"Das urbane Porträt von Mexico City sieht recht chaotisch aus ..."
Der mit 100.000 Euro hoch dotierte Preis des dritten internationalen Audi Urban Future Award für innovative Mobilitätslösungen wurde an die mexikanischen Datensammler um den renommierten Stadtplaner und Architekten Jose Castillo vergeben. Die Infrastruktur von Mexico City mit ihren 22 Millionen Einwohnern soll entscheidend verbessert und ausgebaut werden. QUER-Chefredakteurin Doris Lippitsch im Gespräch mit Stadtplaner Jose Castillo und Informatiker Carlos Gershenson aus Mexico City.
Herr Castillo, Mexico City ist eine Megastadt mit offiziell 22 Millionen Einwohnern, einem täglichen Verkehrskollaps, drei Stunden vom Stadtzentrum bis zum Geschäftsviertel Santa Fe … und einer immens hohen Luftverschmutzung. Schon in Ihrem Berliner Vortrag haben Sie betont: Mexico City ist eine riesige Stadt, für die bis jetzt diesbezüglich wenige Daten aufliegen. Darüber hinaus haben Sie von einer gesellschaftlichen Grundlage für eine Neuerfindung von Mobilität gesprochen. Wie sieht sie aus und wie könnte dies in Mexico City umgesetzt werden?
Jose Castillo: Im öffentlichen Verkehr sind zahlreiche Akteure involviert: die öffentliche Hand, Unternehmen, staatliche und nicht-staatliche Organisationen sowie die Bürger. Wir alle wollen die Mobilität verbessern, aber wir wissen noch nicht wie und auch nicht, in welcher Form das erfolgen kann, um die Situation auf lange Sicht zu verbessern. Wir müssen uns austauschen, mit- und untereinander kommunizieren, koordinieren und unsere Anstrengungen abstimmen, um herauszufinden, wie öffentlicher Verkehr verbessert werden kann, in allen erdenklichen Bereichen. Das ist eine Riesenaufgabe.
Wie würden Sie einem Europäer ein urbanes Porträt vom täglichen Leben in Mexiko City schildern?
Das urbane Porträt von Mexico City ist riesig, sieht recht chaotisch aus und ist jedenfalls egoistisch. Ein Großteil der Bevölkerung leidet sehr darunter, lange Transportwege zu haben, da sie weit weg von ihrer Arbeit oder Ausbildungsstätte leben. D.h., die meisten, also Millionen Menschen, leiden darunter, täglich sehr lange Wege zu haben und immens viel Zeit auf dem Weg von und zur Arbeit zu verbringen. Die Infrastruktur ist in jeder Hinsicht mehr als übersättigt: auf den Straßen, in der U-Bahn und auch in anderen öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Situation verschlechtert sich fast täglich.
Wie könnte man eine Megastadt wie Mexiko City transformieren?
Die eine allumfassende Lösung gibt es nicht, Mobilität setzt sich aus zahlreichen Faktoren zusammen. Daher müssen parallel dazu ebenso vielfältige Lösungen gefunden und abgestimmt werden. Angefangen bei der Raumnutzung, der Erfassung der Daten, bis hin zur Verdichtung und schließlich zur Anwendung sollte eine Lösung auch Verbesserungen im Verhalten der Nutzer, also jedes einzelnen, mit sich bringen und sich auch wirtschaftlich rechnen. Wie schon erwähnt, müssen alle unterschiedlichen Akteure auf eine Linie gebracht werden und gemeinsam Anstrengungen akzeptieren und leisten, um eine wesentliche Veränderung zu bewirken. Denn, wir alle sind Teil der Stadt. Lösungen können nicht von einer einzigen Quelle ausgehen, Lösungen müssen von uns allen kommen!
Nachhaltigkeit und Fortschritt – wie kann hier eine Synergie für die nahe Zukunft, aber auch langfristig erreicht werden? Gibt es dafür Beispiele?
Information, Technologie, Gesellschaft – diese Bereiche können gemeinsam eine Verbesserung in der Mobilitätsfrage erreichen. Mit einem unserer Ziele streben wir an, herauszufinden, auf welchen Wegen dies effektiv erfolgen kann.
Wie soll die Infrastruktur, wie der Verkehr verbessert werden? Welche nachhaltige Verbindung kann es zwischen öffentlichem und individuellem Verkehr geben?
Jede Stadt braucht beides, öffentlichen und individuellen Verkehr. Es ist nicht nur eine Frage der Balance, die beispielsweise durch Quoten oder Steuern erreicht werden könnte, wodurch sich überhaupt nur noch ein "gewünschter" Prozentsatz der Bevölkerung ein Auto leisten kann. Es geht darum, wie Mobilität in all ihren Facetten verbessert werden kann. Die Antwort darauf kann nicht nur sein, dass man schneller von A nach B kommt, sondern wie man sich bewegt (Preis, Bequemlichkeit und Sicherheit) und ob man grundsätzlich überhaupt dorthin kommen muss. Im Allgemeinen geht es darum, dass die Stadt unterschiedliche Möglichkeiten der Mobilität zur Auswahl stellt und nicht Beschränkungen, die sich so auswirken: "Ach, nein, an einem Freitag kann ich unmöglich in diesen Stadtteil kommen, treffen wir uns dort lieber in drei Wochen zum Mittagessen, dann sind Ferien und die Straßen nicht zu voll." ...
Übersetzung aus dem Englischen: Max Brustbauer
Fotos: Audi Urban Future Initiative