Andere Räume - Andere Sounds

Ein Streifzug durch das Verhältnis von Raum, Regierungstechniken und Sound

von ANDRE ZOGHOLY

Lauschangriff ©Foto: blogs.taz.de schallwellen ©Foto: www.popsci.com.au
Lauschangriff; Foto: blogs.taz.de; Schallwellen. Foto: www.popsci.com.au


Im Jahr 1966 führte der französische Philosoph Michel Foucault (1926–1984) in einem Radiovortrag einen neuen Begriff ein: Heterotopien, andere Räume, die verschiedene Formen annehmen können, die wandelbar, an eine andere Zeit gebunden und nicht immer (einfach) zugänglich sind. Es geht um reale Orte im Gegensatz zu Utopien und Dystopien. Beispiele dafür sind der menschliche Körper, öffentliche Plätze, an denen beispielsweise Demonstrationen stattfinden, Parks, Wellness-Zonen, Schiffe, aber auch Gefängnisse: in sich geschlossene Räume.

Dieser Begriff beschränkte sich zumeist auf Architektur(theorie). Daniel Defert schrieb Michel Foucault in diesem Zusammenhang amüsiert: „Erinnerst du dich noch an das Telegramm, über das wir so gelacht haben, von einem Architekten, der ein ganz neues Konzept des Städtebaus zu erkennen glaubte?“ War die Beschäftigung mit Macht zentral für Foucaults Denken, so wurde die Idee der anderen Räume, der Heterotopien, bislang kaum damit verknüpft. Just die Verbindung von Raum und Sound aber kann diese als Instrumente der Macht sichtbar machen. Das ist neu und neu sind so manche Phänomene im öffentlichen Raum. Mit dem Griff in Foucaults Werkzeugkiste können an diesen Raumbegriff drei verschiedene Regierungstechniken gekoppelt werden, um die unmittelbare Funktionalität und Wirkung von Sounds in unserem Alltag aufzuspüren.

Der souveräne Platzhirsch
Das Modell der Souveränität zielt klar auf eine Herrschaft in einem (ab)geschlossenen Raum ab. Ein Souverän reagiert auf Vergehen zumeist mit Gewalt, um die verletzte Souveränität wiederherzustellen. Herrschaft manifestiert sich in ihrer extremsten Form von Gewalt mit Krieg. So verwundert es nicht, dass auch die Technologien größtenteils auf militärische Entwicklungen zurückzuführen sind. Dazu zählt auch der Einsatz akustischer Waffen. So genannte Long Range Acoustic Devices wurden nicht nur im Irak-Krieg, sondern auch gezielt gegen Demonstranten, die 2009 den G-20-Gipfel in Pittsburgh blockierten, oder auch 2011 gegen die Occupy-Wall-Street-Bewegung in New York eingesetzt. Fragen territorialer Macht gehen aber weit über die Konfrontation mit Demonstrationen als temporärer Heterotopie hinaus: Solche Schallkanonen sichern längst Grenzgebiete unter dem Label „Homeland Security“ oder werden im Kampf gegen Piratenschiffe auf offener See eingesetzt, ist doch das Schiff eine Heterotopie par excellence.

Aber auch in Parks und in U-Bahnstationen wird weltweit wiederholt gegen unerwünschte Personengruppen vorgegangen. Geschah dies früher noch mit klassischer Musik um Punks zu verdrängen, so werden nun hochfrequente Schallwellen durch Mosquito Sound Devices eingesetzt, um Personen bestimmter Altersgruppen effektiv zu verbannen. Der Einsatz von Sound hat hier zweifelsohne gewalttätigen Charakter.

Disziplin, Disziplin und nochmals Disziplin!
Das zweite Modell zielt mittels permanenter Disziplinierung darauf ab, Menschen zu normieren. Das panoptische System von Jeremy Bentham (1748–1832), das eine Überwachung vieler durch einige wenige ermöglichte, illustriert diese Regierungstechnik. Mit der Architektur des Bentham’schen Modells, beispielsweise bei Gefängnissen erfolgt Disziplinierung vor allem durch permanente visuelle Überwachung. Dieser Überwachungsmodus wurde bald um eine akustische Komponente erweitert. Jede Form der Kommunikation und Erzeugung von Geräusch wurde im Gefängnis strikt verboten und jegliches Vergehen sanktioniert. Die Verordnung von Stille als Machtinstrument ist uns allen bekannt, etwa wenn Lehrer oder Eltern lautstark Ruhe einfordern: „Ruhe ist!“

Schallkanone ©Foto: Andre Zogholy Presidio Modelo Gefängnis, Kuba ©Foto: Wikipedia
Schallkanone; Foto: Andre Zogholy. Presidio Modelo Gefängnis, Kuba; Foto: Wikipedia


Disziplinierung ist eng verbunden mit Überwachung, nicht erst seit Edward Snowdens NSA-Enthüllungen oder den Diskussionen um den „Großen Lauschangriff“. Überwachungsmethoden wurden in den letzten Jahren durch die enge Verknüpfung von visuellen und akustischen Daten enorm verfeinert. Die Analyse des Verhaltens von Menschenmengen wird zunehmend mit geographischem, visuellem und akustischem Tracking von einzelnen Individuen gekoppelt. Auf die Spitze getrieben zeigen sich diese Entwicklungen bei Großsportveranstaltungen, wie den Olympischen Spielen 2012 in London oder auch 2014 in Sotschi.

Wellness - Ein Gesundheitsimperativ schreibt sich zunehmend in die Körper ein. Erholungsräume werden temporär ­aufgesucht, um eine möglichst schnelle und intensive Regeneration vom Arbeitsleben einzuleiten. ©Foto: www.coloursofistria.com
Wellness - Ein Gesundheitsimperativ schreibt sich zunehmend in die Körper ein. Erholungsräume werden temporär ­aufgesucht, um eine möglichst schnelle und intensive Regeneration vom Arbeitsleben einzuleiten. Foto: www.coloursofistria.com


Me, Myself and I
Das dritte Modell ist die Selbst-Disziplinierung des modernen Menschen, der die Machtverhältnisse längst verinnerlicht hat und folglich erst gar nicht mehr von außen diszipliniert und überwacht werden muss. Maximierte Selbstkontrolle trifft auf dezentrale Machtverhältnisse, die gesellschaftliche Regulation ist indoktriniert.

Keine zwei Wochen nach Foucaults Radiovortrag über Heterotopien sprach er über den „utopischen Körper“. Dieser sei jener Ort, der einer realisierten Utopie am nächsten komme und im engeren Sinne eine Heterotopie darstellt. Und auch hier geht es um Technologien der Macht, wie am Beispiel Wellness verdeutlicht werden kann. Das Phänomen Wellness ist unter bestimmten Gesichtspunkten fest mit neoliberalen Ansätzen verbunden. Ein Gesundheitsimperativ schreibt sich zunehmend in die Körper ein. Erholungsräume werden temporär aufgesucht, um eine möglichst schnelle und intensive Regeneration vom Arbeitsleben einzuleiten. Es gilt: Ein Körper muss für die Arbeit fit und funktionstüchtig gehalten werden. Die Rolle von Sound ist hier nicht unbedeutend. Klanggestaltung, Sounddesign von Wellnessbereichen beabsichtigt eine möglichst angenehme Atmosphäre zu schaffen. Diese Breitband-Wellnesssounds sind gerade in verstärkten Symbiosen von Klang und Architektur auf psychische, soziale, kulturelle wie physiologische Faktoren abgestimmt. Weiter geführt wird diese Entwicklung durch die in App-Stores mittlerweile massenhafte Verfügbarkeit von Binaureal Beats, die gezielt Hirnwellen stimulieren, um etwa Schlaf, Entspannung oder Konzentration zu fördern. Der gezielte Einsatz von solchen Techniken hat eine neue Stufe erreicht. Eine solche Optimierung des Selbst bezieht die Architektur der Gesellschaft und deren Sounds direkt auf die Körper der Individuen.

Raum, Techniken des Regierens und Sounds sind in diesem Modell letzten Endes gekoppelt in einem  einzelnen Menschen anzutreffen.