Strahlende Aussichten
Atomkraftwerken haftet der Nimbus der Ewigkeit an – Elemente Gottes werden gespaltet und setzen beispiellose Energien frei. Bei genauerer Betrachtung erkennt man aber auf Mittelstrecke eine Brückentechnologie mit ewig währenden Entsorgungsproblemen.
von DAVID PASEK
Ausstellung: Naturhistorisches Museum Wien
Gerd Ludwig: Der lange Schatten von Tschernobyl (bis 1. September 2014)
Bilder:
- Arbeiter im Reaktor #4 bei Stabilisierungsarbeiten. Trotz Schutzanzügen können diese nur in 15-Minuten-Schichten das Areal betreten.
- Der Kontrollraum von Reaktor #4 in dem der folgenschwere Fehler passierte.
© Gerd Ludwig / Institute / Edition Lammerhuber (2)
Tschernobyl – Der Reaktor in Prypjat nach dem Unfall am 26. April 1986. Die Distanz vom Reaktor zu Tschernobyl beträgt rund 18 km, zu Prypjat ca. 3 km und zu Kiew 110 km. ©Vincent Stallbaum
Weltweit sind der IAEO zufolge 438 kommerzielle Kernreaktoren aktiv, 71 neue werden errichtet, die meisten in Asien. Den weltweit größten Anteil an Atomstrom (im Stromnetz) hat Frankreich, unter den Top 10 der Rangliste befinden sich viele österreichische Nachbarn: Deutschland, Slowenien, Slowakei, Ungarn, Schweiz und Tschechien. Österreich verzichtet auf Grund einer breiten gesellschaftlichen Übereinkunft auf eigene Atomkraftwerke. Während die Schweiz den Ausstieg beschlossen hat, plant Tschechien einen weiteren Ausbau und in der Slowakei wird schon weiter ausgebaut. Die Reaktoren werden im Schnitt auf eine Betriebsdauer von 40 Jahren ausgelegt. Bislang wurden in Europa bereits 84 Reaktorblöcke stillgelegt.
Ist es also heute lediglich Routine, eine solche Anlage zu verschrotten oder ein langwieriges und sehr kostspieliges Unterfangen mit Rückständen, wofür es nirgendwo ein geeignetes Endlager gibt? Nach dem Fukushima-Schock wurde in Deutschland trotz des politischen Wechsels der Entschluss der Vor-Vorgängerregierung von SPD und Grünen bekräftigt, bis 2022 alle Kernreaktoren vom Netz zu nehmen. Damit kommt ein aufwändiger Prozess in Gang. Noch gibt es für eine Abschaltung kein zentrales Genehmigungsverfahren.
Geigerzähler – die Zahl gemessen am Reaktor. Bis heute ist Moos am meisten belastet. ©Sabrina Drechsler
Gedenkstätte Tschernobyl, nicht weit vom Reaktor entfernt ©Sabrina Drechsler
Rückbau von Atomreaktoren
Sobald die Entscheidung für den Rückbau gefällt ist, wird der Reaktor heruntergefahren. Das System ist äußerst träge, die Nachlaufzeit im Abklingbecken beträgt rund fünf Jahre, bis die Aktivität kürzerlebiger Spaltprodukte so gering ist, dass nicht mehr gekühlt werden muss. Erst dann können die Brennstäbe der Anlage entnommen und unter strengster behördlicher Aufsicht in Castorbehälter gepackt werden, die „garantiert“ für 40 Jahre dicht halten. Damit ist 99,99% des radioaktiven Materials aus einem Atomkraftwerk entfernt – und dennoch ist dies erst der Anfang. Folgen also zwei verschiedene zeitliche Ansätze für den Abbau: Eine Möglichkeit besteht darin, den strahlenbelasteten „Kontrollbereich“ für eine längere Zeit – etwa 25 bis 40 Jahre – einzuschließen und zu warten, bis die Strahlenbelastung durch den weiteren Zerfall der Teilchen so weit abgenommen hat, dass ein großer Teil der Anlage konventionell, wie jedes andere Gebäude, abgerissen und deponiert werden kann. Oder der Rückbau beginnt direkt nach der Nachlaufzeit: Große Materialmengen müssen dekontaminiert werden, und das erfahrene Betriebspersonal kann sich zu diesem Zeitpunkt mit wertvollem Wissen einbringen. So steht das Gelände einer Nachnutzung Jahrzehnte früher zur Verfügung. Meist wird diese Variante in Deutschland gewählt.
Grundschule von Prypjat ©Sabrina Drechsler
Grundschule von Prypjat ©Sabrina Drechsler
Kindergarten von Prypjat ©Sabrina Drechsler
Großes Geschäft
Das Abtragen einer Anlage ist mit dem Recycling von enormen Metallmengen ein gutes Geschäft: Hochspezialisierte und eigens zertifizierte Firmen arbeiten über einen Zeitraum von etwa 15 Jahren von außen nach innen, immer in enger Abstimmung mit der Atomaufsichtsbehörde, die jeden einzelnen Schritt frei geben muss: Betriebsanlagen, die nicht mit der Kernreaktion in Kontakt waren, können nach einer Strahlenuntersuchung abgebrochen und auf Deponien gebracht werden. Jedoch müssen alle Bereiche in Reaktornähe, in der Kontrollzone, „freigemessen“ werden, um infolge entsorgt werden zu können. Dafür müssen viele Teile dekontaminiert werden: Das bedeutet, so gereinigt werden, dass die Strahlungsleistung unter den gesetzlich festgelegten Wert fällt. Dafür gibt es eine Reihe von Möglichkeiten – vom recht simplen Abwaschen bis hin zu aufwändigen chemischen und mechanischen Methoden. Dabei hat das Personal sehr präzise und vorsichtig zu arbeiten, um sich selbst nicht zu verstrahlen.
Dieser Bereich wird in der Fachwelt auch „heiße Zelle“ genannt, ist abgeriegelt und nur über Schleusen erreichbar. Jeder Arbeitsschritt wird mit Video dokumentiert, die Strahlenbelastung des Personals wird ständig geprüft und protokolliert, denn die zulässige Lebensdosis an Strahlungen darf nicht überschritten werden.
Sporthalle der Grundschule ©Sabrina Drechsler
Sporthalle der Grundschule ©Sabrina Drechsler
Schwimmbad von Tschernobyl – Hier haben die Liquidatoren nach dem Katastropheneinsatz gebadet. Heute sind fast alle tot. ©Sabrina Drechsler
Schon im näheren Umfeld kann nicht alles gereinigt werden und soll nach etlichen Zwischenlagern als schwach strahlendes Material in das Endlager im ehemaligen Eisenbergwerk Konrad gelangen, dessen Fertigstellungstermin sich laufend verschiebt. Früher machte die DDR mit der Annahme von radioaktivem Müll gute Geschäfte – heute bieten z.B. kanadische Firmen solche Dienstleistungen an.
Die Anlage um den Kern und dieser selbst müssen unter Wasser und möglichst mit ferngesteuertem Werkzeug zerlegt und ebenfalls in Castoren gepackt werden. Dieses Material wird als hochradioaktiv eingestuft, wofür in Deutschland noch kein Endlager in Sicht ist, obwohl die EU Kommission bis 2015 einen gemeinsamen Lösungsansatz der Mitgliedsstaaten fordert. Derzeit ist in Finnland eine solche Anlage in Bau.
Das gelagerte Material sollte eine Million Jahre unter Verschluss bleiben (können). Geologen geben aber zu bedenken, dass es weltweit keine geologischen Formationen gibt, die mit Sicherheit so lange stabil bleiben. Dabei geht es um beachtliche Mengen: 12.000 Tonnen an hochradioaktivem Abfall fallen weltweit pro Jahr an, und etwa 300.000 Tonnen sind derzeit vorhanden.
Rummelplatz, der nur wenige Tage nach dem Unglück eröffnet werden sollte; niemand hat sich dort je vergnügt. ©Sabrina Drechsler
Die rückgebauten Kraftwerke sind in dieser Rechnung schon mit je 300-400 Tonnen hochstrahlendem Material berücksichtigt.
Nach dem Verursacherprinzip sollen in Deutschland die hohen Kosten für den Abbau der Reaktoren von den Betreibern getragen werden. Die Schätzungen für die Kosten des Rückbaus variieren erheblich, und die jährlich geprüften Rücklagen belaufen sich derzeit auf rund 30 Mrd. Euro. Die Betreiber versuchen gerade auf zivilrechtlichem Weg zu beweisen, dass die angeordnete Abschaltung nicht dem Grundgesetz entspricht, um für die verkürzte Laufzeit Schadenersatz von der Regierung und letztendlich dem Steuerzahler zu bekommen. Eine erste Klage gegen die dreimonatige Abschaltung von zwei Reaktoren in Biblis, die nach der Katastrophe in Fukushima verhängt wurde, war bereits erfolgreich.
Trotzdem sollen bis 2037 alle Anlagen rückgebaut sein.
Für die Stilllegung der beiden Atomkraftwerke in der ehemaligen DDR trägt die öffentliche Hand die Kosten. Das strahlende Erbe bleibt also für unzählige Generationen ungewiss.