Sonic Civil Warfare

Wie akustische Waffen wirken und sich repressive Technologien und Denkweisen im sozialen Leben verankern

von LUISE WOLF

Die "öffentliche Sicherheit" verlangt uns dieser Tage viel ab. Konsumentendaten optimieren die Wirtschaft und bilden zudem ein abhörtechnisches „Firewire“ gegen den allseits drohenden Terrorismus. Das Fass war dann fast am Überlaufen, als man von der neuen heimtückischen, "intelligenten" Waffe erfuhr: Drohnen. Moderne Sicherheitssysteme sind unheimlich, weil sie allgegenwärtig, unsichtbar und unberechenbar sind. Und noch einer Art dieser Spezies sollte man Aufmerksamkeit schenken: den akustischen, sogenannten "nicht-tödlichen" oder "weichen" Waffen, deren Schall außerhalb des Hörbaren im Infra- und Ultra­frequenzbereich  äußerst wirkungsvoll sind.

Hören und Leiden
Im Vietnam-Krieg wurden unheimlich tiefe und sirenenschrille Klanggemische in den Dschungel gepumpt – der „Voodoo Effekt“: Die gottgläubigen, vietnamesischen Dschungelkämpfer sollten in dem Gejaule ihre Ahnen erkennen. In den USA wurden schon in den 1960er Jahren Experimente gemacht, wie sich extreme Frequenzen auf das (Unter-)Bewusstsein, Gefühle und Körper auswirken. Dieses Wissen wurde für spezielle Verhörmethoden im Kampf gegen den Terror wieder aufgegriffen. 2010 berichteten ehemalige Häftlinge aus Guantanamo von tagelanger, lauter Beschallung mit Popmusik, einer Foltermethode,  die auch im Irak und Afghanistan bewusst eingesetzt wurde. Hier kommen auch Mega-Lautsprecher zum Einsatz, um aus sicherer Distanz mögliche Terroristen handlungsunfähig zu machen. Aber auch in der zivilen Sicherheitspolitik spielen akustische Werkzeuge eine Rolle. Mosquito-Anlagen sollen störende Jugendliche mit hohen, sirrenden Tönen von öffentlichen Plätzen vertreiben. Viele deutsche Bahnhöfe werden mit klassischer Musik bespielt, um Obdachlosen zu suggerieren, dass sie hier nichts verloren hätten – ein Effekt, den man aus der Musik- und Werbepsychologie kennt. Der schottische DJ und Labelbetreiber Steve Goodman behandelte erstmals umfassend den Zusammenhang von Klang und Krieg in seinem Buch „Sonic Warfare“. Er stellte fest, dass die Entwicklungen weg von hörbaren, hin zu unbewussten Frequenzen gingen, weg von räumlichem hin zu direktionalem Einsatz von Schall.

Die "Schallkanone"
Long Range Acoustic Hailing Devices, kurz LRADs, senden Warnungen und abschreckend laute, schrille Töne über mehrere Kilometer. Die „Schallkanone“ kann gezielt auch nur einzelne Ziele anpeilen oder ganze Gebiete und Grenzen beschallen. In den letzten Jahren wurden LRADs bei Demonstrationen gegen Zivilisten eingesetzt. Als Waffe kamen sie erstmals in Georgien 2007 zum Einsatz, später in den USA 2010 beim G20-Gipfel in Pittsburgh. Bis zu 162 Dezibel laut und damit weit über der Schmerzgrenze des menschlichen Gehörs, kann ein direkter oder dauerhafter Kontakt mit dem Ton Orientierungslosigkeit, Blutungen im Innenohr, Gehörverlust, Übelkeit oder Ohnmacht auslösen. Experten, Journalisten und Bürgerrechtler kritisieren den Einsatz der Geräte gegen Zivilisten als Unterdrückung freier Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit.

Polizei und Militärs legitimieren ihren Einsatz als Alternative zu tödlichen Waffen oder verharmlosen seine Wirkung. In einem Artikel im The Army Lawyer vom August 2010 wird auf die von Medien „geschürte“, öffentliche Sorge über das LRAD reagiert. Frei übersetzt: Es sei „keine Waffe, militärisch oder sonstiges“, sondern einfach ein Kommunikationsgerät. Es könne allenfalls „unsachgemäß“ verwendet werden, um „absichtlich Schmerzen zu verursachen“, doch selbst dann sei das verursachte „Unbehagen“ nur von kurzer Dauer. Gesetzestexte des Militärgerichtes, die den Einsatz des Gerätes in Kriegsgebieten juristisch absegnen, werden in dem Artikel herangezogen, um ihren Einsatz gegen Zivilpersonen im öffentlich-demokratischen Raum zu legitimieren. Absurd, denn dann ist der demokratische Aushandlungsprozess verloren.

Aus psychologischer Sicht sind akustische Waffen, wie alle "nicht-tödlichen Waffen", besonders tückisch. Der Linzer Soziologe Andre Zogholy beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema: „Ich glaube, es ist einfacher, einen Knopf an einer überdimensionalen Stereoanlage zu drücken, als das Feuer zu eröffnen; selbst einfacher als der Einsatz von Tränengas.“ Elwood Norris, sein Erfinder, meint lakonisch, das LRAD könne man verorten zwischen „dem Töten von etwas und dem nichts tun“. Die schwierige Rückführbarkeit von Folgeschäden auf das konkrete Ereignis des Einsatzes wirken zusätzlich einschüchternd. Der kommerzielle Vertrieb der Geräte an Sicherheitsfirmen und Großveranstalter in über 60 Länder weltweit bewirkt eine schleichende Legitimierung der Geräte, meist im Namen der "öffentlichen Sicherheit".

Mosquito Sound System – hohe Frequenzen gegen den ­Aufenthalt Jugendlicher ©Foto: Compound Security
Mosquito Sound System – hohe Frequenzen
gegen den ­Aufenthalt; Jugendlicher Foto: Compound Security

Mosquitos – unbewusste Frequenzen für die öffentliche Ruhe
 In der öffentlichen Debatten geht es auch um sogenannte Mosquito Sound Systeme. Sie werden seit 2005 in Großbritannien eingesetzt, um Jugendliche von öffentlichen und privaten Plätzen zu vertreiben. Ihr hoher, belästigender Piepton, einem Tinitus nicht unähnlich, ist auf 16 bis 18 Kilohertz eingestellt. Die Hörfähigkeit hoher Frequenzen nimmt im Laufe des Lebens ab, der Mosquito-Ton ist nur von bis Mitte 20-Jährigen wahrnehmbar. Seit 2007 wurden die Geräte in Deutschland, der Schweiz und bis 2008 auch in Österreich verkauft. Nach Einführung des Mosquitos regte sich bei Bürgern und Politikern Unmut. In Österreich wurde es 2008 wegen Diskriminierung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gesetzlich verboten. Über gesundheitliche Langzeitschäden gibt es noch keinerlei Untersuchungen. Besonders Kleinkinder, die sich noch nicht artikulieren können, sind gefährdet, wenn Ältere das Geräusch nicht mehr hören können.

Das Schweizer Unternehmen "SwissMosquito" bewirbt das Gerät als das für die englische Polizei wirkungsvollste Werkzeug "im Kampf gegen antisoziales Jugendverhalten" und "Jugendbanden", welche zur „größten Bedrohung in unserer Gesellschaft" geworden seien. Nutzer legitimieren die Anbringung des Gerätes mit denselben "Verschlagwortungen" oder geben sie als "Taubenabwehranlage" aus. In den Medien und der öffentlichen Debatte gehören jugenddiskriminierende Formulierungen mittlerweile zum allgemeinen Ton, kreiieren damit ein Problem, für das das Gerät als effektive Lösung dargeboten wird. Das Unternehmen empfiehlt es präventiv für alle „vandalenanfälligen“ Objekte und Gebäude, Passagen und Plätze oder lärmempfindlichen Orte. So verankern sich sicherheitspolitische Technologien und Strategien und die Schlagworte von Marketingkampagnen im alltäglich sozialen Miteinander. Mosquitos werfen fundamentale Fragen nach unserem Umgang mit sozialen Problemen und der Bedeutung des öffentlichen Raumes auf. Zogholy macht darauf aufmerksam, dass öffentlicher Raum in den letzten Jahren deshalb so stark in die öffentliche Debatte geriet, weil wir ihm erst dann Aufmerksamkeit schenken, wenn wir dabei sind, ihn zu verlieren.

Auch in Großbritannien regt sich Widerstand gegen Mosquitos. Doch der fortgeschrittene Diskurs der Überwachung im Dienst der sozialen Sicherheit ist mächtiger und die Geräte ergänzen in ihrer direkten physischen Wirkungsweise effektiv die ideologischen Instrumente der digitalen Überwachung. Macht ist nichts per se Schlechtes, sie existiert überall dort, wo es Gesellschaft gibt, in allen sozialen Beziehungen, Schichten und Institutionen. Manche Technologien aber verändern die Struktur der Machtverhältnisse in einer Gesellschaft grundlegend - auch einer demokratischen.