlich ein Grund zum Feiern und nachdem es schon einige Monografien zu gmp gibt, sollte die Annäherung an das Werk eben über die Architekturkritik erfolgen.

In einem einführenden Essay zeichnet Architekturjournalist Dirk Meyhöfer, der die Entwicklungsphasen der Architektur seit den 1970ern kennt, die historischen Phasen der deutschen Nachkriegsarchitektur in Beziehung zur internationalen Entwicklung nach und setzt diese mit dem Werk von gmp in Beziehung.

Diese ist für das Konzept des Buches wichtig, denn die, jeweils ein oder zwei, ausgewählten Texte zu rund 50 Projekten werden unkommentiert exakt in jener Form, in der diese auch publiziert worden sind, abgedruckt. Ergänzt wird dies jeweils um Faksimiles der originalen Publikationsseiten, einem aktuellen Foto von Marcus Bredt und ein paar Eckdaten. 

Der Leser begibt sich über die vielfältigen Architekturkritiken auf eine Entdeckungsreise durch das Werk von Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg. Dabei begegnet man einem Text von Hermann Funke zum Flughafen Tegel aus dem Jahre 1966, der sich primär der geschickten Verkehrs- und Orientierungslösung widmet oder einem Beitrag Claas Gefrois aus dem Jahre 2013 für die Deutsche Bauzeitung, der über die anstehende Sanierung auf die Qualitäten des 1976 fertig gestelltenSportforums der Universität Kiel hinweist.

Weniger, aber intensiver wäre dieses Buch noch besser gewesen: weniger Bauwerke, aber mehr verschiedene Texte und Sichtweisen hätten der Publikation gut getan. Dennoch ist es eine wertvolle Lektüre und insbesondere eine Wertschätzung der Architekturkritik.

Von David Pašek



SASCHA ROESLER (ED.)

HABITAT MAROCAIN DOCUMENTS

Sascha Roesler (ed.) – Habitat Marocain Documents  ©Park Books Zürich

Text Englisch und Französisch

102 Farbfotografien und 63 s/w Illustrationen

Paperback, 20cm x 27cm, 200 Seiten

1. Auflage 2015 Park Books Zürich

ISBN 978-3-906027-76-0

38,00 €
 

Das koloniale Nordafrika war in den späten 1940ern und frühen 1950er Jahren ein Laboratorium der modernen Architektur und Stadtplanung. Besonders Casablanca galt als Testfall für die „Stadt von Morgen“. Die autogerechte Stadt mit der ersten Tiefgarage außerhalb der Vereinigten Staaten, dem größten Schwimmbad der Welt und der ersten Massenwohnanlage für 35.000 Menschen wurde für „Französisch-Nordafrika“ geplant. Die weiße Stadt war ein weißes Blatt – und vor allem ein riesiges Experimentierfeld für junge Architekten, maßgeblich beeinflusst von Le Corbusier und seiner Vorstellung einer funktionalen Ästhetik. Finanziert vom französischen „Groupement Foncier Marocain“ begannen auch zwei junge Schweizer  –  Jean Hentsch, Spross einer einflussreichen Genfer Bankiersfamilie, und sein Studienfreund André Suder – 1953 mit der Planung eines „Habitat Marocain“, einer Siedlung für Einheimische. Von den insgesamt elf geplanten Wohnblöcken wurden nur drei realisiert. Schon kurz nach dem Einzug wurden die Wohnungen von den Bewohnern stark verändert.

Das Buch zeigt die tatsächlichen Transformationen des Bauwerks über die letzten 60 Jahre und offenbart somit ein typisches Dilemma wohlmeinender Westler, deren kulturelle Vorurteile mit den tatsächlichen Lebensgewohnheiten der Bewohner kollidieren. Beispielsweise werden horizontale Fensterbänder, die gestalterisch auf der Höhe der westlichen Zeit waren, entlarvt, und von den Bewohnern zu kleinen Löchern zugemauert, um der Hitze und der gleißenden Helligkeit zu entkommen. 

In Bild und Text zeigt das Buch Vor- und Nachleben der Anlage und macht den komplexen Forschungs-, Entwurfs-, Bau- und Wohnprozess sichtbar, der bis heute andauert. „Habitat Marocain Documents“ präsentiert ein Lehrstück über das Zusammenspiel formellen und informellen Bauens und ist ein beispielhafter Beitrag zum konstruktiven Denken einer Architektur, die sich dem baulichen Handeln von Nutzern öffnet.   

Das Buch wurde mit dem DAM Architectural Book Award 2016 ausgezeichnet.

Von Jennifer Lynn Karsten